43. Festival International d’Opéra Baroque & Romantique 2025, Beaune

Wenn ich durch die weichen Wellen der Landschaft rund um Beaune im Burgund fahre, wird mein Blick von sanften Hügeln und sonnenverwöhnten Reben getragen. Die Weinberge schmiegen sich an die Erde, in ruhigem Rhythmus, fast wie eine Melodie. In dieser stillen Schönheit gedeihen die edelsten Tropfen – die Grands Crus, große Gewächse von Weltrang, geboren aus Erde, Sonne und jahrhundertealter Hingabe.

In diesem Jahr durften wir gleich zweimal in die Klangwelten Georg Friedrich Händels und Alessandro Scarlattis eintauchen. Die Musik erwachte mit solcher Lebendigkeit, daß man fast vergaß, in einem Konzertsaal zu sitzen. Die Dirigenten und Musiker bildeten eine Einheit, wie geschaffen für die barocken Meisterwerke. Man konnte ihr Engagement deutlich spüren. Ihr Spiel war so präzise, so beseelt, daß das Publikum am Ende wie verzaubert war – und sich mit ausgiebigem Applaus bedankte, für die Abende voller Kunst, Freude und Klang.

La Resurrezione Die Auferstehung

von G.F. Händel (1685-1759),  eigentlich La Resurrezione di Nostro Signor Gesù Cristo (HWV 47) ist ein Oratorium in zwei Teilen

Libretto von Carlo Sigismondo Capece, UA: Palazzo Bonelli, Salone al Piano Nobile, Rom am 8. April 1708

Chor und Orchester: Le Bankett Céleste

Orgel: François Saint-Yves

Besuchte Aufführung: 11. Juli 2025, Basilica Notre-Dame

Solisten: Suzanne Jerosme, Angelo, ein Engel (Sopran), Céline Scheen, (Maddalena, Begleiterin Jesu (Sopran), Margherita Maria Sala, Cleofe, Jungerin Jesu (Alt), Thomas Hobbs, Giovanni, Evangelist (Tenor), Thomas Dolié, Lucifer (Baß)

Vorbemerkung
La Resurrezione (Die Auferstehung, HWV 47) ist für mich eines der faszinierendsten Frühwerke Händels – ein Oratorium in italienischer Sprache, das 1708 in Rom entstand, während der junge Komponist auf seiner Lehrreise in Italien war. Doch von Lehrstück kann hier kaum die Rede sein: Schon in diesem Werk offenbart sich Händels dramatisches Gespür, seine Fähigkeit, Musik zu schreiben, die unmittelbar unter die Haut geht.

Mit großer Besetzung, einer opernhaften Dramaturgie und herausfordernden, virtuosen Partien für die Solisten entfaltet sich La Resurrezione nicht als bloße liturgische Betrachtung, sondern als ein echtes Glaubensdrama – spannungsgeladen, emotional aufgeladen, theologisch durchdacht. Es ist ein Werk, das sich nicht mit frommer Zurückhaltung begnügt, sondern das Ostergeschehen in all seiner existenziellen Tiefe auslotet – zwischen Himmel und Hölle, Licht und Finsternis, Verzweiflung und Erlösung.

Kurzinhalt
Nach dem Tod von Jesus sind seine Freunde sehr traurig. Sie glauben, alles sei verloren. In dieser dunklen Zeit tritt der Teufel (Lucifer) auf und freut sich: Für ihn ist das Gute besiegt.
Doch ein Engel widerspricht. Er sagt: Wartet nur – ein großes Wunder wird geschehen! Die beiden streiten sich darüber, wer Recht hat: der Teufel, der an die Dunkelheit glaubt, oder der Engel, der auf neues Leben hofft.
In der Mitte der Geschichte verändert sich etwas: Die Menschen spüren, daß Hoffnung zurückkehrt. Besonders Maria Magdalena spürt, dass etwas Großes bevorsteht.
Am Ende verkündet der Engel die frohe Nachricht: Jesus ist auferstanden! Das Licht vertreibt die Dunkelheit. Der Teufel verliert seine Macht, und alle feiern voller Freude das neue Leben.

