von Richard Wagner (1813–1883), Romantische Oper in drei Aufzügen, Text vom Komponisten
UA: 28. August 1850 Weimar
Regie: Charlotte Engelkes, Bühnenbild und Licht: Linus Fellbom, Kostüme und Maske: Anna Ardelius, Choreographie: Eytan Sivak, Video: Johannes Ferm Winkler
Dirigent: Patrik Ringborg, Szenenmusiker, Orchester und Chor der Oper Malmö, Chormeister: Elena Mitrevska
Solisten: Joachim Bäckström (Lohengrin), Sabina Bisholt (Elsa), Nicolai Elsberg (König Heinrich), Ólafur Sigurdarson (Telramund), Martina Dike (Ortrud), Luthando Qave (Heerrufer), u.v.a.
Besuchte Aufführung: 26. Oktober 2025 (Premiere)
Elsa von Brabant ist des Brudermordes angeklagt und hat vor dem Gericht König Heinrichs zu erscheinen, der ein Heer zum Kampf gegen die Ungarn versammelt. In ihrer Not weiß sie sich keine andere Hilfe als ein inbrünstiges Gebet. Das Wunder geschieht: Ein Ritter, dessen Herkunft und Namen sie nicht wissen darf, erscheint und tritt für sie gegen ihren Widersacher Friedrich von Telramund im Gotteskampf an. Der unbekannte Ritter trägt den Sieg davon und erringt damit die Hand Elsas. Telramunds Gattin Ortrud, eine heidnische Zauberin, die Elsas Vertrauen erschleicht, sät Zweifel an der Herkunft des unbekannten Ritters, die Elsa schließlich dazu bringen, ihm in ihrer gemeinsamen Hochzeitsnacht die verbotenen Fragen zu stellen. In diesem Moment schlägt ein Mordversuch Telramunds fehl, der von Elsas Gatten im Brautgemach erschlagen wird. Er gibt ihr und dem zum Krieg versammelten Heer nach Tagesanbruch Auskunft: Von Montsalvat, der Burg, in der der heilige Gral aufbewahrt wird, ist er zu Elsas Rettung gekommen und der Sohn des Herrschers über die Gralsritter. Sein Name ist Lohengrin und Elsas vermißter Bruder Gottfried von Ortrud in einen Schwan verwandelt worden. Da seine Herkunft bekannt geworden ist, muß er zu den Gralsrittern zurückkehren und nimmt Abschied von Elsa. Ortrud triumphiert, doch Lohengrins Gebet macht ihren Zauber rückgängig. Während das Volk staunend den Brabanter Thronfolger begrüßt, sinkt Elsa vernichtet nieder.
Aufführung
Bühnenbild und Kostüme bringen einige Extreme zusammen. Insgesamt ist das Bühnenbild durchaus auf wenige Elemente reduziert – darunter zwei riesige weiße Blöcke, die verschoben werden – und leer. Zugleich werden mit minimalistischen Mitteln maximale Effekte erzielt. Mitunter werden die Blöçke transparent und lassen Figuren traumartig weichgezeichnet sichtbar werden. Zudem laufen während der gesamten Aufführung kleine Scherenschnittfiguren die Rampe entlang, die groß auf die leeren weißen Flächen projiziert werden. Diese können mit der Handlung zusammenhängen – man sieht ein Boot und einen Schwan bei Lohengrins Ankunft – oder auch nicht; während Elsas schwärmerischem Duett mit Ortrud im zweiten Aufzug sieht man einen Saturn oder einen Wal während der Brautgemachszene im dritten Aufzug. Und hier kommen zwei weitere Extreme zusammen: Während die Regie die originale tragische Handlung im Wesentlichen intakt läßt, enthält die Inszenierung zuhauf bizarre Einfälle und reichert das Geschehen mit humoristischen Momenten an. So hält Heinrich der Vogeler tatsächlich ständig ein Vogelhäuschen in der Hand und hat einen Kragen, der aus Buschwerk und kleinen Vögeln besteht. Auf seinen Plateausohlen ragt er über alle anderen Sänger hinaus. Gelegentlich nimmt er wie eine große Klucke auf einem großen Gummiball Platz. Die Chöre, vor allem im ersten Aufzug, bewegen sich phasenweise wie aufgescheuchte Hühner, sind zugleich aber strikt geometrisch voneinander getrennt; das schafft auch Transparenz im Klangbild. Ortrud und Telramund tragen im zweiten Aufzug ein schwarzes Federkleid. Das Wunder im ersten Aufzug ist buchstäblich erhebend – ein großer, rechteckiger Teil der Szene wird angehoben – und ironisch gebrochen zugleich: Lohengrin tritt in schluffiger Kleidung im Publikum auf und bahnt sich singend seinen Weg durch die Zuschauerreihen zur Bühne. Am Ende der Oper verläßt er die Bühne in Richtung des Künstlerausgangs.
