Saul – Köln, Oper

von Georg Friedrich Händel (1685-1759) Oratorium in drei Akten, Libretto: Charles Jennens, UA: 16. Januar 1739, London, Kings Theatre

Regie: Barry Kosky, Szenische Einstudierung: Donna Stirrup, Bühne und Kostüme: Katrin Lea Tag, Choreografie: Otto Pichler

Dirigent: Rubén Dubrovsky und das Gürzenich-Orchester Köln

Solisten: Christopher Purves (Saul), Christopher Lowrey (David), Sarah Brady (Merab), Giulia Montanari (Michal), Linard Vrielink (Jonathan) Benjamin Hulett (Abner/Hohepriester/Amalekiter/Doeg)

Besuchte Aufführung: 23.November 2025 (Premiere)

Kurzinhalt

Nach Davids Sieg über Goliath verehrt das israelische Volk ihn als Helden, was bei König Saul heftigen Neid verursacht. Trotz Davids Loyalität zum König versucht Saul mehrfach, ihn zu töten. Seine Kinder, Jonathan und Michal und später auch Merab, stellen sich auf Davids Seite; Michal verliebt sich in ihn und wird ihm als Ehefrau versprochen. Als letzten Ausweg David loszuwerden, sucht Saul eine Hexe auf. Doch auch der von ihr heraufbeschworene Geist Samuels sagt Sauls Untergang als Wille Gottes voraus. Saul und Jonathan werden bald darauf im Krieg von den Philistern getötet und David als gottgesandter Herrscher Israels mit Michal an seiner Seite bestätigt.

Aufführung

Vorbemerkung: Die Kölner Inszenierung ist eine Adaptierung der Produktion des Glyndebourne Festivals, mit der Barry Kosky vor 10 Jahren große Erfolge feierte. In dieser Version wird das Oratorium als szenische Aufführung wie eine Oper gespielt und nicht als konzertante Version, wie im Original vorgesehen.

Die Bühne zeigt eine gekippte Fläche mit grauem Granulat bedeckt, sodass die Darsteller immer in der schiefen Ebene agieren. Die Kostüme verorten die Handlung zur Entstehungszeit des Oratoriums im Barockzeitalter: die Frauen tragen satin-glänzende Rokoko-Kleider in Bonbonfarben, die Herren sind weiß geschminkt, tragen Perücken und Bundhosen mit Rüschenhemden. David trägt einen eleganten Hosen-Anzug mit moderner Kurzhaarfrisur und sticht damit hervor. Die Inszenierung fokussiert sich darauf, Neid und Missgunst als eine Art Wahnsinn zu verkörpern, der Saul von innen zerfrisst und ihn zu einem bösartigen Menschen macht. Die Choreographie eines Tanzensembles, das verschiedene Elemente des zeitgenössischen Ausdruckstanzes mit Pantomimen und balletartigen Tanzelementen vermischt, sorgt für viele unterhaltsame und skurrile Effekte. Höllenhafte Symbole entstehen u.a. durch die Rolle des Hohepriesters, der wie ein Horror-Clown aus einem Stephen-Spielberg-Roman gekleidet ist. Zum Schluss wird die Barockepoche dekonstruiert: Saul erscheint ohne Perücke und pompöse Kleidung und stirbt halbnackt in Unterhose. Mit Davids Königtum wird ein neues, moderneres Zeitalter eingeläutet.

Sänger und Orchester

Dubrovsky eröffnet den Abend mit einem schnellen, sehr strammen Dirigat, das er besonders in den vielen Soli-Partien im Orchester sehr schnell anpasst. Auch der Wechsel zum langsameren und getragenen Teil gelingt ihm ausgenommen gut. Der Chor, der in dem Oratorium eine exponierte Rolle einnimmt, glänzt vom ersten bis zum letzten Auftritt. In den tragischen und leisen Partien wirkt er unglaublich harmonisch und synchron, in den dramatischen Auftritten entwickelt er ein majestätisches Volumen, dabei sind Männer- und Frauenstimmen sehr gut austariert. Giulia Montanari (Michal) überzeugt mit einem glockenklaren lyrischen Sopran, der perfekt zu ihrer Rolle der unschuldigen, verliebten Tochter passt. Sie singt ausgenommen klar und kann dabei im sotto voce sehr viel Empfindung in die einzelnen Arien legen. Besonders die Duette mit Christopher Lowrey (David), der über einen warmen Countertenor mit hohem Ambitus verfügt, sind bemerkenswert schön: Die konträren Stimmfarben passen perfekt zusammen und erzeugen harmonische Highlights. Lowrey singt mit sehr viel Dynamik, lässt seinen Countertenor durch ein expressives vibrato in der Höhe anmutig scheppern und erreicht dabei fast die hohen Töne eines Soprans. Schauspielerisch zeigt er David als erhabenen und kontrollierten Herrscher, der sich nicht zu Ausschweifungen oder Exzessen verleiten lässt. Sarah Brady (Merab) schafft mit ihrem metallischeren Sopran ein gutes Gegengewicht zu Montanari und scheppert mit ihrem anmutigen Organ expressiv und temperamentvoll durch die Arien. Dabei betont sie ihre Rolle als mutige Prinzessin durch ein wildes Schauspiel und widersetzt sich mit vollem Körpereinsatz angeekelt ihrem wahnsinnigen Vater. Absolutes Highlight ist Christopher Purves (Saul), der schauspielerisch alles in seine Rolle legt. Er murmelt vor sich hin, fängt imaginäre Dinge in der Luft, flucht, schimpft, schreit vor Schmerzen, kommandiert, verzerrt das Gesicht zu einer Fratze und ist die ganze Zeit in Bewegung. Sein klarer Bassbariton ist scharf und rau und wird von ihm sehr lautmalerisch eingesetzt – leider zu Beginn nicht immer ganz im Takt mit dem Dirigat, doch dies legt sich ab dem zweiten Akt. Unter den Männerstimmen ist Linard Vrielink (Jonathan) ein großer Höhepunkt: sein satter Tenor verfügt über sehr viel Substanz in der Tiefe und ein metallisches Timbre in der Höhe. Er singt sehr akzentuiert und sorgt schauspielerisch für dramatische Höhepunkte, indem er seinen Vater fast zu erstechen versucht oder David auf den Mund küsst.

Fazit

Mit dieser Inszenierung ist Barry Kosky ein großer Coup gelungen: aus einem Oratorium ein – wie es auch im Programmheft beschrieben wird – “episches und universelles Drama” zu machen. Auch für Menschen, die sonst eher wenig mit barocker Musik anfangen können, liefert diese Operninszenierung alles, was es für einen unvergesslichen Abend braucht. Hervorragend ist die Verbindung aus Choreografie, Kostümen und Schauspiel, die für sehr viel Abwechslung und Unterhaltung sorgt. Absolut fantastisch ist aber die gesamte musikalische Darbietung unter Rubén Dubrovskys Leitung, wofür alle schallenden, langen Applaus und Standing Ovations erhalten. Für die nicht so eingefleischten Händel-Fans ist dies eine wunderbare Gelegenheit, die Musik in einem ganz neuen Licht zu erleben. Einfach nur toll!

Melanie Joannidis

Bild: Sandra Then

Das Bild zeigt: Chor der Oper Köln, Christopher Lowrey (David), Christopher Purves (Saul)

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