Aufführung
Der erste und der zweite Teil des Oratoriums bestehen jeweils aus zehn Arien. Im ersten Teil sind diese gleichmäßig verteilt, sodaß jeder Sänger zwei Arien erhält. Im zweiten Teil jedoch ändert sich diese Verteilung: Lucifero bekommt nur noch eine Arie, während Maddalena drei zugedacht sind; die übrigen Figuren erhalten jeweils zwei. Die beiden als Coro bezeichneten Abschlußnummern jedes Teils sind nicht für einen Chor im eigentlichen Sinne vorgesehen, sondern dem Solistenensemble vorbehalten. Ein Erzähler oder Evangelist fehlt ebenfalls. In dieser Hinsicht ähnelt La Resurrezione eher einer Oper als einem Oratorium. In der einleitenden Sinfonia erklingt eine zarte Oboen-Kantilene, die den Weg für die dramatische Handlung bereitet. Ein Engel – dargestellt von der Sopranistin Suzanne Jerosme mit ihrem farbenreichen Timbre – bittet um Einlaß in die Unterwelt. In leuchtendes Rot gehüllt, beginnt sie entschlossen und ausdrucksstark, mit brillanter Dramatik, rasanten Koloraturen, funkelnden Trillern und einem eindrucksvollen hohen A in der berühmten Bravourarie Disserratevi, o porte d’Averno – Öffnet euch, o Tore der Unterwelt, einer Da-capo-Arie in D-Dur.

Christus ist tot. Luzifer – im schwarzen Anzug – erklärt, seine Kräfte nicht verloren zu haben. Der gefallene Engel wird von Thomas Dolié mit großer stimmlicher Präsenz verkörpert: Er beherrscht nicht nur den tiefen Baß, sondern auch ein erweitertes Register mit baritonaler Färbung. In seinem Kampf mit den furchtbaren Mächten trotzt er Gott voller Zorn und Inbrunst.
Unterdessen trauern Maria Magdalena und Maria Cleophas in Jerusalem um den Tod Jesu, bevor sie sich auf den Weg zur Grabstätte machen, um seinen Leichnam zu salben. Die Rollen übernehmen die ausdrucksstarke Sopranistin Céline Scheen. Der Tenor Thomas Hobbs paßt mit seiner samtigen Stimme gut zur Würde und Weisheit der Figur.

Im zweiten Teil folgt der triumphale Sieg Christi: die Verkündigung der Auferstehung. Der Schlußchor ist erfüllt von Energie und präziser Gestaltung.

Besonders zu erwähnen ist: Margherita Maria Sala. Ihre warme, klangschöne Altstimme überzeugt durch klugen Stil, kohärente Phrasierung, präzise Diktion und sichere Technik – eine echte Entdeckung.

Fazit
Nach langer Abwesenheit kehrte das Ensemble Le Banquet Céleste im Jahr 2019 erstmals wieder nach Beaune zurück – und nun beschenkten sie uns mit einem Abend, der in Erinnerung bleibt. Vom ersten Ton an war spürbar: Hier begegnen sich Musik und Hingabe auf Augenhöhe.
Das Ensemble spielte mit einer intensiven inneren Spannung – nicht auf Effekt ausgerichtet, sondern ganz auf Ausdruck, auf Tiefe, auf das Wesentliche. Jeder Moment war getragen von Klarheit, von einer gemeinsamen musikalischen Sprache, die berührt, ohne sich aufzudrängen.
Die solistischen Passagen waren fein nuanciert, präzise und voller Energie. Besonders faszinierend an Händels La Resurrezione ist für mich die Entscheidung, ganz auf einen Chor zu verzichten. Händel vertraut allein den fünf Solisten – ein ungewöhnlicher, mutiger Schritt. Und genau dadurch gewinnen die inneren Konflikte der Figuren an Raum und Intensität. Jeder Zweifel, jede Hoffnung, jede spirituelle Erkenntnis wird unmittelbarer, greifbarer. Es ist, als säßen wir mitten im Geschehen – nicht als Zuhörende, sondern als Mitfühlende.
Es war ein Abend von seltener Schönheit. Le Banquet Céleste spielte mit berührender Klarheit und großer innerer Sammlung. In jeder Nuance spürte man das Vertrauen in die Musik, das gemeinsame Atmen, das innere Mitgehen. Das Publikum hörte – still, aufmerksam, bewegt. Und als der letzte Ton verklungen war, blieb für einen Moment nichts als Stille. Keine zögerliche, sondern eine ehrfürchtige. Wie ein Innehalten vor etwas Größerem. Für mich war es mehr als ein Konzert – es war ein tiefes, stilles Berührt Sein.