Sänger und Orchester
Patrik Ringborg hatte neben dem großen Chor und Orchester auch die zahlreichen Szenenmusiker zu leiten, die im dritten Akt im gesamten Auditorium verteilt sind. Das gelang trotz der schwierigen Akustik des Saales ohne rhythmisches Klappern. Mit Ausnahme des Vorspiels zum dritten Aufzug, das er etwas zu flott nahm, war die Wahl der Tempi vorzüglich. Choristen und Solisten konnten ihre Melodien gut aussingen und den Text deutlich vortragen. Der technische Standard der sängerischen Leistungen war durchweg hoch. Beachtlich war wie gesagt die Klarheit in der Interpretation des Chorsatzes dank der voneinander getrennt aufgestellten Gruppen von Choristen. Eytan Sivaks Choreographie sorgte für ein stets bewegtes Bühnenbild in den Szenen mit Chor. Durch ihr abwechslungsreiches Spiel werden dessen Sänger zu aktiven Akteuren der Handlung. Auch ihre Textaussprache muß hier lobend erwähnt werden. Das Orchester machte seine Sache sehr ordentlich; ein paar kieksende Einsätze der Bläser taten der Sache hier keinen Abbruch. Allerdings sind die architektonischen Gegebenheiten im Haus einem derart stark besetzten Orchester nicht zuträglich. Das fiel vor allem bei den hohen Streicherpassagen auf, die im Vergleich zu den Bläsern etwas dumpf klangen. Auch von den Kontrabässen hätte man gerne mehr gehört.
Wenden wir uns den solistischen Leistungen zu: Luthando Qave gab einen charismatischen Heerrufer, der sich stimmlich gut gegen die Orchestereinwürfe behaupten konnte. Nicolai Elsberg (König Heinrich) kam die Aufgabe zu, sich in einem einengenden Kostüm über die Bühne zu bewegen. Das gelang ihm mit erstaunlicher Leichtigkeit. Seine Charaktergestaltung war überraschend wenig statuarisch, sondern recht einfühlsam und empathisch. Stimmlich hatte er keine Probleme mit der Partie, auch wenn die Aussprache etwas klarer sein könnte. Ólafur Sigurdarson (Telramund) geht seine Partie mit viel Kraft an und sein Vortrag wirkte dann auch in einzelnen Momenten leicht angestrengt. Darstellerisch und stimmlich wurde er von Martina Dike (Ortrud) in den Schatten gestellt, was von der Regie so intendiert sein dürfte. Ihre Leistung war in allen Belangen ergreifend. Darstellerisch ist sie wandlungsfähig; ihre kurze stumme Klage an der Leiche Telramunds, die sofort in Hohn und Haß über das Versagen Elsas umschlägt, verleiht der Rolle der Ortrud eine zutiefst anrührende Note. Außergewöhnlich ist ihr Gesang. Dike setzt die Töne weich an und verfügt über einen leicht hauchigen, beinahe schon zerbrechlichen Ton mit einem feinen, leicht ansprechenden Vibrato. Dabei hat ihre Stimme viel Volumen. Sie kann aber auch leuchtende Spitzentöne stellen, die es mit jeder Hochdramatischen aufnehmen können. Mit einer derart breiten technischen Palette ausgestattet, machte sie die Rolle der Intrigantin zu der vielschichtigsten in dieser Produktion. Sabina Bisholt (Elsa) hat im Vergleich mit den anderen Solisten eine recht leise Stimme. Das Orchester und die Duette mit ihrer Beteiligung wurden dementsprechend dynamisch zurückgenommen. Allerdings, so muß man der Gerechtigkeit halber hinzufügen, handelt es sich bei ihrer Partie ja auch um eine jugendlich-lyrische Rolle. Was ihr an stimmlichem Ausdrucksvermögen abgeht, machte sie durch ihr intensives physisches Schauspiel wett. Ihre Elsa ist zu Beginn naiv – sehr schön die Idee, ihre Bewegungen bei ihrem ersten Auftritt durch die Choristinnen verstärken zu lassen –, läßt ihre wachsende Unruhe im zweiten Aufzug durch hektisches Spiel erkennbar werden und konfrontiert im letzten Aufzug Lohengrin vollkommen nachvollziehbar mit der fatalen Frage. Joachim Bäckström (Lohengrin) ist ein nahezu perfekter Lohengrin. Darstellerisch souverän und mit einem den Raum füllenden, glänzenden Timbre sang er die Titelpartie scheinbar mühelos und ohne an seine Grenzen zu geraten, mit einer Ausnahme: Das gefürchtete hohe A in der Gralserzählung sang er auf Sicherheit, also nur kurz andeutend und ohne Spitze. Davon abgesehen war sein Vortrag mustergültig.
Fazit
Der Lohengrin in Malmö wird musikalisch sehr gut dargeboten. Die überwältigenden Momente, an denen die Partitur reich ist, treffen das Publikum mit voller Wucht. Wie soll man aber diese Produktion kurz zusammenfassen? Selten habe ich eine derartige Mischung aus unterschiedlichen optischen und erzählerischen Ebenen und eine solche Vielfalt von technischen und inhaltlich leicht verrückten Einfällen gesehen, die das Stück dann überraschenderweise eben nicht verfremden oder lächerlich machen. Was auch immer das Konzept der Regisseurin Charlotte Engelkes gewesen ist – es geht auf! Man könnte die ganzen Anspielungen auf unsere gefiederten Freunde als einen billigen visuellen Kalauer – Herr Heinrich sitzt am Vogelherd usw. – empfinden, aber merkwürdigerweise geschieht das nirgends. Stattdessen entsteht, trotz der ernsthaften, tragischen Handlung, so etwas Paradoxes wie ein – entschuldigen Sie bitte die Metapher – federleichter Lohengrin, der aus einer ständigen Abfolge schöner szenischer Bilder besteht. Man möchte mehr intelligente und zugleich unterhaltsame Inszenierungen wie diese sehen. Trotz einer gewissen stilisierenden Kühle bleibt ihr Gesamteindruck farbenfroh, packend und kurzweilig. Das Publikum war vom ersten Aufzug an hörbar begeistert.
Dr. Martin Knust
Bild: Jonas Persson
Das Bild zeigt: Joachim Bäckström (Lohengrin), Sabina Bisholt (Elsa)
