Musik und Text von Richard Wagner, Handlung in drei Aufzügen, UA: 10. Juni 1865, München
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson, Bühne: Vytautas Narbutas, Kostüme: Sibylle Wallum
Dirigent: Semyon Bychkov, Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele, Choreinstudierung: Thomas Eitler de Lint
Solisten: Camilla Nylund (Isolde), Andreas Schager (Tristan), Jordan Shanahan (Kurwenal), Günther Groissböck (König Marke), Ekaterina Gubanova (Brangäne), Alexander Grassauer (Melot), u.a.
Besuchte Aufführung: 3. August 2024 (Neuinszenierung)
Der Ritter Tristan führt die irische Prinzessin Isolde, deren Verlobten Morold er einst im Zweikampf getötet hat, seinem Onkel König Marke als Braut zu. Auf der Überfahrt nach England verlangt Isolde Sühne für Morolds Tod: Sie fordert Tristan auf, gemeinsam mit ihr Gift zu trinken. Brangäne hat jedoch das Gift heimlich gegen einen Liebestrank ausgetauscht, so entbrennen Tristan und Isolde in heftiger Leidenschaft füreinander. Isolde heiratet zwar König Marke, trifft sich aber mit Tristan. Melot verrät die Liebenden und verwundet Tristan schwer – Kurwenal verbringt den Verletzten nach Kornwall. Tristan stirbt jedoch bei Isoldes Ankunft. Als Konsequenz ihrer Liebe folgt Isolde ihm in den Tod.
Aufführung
Szenisch zeigte Arnarsson eine Art Flucht zweier Liebender vor der Welt und vor dem „Licht des Alltags“. Sie suchen Zuflucht in der milden Dunkelheit eines verfallenden Schiffsrumpfes. Der Laderaum ist gefüllt mit Antiquitäten, Erinnerungsstücken und Plunder eines ganzen Lebens: Bücher, ein Globus, Marmorfiguren, Mühlräder, ausgestopfte Tiere und sogar ein Gemälde – möglicherweise ein Caspar David Friedrich – lehnen an den Planken.
Isolde bemalt im ersten Akt ein weißes Brautkleid mit Schleppe, großflächig mit Zitaten aus dem Libretto. Die Kostüme sind bewußt zeit- und ortslos, eher Phantasiegebilde als historische Anspielungen.
Der Liebestrank wird minimalistisch gehandhabt: kleine braune Fläschchen, die unauffällig in den Händen verschwinden. Eine dramaturgisch mögliche Flaschenverwechslung findet nicht statt – im ersten Akt trinken die Liebenden überhaupt nicht; die Flasche rollt lediglich über die Bühne und bringt einen Hauch Bewegung ins Geschehen. Im dritten Akt begeht Tristan nicht den traditionellen Bühnentod durch eine Schwertwunde, sondern nimmt demonstrativ einen tiefen Schluck aus der Flasche mit Todestrank, bevor diese in ein dunkles Loch – den Müll der Geschichte – geworfen wird.
Der dritte Akt – Schöner sterben
Das Bühnenbild reduziert sich hier auf das letzte Inventar. Tristan sitzt zunächst fast unsichtbar, springt dann plötzlich hervor. Melot greift nicht ein, kein Kampf findet statt. Tristan und Isolde singen sich an, ohne sich je zu berühren – eine konsequente Fortführung des berührungsfreien Konzepts der Inszenierung.
Sänger und Orchester
Camilla Nylund hat sich in Bayreuth endgültig als hochdramatischer Wagnersopran etabliert. Ihre Isolde besticht durch eine Interpretation, die stets der großen Gesangslinie verpflichtet bleibt und dabei weitgehend textverständlich ist – eine Eigenschaft, die in der schwierigen Akustik des Festspielhauses von unschätzbarem Wert ist. Besonders beeindruckend ist ihr fein gesetztes Piano, das nicht nur atmosphärische Spannungen schafft, sondern auch Einfluß auf das Tempo und die Ausdrucksweise ihres Bühnenpartners nimmt.
Andreas Schager, der in die großen Fußstapfen von Clay Hilley und dem viel zu früh verstorbenen Stephen Gould tritt, überzeugt als kraftvoller und ausdauernder Tristan. Bei den Bayreuther Festspielen gelingt es ihm, die enorm anspruchsvolle Partie mit bemerkenswerter stimmlicher Konstanz zu meistern. Ohne erkennbare Ermüdungserscheinungen hält er seine Stimme über die gesamte Aufführung kraftvoll und präsent. Mit derselben Energie, mit der er den Abend beginnt, trägt er die Rolle bis zum Schluß, was seiner Interpretation eine unerschütterliche Präsenz verleiht und den Charakter des Tristan mit großer Intensität und Glaubwürdigkeit ausstattet.
Jordan Shanahan beeindruckt als Kurwenal mit einem wohltönenden, lyrischen Bariton von samtiger Wärme. Seine Stimme besticht durch klare Diktion, was dem Publikum ein unmittelbares und klares Textverständnis ermöglicht. Neben der stimmlichen Qualität überzeugt Shanahan auch durch eine starke darstellerische Präsenz. So entsteht ein Kurwenal, der nicht nur als treuer und hingebungsvoller Gefährte Tristans überzeugt, sondern durch seine Menschlichkeit und Wärme auch emotional berührt.
Günther Groissböck gestaltet den König Marke mit seiner charaktervollen Baßstimme, die in Bayreuth ebenfalls mit großer Wirkung und Tiefe zu erleben war. Seine Interpretation vermittelt die Autorität und den inneren Konflikt der Figur glaubhaft und rundet das Ensemble des diesjährigen Tristan und Isolde eindrucksvoll ab.
Insgesamt läßt sich sagen, dass diese Sänger bei den Bayreuther Festspielen in Tristan und Isolde eine hochkarätige, musikalisch und darstellerisch überzeugende Aufführung geprägt haben, die dem legendären Werk die gebührende Intensität und Tiefe verleiht.
Ekaterina Gubanova hat bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen als Brangäne eine äußerst beeindruckende Leistung gezeigt. Mit ihrer warmen, weichen und zugleich kraftvollen Stimme setzte sie einen wohltuenden klanglichen Kontrast zur Isolde. Ihre Stimmfarbe zeichnet sich durch eine sanfte Rundung ohne jegliche Schärfe aus, was ihr erlaubt, selbst dramatische Passagen mit großer Strahlkraft und Leuchtkraft zu gestalten, ohne dabei an Natürlichkeit einzubüßen. Sie überzeugte durch eine einfühlsame und nuancierte Stimmführung, die der Figur Brangäne eine enorme emotionale Tiefe verlieh. Ihre Darstellung wirkte subtil und differenziert
Fazit
Am Ende gab es einhelligen Jubel für die musikalische Leistung – sowohl für Dirigat als auch für das Ensemble. Szenisch hingegen zeigte sich das Publikum gespalten: Manche schätzten die poetische, fast schwebende Symbolik der Inszenierung, andere Vermißten unmittelbare dramatische Spannung und physische Nähe zwischen den Protagonisten.
Musikalisch jedoch bleibt diese Eröffnungspremiere ein Bayreuther Abend von hohem Niveau – getragen von einem starken Sängerensemble und einer erfahrenen, subtil spannungsgeladenen Orchesterleistung unter Semyon Bychkov.
Oliver Hohlbach
Andreas Schager (Tristan), Camilla Nylund (Isolde)
Bild: Enrico Nawrath