Neue Produktion für Beaune Festival – Im Rahmen der Scarlatti 300 Feiern

Il Primo Omicidio Der erste Mord

von Alessandro Scarlatti (1660-1725), Oratorium (Originalbezeichnung: Oratorio a 6 voci) in zwei Teilen

Libretto: Antonio Ottoboni, UA: Fastenzeit 1707, Venedig

Chor und Orchester: Les Accents

Cembalo: Phillipe Grisvard

Dirigent: Thibault Noally, Geige & Dirigent

Besuchte Aufführung: 12. Juli 2025, Cour des Hospices

Solisten: Natalie Perez, Eva (Sopran), Petr Nekoranec, Adam (Tenor), Camille Chopin, Abel (Sopran), Mathilde Ortscheidt, Kain (Alt), Paul Figuier, Voce di Dio, Stimme Gottes (Alt), Nicolas Broymans, Voce di Lucifero, Stimme Luzifers (Baß)

Vorbemerkung
Im barocken Innenhof des Cour des Hospices zur Bühne für ein selten aufgeführtes Meisterwerk von Alessandro Scarlattis Il Primo Omicidio (1707) aufgeführt. Unter sommerlichem Abendhimmel entfaltete sich ein musikalisches Drama von eindringlicher Wucht – die Geschichte vom ersten Mord, psychologisch raffiniert und bewegend inszeniert.

Das Oratorium Scarlattis Il Primo Omicidio erzählt die biblische Geschichte vom ersten Mord der Menschheit: Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Doch das Werk ist weit mehr als eine bloße Nacherzählung – es ist ein tiefgründiges musikalisches Drama über Schuld, Eifersucht, göttliche Gerechtigkeit und die menschliche Freiheit. Es ist faszinierend zu hören, wie er im Rahmen des Barockstils bereits Elemente des Musiktheaters andeutet.

Kurzinhalt
Nach dem Sündenfall leben Adam und Eva voller Reue außerhalb des Paradieses. Ihre Söhne Kain und Abel bringen Gott Opfer dar: Abel wählt das Beste seiner Herde, Kain bringt Früchte vom Feld. Gott nimmt Abels Opfer an, Kains jedoch nicht. Kain ist tief verletzt und beginnt, seinen Bruder zu beneiden.
Ein innerer Kampf entbrennt in Kain: Der Teufel flüstert ihm Zweifel ein, während ein Engel versucht, ihn zur Umkehr zu bewegen. Doch der Zorn siegt – und Kain tötet seinen Bruder auf dem Feld.
Nach der Tat wird Kain von Gott zur Rede gestellt. Er leugnet zunächst, doch Gott kennt die Wahrheit. Die Strafe folgt: Kain wird zum ruhelosen Wanderer verbannt. Adam und Eva trauern um ihren toten Sohn – und um die Schuld, die durch sie in die Welt kam.
Trotz allem endet das Oratorium nicht in Verzweiflung: Ein Hoffnungsschimmer bleibt – in der Möglichkeit von Reue und in Gottes Gnade.

Aufführung
Das Ensemble Les Accents unter dem energischen Dirigat von Thibault Noally, der selbst als erster Geiger spielte, hoch konzentriert und wunderbar transparent musizierte. Die Musiker paßten sich den oft recht zügigen Tempi an und behielten dennoch die Leichtigkeit im Spiel. Alle Instrumentalsolisten bewiesen ihre große technische Versiertheit und traten in reizvollen Dialog mit den Sängern. Extra zu erwähnen sind hier die Musiker im gleichermaßen virtuoses Spiel von Phillipe Grisvard (Cembalo), der brillant und couragiert begleitet. Die Kommunikation zwischen Dirigent (Thibault Noally) und Ensemble zeugte von einfühlsame, aufmerksame Harmonie. Die Sänger waren tadellos einstudiert, beispielsweise Natalie Perez, als Eva: mit ganzen Emotionen mit würdevoller Nüchternheit glänzte sie mit weicher, flexibler Stimmen. Die stilistische Schlichtheit paßt gut zum liebenswerten Mutter, die Kummer in einem erhabenen Mutterdaseins. Mit Voller Dramatik, aber mit stets kontrollierter, intonationssicherer und schöner Stimme, brillierten Camille Chopin, Abel (Sopran) in den virtuosen Passagen. Der Tenor Petr Nekoranec als Adam besaß eine klare Stimme mit allerlei stimmlichen Farben und war klangvoll mit sehr guter Koloraturtechnik sowohl in der unteren Oktave als auch in warmer, runder Höhe bei erstaunlicher Kondition.

