Konzertabend Maurizio Pollini – Kölner Philharmonie

Robert Schumann (1810-1856): Arabeske C-Dur op. 18 (1838-39), Kreisleriana op. 16 (1838)

Frédéric Chopin (1810-1849): 24 Préludes op. 28 (1836/39)

Besuch: 18. Februar 2015

maurizio_polliniWas beim Klavierabend von Maurizio Pollini am meisten ins Auge fiel war seine Haltung an „seinem“ Flügel der Firma Angelo Fabbrini aus Pescara, der ihn zu allen seinen Konzerten begleitet. Als „ein Pianist ohne Allüren“ könnte man ihn titulieren. Er kam, verbeugte sich rasch, auch gegen die „Hinterbühne“, und begann die verschnörkelte Arabeske mit sanften Händen vorzuführen. Im Verlauf des Abends wurde der Eindruck immer stärker, wie sehr das gespielte Werk „das Sagen hatte“, ohne daß Körperbewegungen, geschweige denn Verrenkungen des Spielers, die Zuhörer zu Zuseher diskreditierten. Der Eindruck war, hier sitzt jemand am Flügel und erläutert den Zuhörern das Musikwerk, ähnlich dem Märchenerzähler, der der atemlos zuhörenden Kinderschar eine Fabel darbringt.

Nach der Arabeske kam die Kreisleriana. Diese Bezeichnung stammt von E.T.A Hoffmanns Fantasiestück Johannes Kreislers, des Kapellmeisters musikalische Leiden, worin Schumann den Inbegriff des romantischen Künstlers sah. Es sind acht Fantasiestücke, die durch Metrik und Rhythmik eng miteinander verbunden sind. Pollini skizzierte diese Rhythmik und die polyphonen Linien auf das Deutlichste. Die Fantasien sind aber, wie man annehmen könnte, keineswegs Programmusik, sondern sie sind Eindrücke, die Schumann beim Lesen der Hoffmannschen Novelle erlebte. Pollinis Klavierspiel zeigte formvollendet die häufig anzutreffenden dynamischen Abstufungen. Damit gelang ihm sowohl eine deutliche Gliederung als auch eine ungemeine Lebendigkeit. Ein Musterbeispiel pianistische Ausgewogenheit!

Seine ruhige Körperhaltung bei der Wiedergabe half sehr beim aufmerksamen Hören und zeigte darüber hinaus seine überlegene Darstellungsmanier. Nichts überließ er dem Zufall und doch war sein Spiel von einer anmutigen Natürlichkeit, ohne gewollte Akzente, es sei denn, Schumann hatte sie vorgeschrieben. Sehr zur deutschen Seele paßte das liedhafte Thema der zweiten Fantasie Sehr innig und nicht zu rasch. Bewundernswerte Ruhe verlieh sein Spiel den langsamen Stücken. Gleich einer Unterhaltung zweier Personen erlebte man das Motiv des Tenors, das der Sopran beantwortet, im zweiten Teil der sechsten Fantasie nach der spannungsreichen, rezitativischen Einleitung, vorgetragen in sonorer Klangfülle. Und am Ende, in der achten Fantasie, beleuchteten geradezu irrlichterhafte Motive das Geschehen. Ein Vorausahnen des Mendelssohnschen Sommernachtstraums gelang Pollini hier mit seinem anmutigen Klavierspiel. Leichtfingerig und doch fokussiert erlebte man diese ungemein meisterhaft erfundene Fantasien Schumanns. Riesiger Applaus der vollbesetzten Philharmonie.

Nach der Pause wurden die Préludes op. 28 von Pollini distanziert, doch durchaus werkgetreu dargestellt. Diese Komposition in ihrer Gesamtheit zu spielen hat den Vorteil, daß man Chopins kluger Kompositionsanlage gewahr wird. Sie stehen in ihrer Dramatik einer Arie oder Meditation in einer Opernhandlung nahe. Am Anfang steht ein kurzes Stück, bei dem ein Motiv in eng verschlungenen Linien aufscheint, ähnlich der Schumann‘schen Arabeske.

In jedem der Préludes drückt Chopin eine bestimmte Gefühlslage aus. Tadeusz Zielinski notiert in seiner lesenswerten Chopin-Biographie: Die Préludes zeigen ein tiefgefächertes Spektrum an Emotionen und Stimmungen. Pollini hat schon 1975 durch seine bis heute kaum übertroffene Einspielung der Préludes eine durchweg individuelle Interpretation gewagt. Damals schrieb Joachim Kaiser: Er interpretiert Chopin mit feuriger drängender Klarheit. Gewisse Passagen, die voll sind von Doppelgriffen und pianistischen Wundern, bringt er zum Glühen. Er spielt sie rhythmisch glitzernd. Er dynamisiert Chopin, er ruht sich nicht auf routinierten Rubatostellen aus, sondern greift mit jugendlich dunklem Ungestüm zu. … Eine Musik, die so leicht zum Sentimentalen verführt, wird plötzlich ihrer Würde und Majestät inne. Er bringt den Genius der Töne zum Sprechen, nur eben nicht so, wie man es bisher gewohnt war.

Die Jugendlichkeit hat Pollini im Alter keineswegs verloren. So geht er mit unglaublichem Tempo beim stürmenden Presto im Prélude Nr. 12. Das Siebzehnte (Allegretto 6/8) wird zu einer Studie für Rubatospiel und im Largo c-Moll Nr. 20 hält man schier den Atem an ob der Dichte der Akkorde und der unnachahmlichen Dynamik Fortissimo (ff), leise (p) und sehr leise (pp). Daß Pollini solches in dem Riesensaal der Philharmonie gelingt grenzt an ein Wunder. Das Publikum ist außer sich. Es gibt zwei Zugaben: das Des-Dur Nocturne op. 27,2 von 1835 und die sogenannte Revolutions-Etüde (Allegro con fuoco – schnell mit Feuer)op. 10,12 von 1830). Auch danach großer Applaus, der aber nicht unendlich anhält, sondern nach eine Weile abbricht, woraus ersichtlich wird, daß dieses Publikum mitempfand und den großen Pianisten mit Verständnis verabschiedete.

Zum Schluß noch eine Bemerkung zum Programm. Die Kompositionen stammten aus der Zeit um 1835 bis 1839. Sie zeigen die deutsche und französisch-polnische Romantik der beiden Freunde Robert Schumann-Frédéric Chopin in Reinkultur. Schumann hat seine Kreisleriana „Seinem Freund Chopin zugeeignet“. Beider Werkgruppen sind in ihrem „Fantasiecharakter“ innerlich verwandt.

Es wäre zu wünschen, daß Konzert-Programme öfter aus solchen Gedankengänge entstünden!

Dr. Olaf Zenner

Bild: Wikipedia

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