von Giacomo Puccini (1858-1924) Dramma lirico in vier Akten, Libretto: Marco Praga, Domenico Oliva und Luigi Illica, UA: 1. Februar 1893, Turin
Regie: Carlos Wagner, Bühne: Frank Philipp Schlößmann, Kostüme: Jon Morrel, Licht: Nicol Hungsberg
Dirigent: Andrés Orozco-Estrada und das Gürzenich-Orchester Köln
Solisten: Carolina López Moreno (Manon Lescaut), Insik Choi (Lescaut), Gaston Rivero (Des Grieux), Cristian Saitta (Geronte Di Ravoir), Vasyl Solodkyy (Edmondo)
Besuchte Aufführung: 28. September 2025 (Premiere)
Manon soll von ihrem Bruder Lescaut ins Kloster geschickt werden, verliebt sich jedoch in den mittellosen Chevalier Des Grieux. Ihre Schönheit lockt auch den reichen Geronte Di Ravoir an. Zunächst entscheidet sich Manon für Des Grieux und flieht mit ihm nach Paris. Doch bald verführt sie Gerontes Reichtum: sie verläßt Des Grieux und wird seine Mätresse. Lescaut, der erkennt, dass sie Des Grieux noch liebt, holt ihn in Gerontes Anwesen. Als die beiden ihre Liebe neu aufleben lassen, werden sie von Geronte in flagranti erwischt; Manon wird wegen Unmoral nach Amerika deportiert, Des Grieux folgt ihr. In der amerikanischen Wildnis stirbt Manon in Des Grieux’ Armen.
Aufführung
In der Mitte befindet sich ein Karussell, davor ist der Boden mit Spiegeln und drappierten Sandhaufen beklebt und zeigt in jedem Akt andere Requisiten. Aufgestapelte Kisten und Luftballons verdeutlichen beispielsweise das feiernde Studentenlager. Im letzten Akt verwandelt sich das Karussell in ein rundes Gefängnis mit Gitterstäben. Die Kostüme sind pragmatisch elegant, im Stil der 1940er Jahre Italiens: die Damen tragen lange Röcke und fließende Stoffe, die Männer Anzüge mit Frack und Pelzstola. Manon entwickelt sich vom unschuldigen Mädchen im weißen Satinkleid, hin zur burlesken Erotiktänzerin mit Stiefeln, Spitzenunterwäsche und rotem Satinmantel. Die Inszenierung stellt die weibliche Stärke männlicher Schwäche gegenüber und beschreibt besonders im letzten Akt den gescheiterten Emanzipationsversuch einer unkonventionellen Frau. Während Manon bis zum letzten Moment um ihr Leben und ihre Liebe kämpft, fällt Des Grieux teilnahmslos neben ihr zusammen, anstatt sie – wie im Libretto beschrieben – in den Arm zu nehmen und zu beschützen.
Sänger und Orchester
Orozco-Estrada eröffnet seinen ersten Einsatz für die Kölner Oper mit einem sehr lebhaften, schnellen Dirigat. Die Partitur scheint er völlig verinnerlicht zu haben, da er sehr nuanciert ist in den einzelnen Stimmungswechseln. Gaston Rivero (Des Grieux) kann mit diesem schnellen Tempo im ersten Akt nicht ganz mithalten. Sein reichhaltiger Tenor ist scheppernd und kraftvoll und bringt ein geschmeidiges Timbre mit sich, allerdings preßt er in der Arie Donna non vidi mai – Nie gab es eine Frau wie diese zennerseine Stimme sehr stark, sodaß manche hohen Töne heiser und übersteuert klingen. Ab dem zweiten Akt legt sich dies aber und er schafft es, seine Stimme besser zu kontrollieren. Unangefochtener Star des Abends ist Carolina López Moreno (Manon Lescaut). Nicht nur in den Duetten singt sie ihren Partner mit ihrem warmen, glockenklaren und technisch versierten Sopran, wortwörtlich an die Wand. Beim Ansetzen der hohen Spitzentöne zeigt sie ein unglaublich nuanciertes crescendo und läßt ihre Stimme mit so viel Anmut Stück für Stück anschwellen, dass es einem die Sprache verschlägt. Dabei hat sie schauspielerisch eine unglaublich große Präsenz und betont Manon als facettenreiche Frau, die keineswegs als femme fatalte geboren wird, sondern von Männern zum Lustobjekt degradiert wird. Im letzten Akt hebt sie im Sterben ihre Arme beschwörend in die Luft und schaut hoffnungsvoll in den Himmel, womit sie die Stärke ihrer Rolle auch körperlich sehr gut hervorhebt – und stirbt alleine, ohne die Hilfe eines Mannes. Ebenfalls zu erwähnen ist auch Cristian Saitta (Geronte Di Ravoir), der mit seinem grollenden, schallenden Baß und seinem überzogenen Schauspiel eine parodistische Rolle abgibt. Dabei gelingt es ihm sehr gut, dramatische Spannung aufzubauen, indem er seine Stimme sehr gekonnt anschwellen läßt in den hohen Tönen und Manon mit aufgerissenen Augen und dominanter Körpersprache anklagt. Insik Choi (Lescaut) überzeugt mit seinem schallenden Bariton, der ein sehr helles Timbre hat und besonders in den Höhen majestätisch klingt. Dabei schafft er es, die Arien sehr abwechslungsreich zu gestalten, indem er zwischen sotto voce und mezza di voce wechselt und auch in der Lautstärke viele Akzente setzt. Ein großer Höhepunkt sind auch die vielen Chorauftritte: sowohl die Männer- als auch die Frauenstimmen erzeugen ein sehr harmonisches Klangbild und singen dabei rhythmisch sehr synchron mit dem Orchester.
Fazit
Puccinis Musik geht unter der Leitung von Orozco-Estrada und dem hervorragenden musikalischen Gesamtklang von Orchester und Gesang unter die Haut: man weint, man hofft, man fühlt sich hineingezogen in das Leid und die Trauer, genauso wie in die unbändige Leidenschaft einer tragischen Liebesgeschichte. Spätestens nach der Pause hört man es im ganzen Saal nur noch schluchzen und schniefen, als Manon verzweifelt um ihr Leben kämpft. Einfach eine wunderschöne Inszenierung mit einer grandiosen Besetzung. Allen voran Carolina López Moreno, die zu Recht viele Bravo-Rufe und schallenden Applaus erhält. Ein grandioser Auftakt für die neue Spielzeit!
Melanie Joannidis
Bild: Sandra Then
Das Bild zeigt: Carolina López Moreno (Manon Lescaut)