Mathilde Ortscheidt als Kain zeigte innere Zerrissenheit spiegelt sich in dunklen Alt‑Arien und wiederkehrenden Fagottpassagen mit einer großen dramatischen Vielseitigkeit, wobei die stimmliche Intonation weich und sanft klang. Ortscheidt stellte sämtliche Facetten der Arien ausgesprochen berührend dar, was auch ihrem eher dunklen Timbre zuzuschreiben war. Die Sinfonia della strage – das lautmalerische Herzstück des Werks – wurde vom Orchester mit nervöser Spannung und technischer Präzision umgesetzt. Der Baß als Lucifer (Nicolas Broymans) verlieh dem Werk mit sonorer Tiefe dämonisches Gewicht, während die Stimme Gottes ruhige Stimme und unbestechlich mahnte.

Beonders zu erwähnen ist: Paul Figuier, der Countersänger. Er sang die Stimme Gottes. Er hat eine runde, sehr warme Stimme. Seine Stimme ist wohltuend. Durch seine fast perfekte Gesangstechnik konnten wir besonders die Aufführung genießen.

Fazit
Was mich besonders beeindruckt hat, war, wie szenisch das Ganze wirkte, obwohl es keine Bühne im klassischen Sinn gab. Die alttestamentarische Dramatik war mit Händen zu greifen – getragen von einer intensiven musikalischen Gestaltung, die nichts beschönigte, aber alles fühlbar machte.
Das Ensemble Les Accents spielte mit großer Hingabe, in jeder Phrase hört man Konzentration, Präzision – und echte Leidenschaft. Thibault Noally leitete als erster Geiger das Ensemble nicht nur technisch brillant, sondern mit einem inneren Feuer, das sofort übersprang. Seine Interpretation war lebendiger, differenziert und voller Energie – niemals aufgesetzt, sondern aus dem Werk heraus gedacht.
Und als hätte sich alles verschworen, um diesen Abend vollkommen zu machen, zeigte sich auch das Wetter von seiner besten Seite. Unter dem offenen Himmel, im Hof des Hospices, entstand eine Atmosphäre, die fast andächtig war – ruhig, warm, von Harmonie durchdrungen. Man fühlte sich als Teil eines besonderen Moments, den man nicht einfach konsumiert, sondern mitträgt.
Am Ende blieb nur ein aufrichtiges „Bravi!“ – für eine Aufführung, die Herz, Verstand und Sinne gleichermaßen berührt hat. Danke für diesen Abend.

Dixit Dominus Der Herr sprach

Overture (HWV 336)

Donna che in ciel, Cantate (HWV233)

Dixit Dominus (HWV232)

von G.F. Händel (1685-1759),  eine Vertonung des Psalms 110

UA: 16. und 17. Juli 1707,  Santa Maria in Montesanto, Rom

Chor und Orchester: Les Accents

Dirigent: Thibault Noally, Geige & Dirigent

Besuchte Aufführung: 13. Juli 2025, Basilica Notre-Dame

Solisten: Marlène Assayag, Sopran, Natalie Perez, Mezzosopran, Anthea Pichanick, Alt, Antonin Rondepierre, Tenor, Nicolas Brooymans, Baß

Overture (HWV 336)

Händels Ouvertüre in D-Dur, HWV 336, ist für mich ein Paradebeispiel barocker Einleitungsrhetorik – prachtvoll im Ausdruck, kunstvoll im Aufbau und bis heute eine beeindruckende Eröffnung für Konzerte oder geistliche Werke. Was mich besonders fasziniert, ist, wie Händel hier die stilistischen Strömungen seiner Zeit vereint: Die majestätisch-punktierte Gravität der französischen Ouvertüren Form trifft auf die kontrapunktische Klarheit deutscher Satzkunst – und dazu kommt diese theatralische Direktheit, die Händel in England so meisterhaft kultiviert hat.

Gerade diese Verbindung europäischer Klangtraditionen macht HWV 336 für mich zu einem besonderen Stück: Es ist nicht nur repräsentativ und wirkungsvoll, sondern vermittelt auch heute noch eine Aura von Feierlichkeit, Virtuosität und klanglicher Tiefe. Die Wahl der Tonart D-Dur – in Bearbeitungen mit Trompeten und Pauken – unterstreicht diesen festlichen Charakter. Aber auch in kleinerer Besetzung entfaltet die Ouvertüre ihre Wirkung: klar strukturiert, majestätisch und spannungsvoll.

Obwohl sie als Einzelwerk gilt, wurde die Ouvertüre oft als Einleitung zu Händels Oratorien genutzt – etwa bei Il Trionfo del Tempo oder Il Primo Omicidio, wenn keine eigene Ouvertüre vorhanden war. Für mich zeigt das: HWV 336 ist nicht nur ein formvollendeter musikalischer Auftakt, sondern auch ein echtes Allroundtalent – geistlich wie weltlich ein starker Beginn.

Donna, che in ciel Frau, die im Himmel  Cantate (HWV233)

Vorbemerkung
Donna, che in cielFrau, die im Himmel ist ein geistliches Oratorium von Georg Friedrich Händel, komponiert 1707 in Rom. Der vollständige Titel lautet oft: Donna, che in ciel si gode eterna paceFrau, die im Himmel die ewige Ruhe genießt – und ist ein feierliches Werk zu Ehren der Jungfrau Maria, komponiert zum Dank für die Rettung Roms vor dem Erdbeben von 1703.
Die Kantate, ursprünglich für die Feier Mariä Verkündigung geschrieben, entfaltet eine spirituelle und emotionale Tiefe, die weit über den liturgischen Anlaß hinausgeht. Händel gelingt es hier, das Religiöse nicht nur ehrfurchtsvoll, sondern auch ganz nahbar zu gestalten.
Was mich besonders anspricht, ist der dramaturgische Aufbau des Werkes: Schon in der Einleitung spürt man eine feierliche Spannung, die sich über die Arien und Rezitative hinweg immer wieder wandelt – von inniger Bitte bis zu jubelnder Zuversicht. Es ist diese barocke Ausdrucksvielfalt, die Händel so meisterhaft beherrscht: Jede musikalische Wendung ist bedeutungsvoll, jede Phrase scheint beseelt von Glauben und Hoffnung.

Kurzinhalt
Das Oratorium ist ein Lobpreis auf Maria, die himmlische Fürsprecherin. Zu Beginn ruft ein Engel die Menschheit auf, Maria Dank zu erweisen, denn durch ihre Fürbitte wurde Rom vor dem drohenden Untergang bewahrt.
In lyrischen und feierlichen Arien und Rezitativen preisen verschiedene allegorische Figuren – der Glaube, die Kirche, die Heiligen und der Engel – die göttliche Gnade, die durch Maria zur Menschheit gelangt ist.
Maria wird als Mittlerin zwischen Himmel und Erde dargestellt, als „Königin des Himmels“, die den Zorn Gottes abwendet und Schutz spendet. Die Musik feiert ihre Reinheit, ihre Güte und ihre Macht, das Böse zu besiegen.
Am Ende gipfelt das Werk in einem festlichen Schlußchor, der Maria als ewige Beschützerin verehrt und die Gläubigen zur Dankbarkeit aufruft.

Aufführung
Von den ersten Takten an war spürbar, wie sorgfältig und durchdacht diese Aufführung gestaltet war. Die feierliche Einleitung – getragen von einer warmen, aber nie überladenen Orchesterfarbe – führte unmittelbar in den geistigen Raum des Werks: eine Huldigung an die Jungfrau Maria, durchzogen von Hoffnung, Licht und innerer Erhebung.
Die Solistin (Natalie Pérez) beeindruckte mich durch ihre Ausdruckskraft und stilistische Feinfühligkeit. Ihre Stimme hatte jene barocke Leuchtkraft, die zwischen virtuoser Brillanz und inniger Versenkung changieren kann. Besonders in der Arie D’un serto di gigli ließ sie die Mariensymbolik musikalisch aufblühen – eine perfekte Verbindung von Text und Ton.

Auch das Ensemble Les Accents unter der Leitung von Thibault Noally musizierte mit Hingabe und Transparenz. Die Balance zwischen Continuo und obligaten Instrumenten war stets durchdacht, nie aufdringlich, sondern dienend – dem Werk, der Solistin und der Gesamtwirkung. Gerade in den Rezitativen entstand so eine musikalische Erzählung, die weit mehr war als nur religiöser Lobpreis: Sie wirkte persönlich, fast existenziell.

Fazit
Wenn ich Händels Kantate Donna, che in ciel, HWV 233 höre, berührt mich jedes Mal diese besondere Mischung aus barocker Pracht und zutiefst menschlicher Empfindung.

In einer Zeit, in der die großen geistlichen Werke oft von den bekannten Oratorien dominiert werden, war diese Aufführung von Donna, che in ciel eine wertvolle Entdeckung – und ein Beispiel dafür, wie reich, subtil und berührend Händels weniger bekannte Vokalwerke sein können. Für mich war es nicht nur ein Konzertabend, sondern eine musikalische Andacht im besten Sinne.

Dixit Dominus Der Herr sprach (HWV232)
Die Aufführung von Georg Friedrich Händels Dixit Dominus am 13. Juli 2025 im Rahmen des Festival de Beaune war die letzte Aufführung, die ich in diesem Jahr in Beaune besucht habe. Dieses großartige Stück war nicht nur wegen der eindrucksvollen Musik, sondern auch wegen der intensiven, fast körperlich spürbaren Energie, mit der das Werk in der romanischen Basilika zum Leben erweckt wurde.

Unter der Leitung von Thibault Noally musizierte das Ensemble Les Accents mit einer Klarheit, Präzision und expressiven Dringlichkeit, die selten zu erleben ist. Schon die ersten Takte – dieses unerbittlich pulsierende Dixit Dominus – hatten eine Kraft, die einem förmlich den Atem raubte. Händel war gerade 22 Jahre alt, als er dieses Werk komponierte – und doch klingt es, als wolle es mit aller Macht die Welt umarmen und erschüttern.

Was mich besonders beeindruckt hat, war die Balance zwischen barocker Virtuosität und klanglicher Transparenz. Das Ensemble ließ sich nie zu reiner Effekthascherei hinreißen, sondern zeichnete die dramatische Architektur des Werks mit bewundernswerter Kontrolle und Detailfreude nach. Die schnellen Chöre wirkten scharf konturiert, rhythmisch exakt und gleichzeitig lebendig – besonders das Judicabit in nationibus – Er wird unter den Völkern richten, war ein Höhepunkt an Energie und klanglicher Dichte.

Die Solisten – allen voran Natalie Pérez (Mezzosopran) – überzeugten durch stilsichere, ausdrucksstarke Interpretationen. Ihre Stimme in Virgam virtutis – Den Stab deiner Macht, hatte eine leuchtende Tiefe und zugleich eine mühelose Eleganz, die wunderbar mit dem Ensembleklang harmonierte. Auch die anderen Vokalsolisten fügten sich nahtlos in den dramatischen Fluß ein, ohne sich je in den Vordergrund zu drängen.

Was diese Aufführung für mich so besonders machte, war das Gefühl, dass hier nicht nur musiziert, sondern erzählt wurde – mit Leidenschaft, mit Respekt vor dem Werk und mit einem tiefen Gespür für dessen geistliche Wucht. Die Basilika selbst schien dabei mitzuschwingen, ihre steinernen Bögen wie ein Resonanzraum für Glauben, Zweifel, Triumph und Demut zugleich. Ein Dixit Dominus, das keine Spur bloß barocker Zierde war – sondern ein Manifest geistlicher Musik, das direkt ins Heute sprach. Für mich ein Höhepunkt des Festivals – und ein bleibender Moment.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Cour des Hospices, Ars Essentia

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