PARSIFAL – Essen, Aalto Theater

von Richard Wagner (1813-1883), Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen, Dichtung: Richard Wagner, nach dem mittelalterlichen Epos von Wolfram von Eschenbach UA: 26. Juli 1882 Bayreuth, Festspielhaus

Regie: Joachim Schloemer, Bühne: Jens Kilian, Kostüme: Nicole von Graevenitz

Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker

Solisten: Jeffrey Dowd (Parsifal), Heiko Trinsinger (Amfortas), Jane Dutton (Kundry), Magne Fremmerlid (Gurnemanz), Almas Svilpa (Klingsor) u.a.

Besuchte Aufführung: 17. März 2013 (Premiere)

Kurzinhalt

Amfortas, Hüter und König des ewiges Leben spendenden Grals, hat den heiligen Speer an den Zauberer Klingsor verloren und mit der geheimnisvollen Kundry, Klingsors Werkzeug, sein Keuschheitsgelübde gebrochen. Klingsor schlug Amfortas außerdem mit dem Speer eine Wunde, die nicht mehr heilt – bis ein „reiner Tor“ Mitleid mit Amfortas‘ Schicksal hat und den Speer zurückerobert. Der Retter läßt auf sich warten, und Amfortas weigert sich, sein elendes Leben durch Enthüllung des Grals zu verlängern. Da erscheint Parsifal, ein unbedarfter Jüngling, den Amfortas‘ Vertrauter Gurnemanz zunächst vergeblich auf seine Berufung aufmerksam macht. Erst die Beinah-Verführung durch Kundry öffnet Parsifal die Augen, er gewinnt den Speer zurück, Klingsor ist entmachtet und Kundry frei von ihm. Parsifal folgt Amfortas auf den Gralsthron nach.

Aufführung

Im Zentrum der Bühne beherbergt ein Glascontainer die Intensivstation, auf der der schwer verletzte Amfortas dahinvegetiert. Hier läuft im ersten Akt eine immer gleiche Szene ab: Amfortas reißt sich den Verband herunter, kriecht mit blutender Wunde zum Fenster und preßt seinen Körper gegen die Scheibe. Ärzte und Reinigungskommando rücken an, um die Spuren zu beseitigen. Währenddessen führt Gurnemanz die Amtsgeschäfte, unterstützt von der Gralsritterschaft (einer Mischung aus Trachtenverein und Burschenschaft) sowie von Kundry und ihrer Doppelgängerin. Das Krankenhauszimmer ist auch Schauplatz der Gralszeremonie, bei geschlossenen Vorhängen. Erst am Schluß, in einem Endzzeitszenario der Verwüstung mit Gurnemanz als Obdachlosem, wird der Zuschauer den Gral zu Gesicht bekommen: eine Kraft spendende Leuchtkugel. Erst dann werden auch Teile des Chors sichtbar, der bisher nur auf der verdunkelten Hinterbühne und auf dem dritten Rang des Zuschauerraums plaziert war. Während Amfortas sich mit dem Speer tötet, finden sich alle Beteiligten zum Finale zusammen. Kundrys Doppelgängerin schwebt erlöst zum Himmel.

Sänger und Orchester

Die Kompromißlosigkeit, mit der alle Beteiligten in ihren Rollen aufgehen, hat mit Engagement nichts mehr zu tun. Diese Produktion hat für jeden Ausnahmestatus. Heiko Trinsinger (Amfortas) schlägt mit seiner lyrischen, nobel timbrierten Stimme Heldenbariton-Töne an, die man so von ihm noch nicht gehört hat. Daß er sich bei seiner großen Szene Wehe mir der Qual allein auf der Bühne befindet und man sich so ganz auf ihn konzentrieren kann, verstärkt diesen Eindruck noch. Ein Gewinn ist auch Gast Magne Fremmerlid (Gurnemnanz): Der Norweger beherrscht sein Riesen-Organ bis ins Kleinste, kann so allen Facetten der Partie, von Zärtlichkeit über durchaus brutale Autorität bis hin zur religiösen Verzückung O Gnade, höchstes Heil, uneingeschränkt gerecht werden. Star-Potential hat Jane Dutton (Kundry), die in Essen nahtlos an ihr phänomenales Rollendebüt an der English National Opera 2011 daran anknüpft: Die einen gewaltigen Stimmumfang fordernde Partie lotet sie von der satten mittleren und tiefen Lage bis zu den ekstatisch-strahlenden Spitzentönen genußvoll aus. Besonders beeindruckend: der berüchtigte Intervallsprung auf dem Wort „lachte“ in der Erzählung Grausamer! Fühlst du im Herzen. Jeffrey Dowd (Parsifal) scheint sich an diesem Abend mit sonorem Brustregister und herrlich metallischer Höhe in die erste Riege der Parsifal-Interpreten vorsingen zu wollen. Nicht nur die wallende blonde Perücke (über Geschmack läßt sich streiten) erinnert an Peter Hofmann, einen der bedeutendsten Sänger der Partie. Leider lassen Dowds Kräfte gegen Schluß nach. Der dämonisch-grobschlächtige Hexenmeister von Almas Svilpa (Klingsor) rundet das Protagonisten-Quintett ab.

Bleiben noch der mit sensationeller Klangfülle Zum letzten Mal aufsingende Chor des Aalto-Theaters und vor allem die Essener Philharmoniker unter ihrem scheidenden GMD Stefan Soltesz: ein internationalen Maßstäben standhaltender musikalischer Glücksfall. Der zärtliche Streicherteppich des Karfreitagszaubers, die sinnlich-rauschhaften Ausbrüche des zweiten Aktes oder die monumentale Wucht der finalen Gralszeremonie – alles Momente, die wohl erst einmal unvergeßlich bleiben dürften.

Fazit

Der Schlußakkord des ersten Aktes ist noch nicht ganz verklungen, da erhebt sich in den vorderen Reihen ein Zuschauer und schreitet demonstrativ zum Ausgang. Wie so mancher andere wird er nicht zurückkehren – schade, denn er hat einiges versäumt. Vor allem ein musikalisches Fest, bei dem alle Mitwirkenden wie im Rausch agieren. Joachim Schloemers mitunter überfrachtete Inszenierung ist gewöhnungsbedürftig, nicht zuletzt wegen der Mengen an Bühnenblut. Neben unfreiwillig komischen handwerkliche Schwächen stehen aber auch Momente von größter emotionaler Intensität, die kaum jemanden unberührt lassen dürften. In jedem Fall ist dieser Parsifal ein mehr als würdiger Beitrag zum Wagner-Jahr, und ein Höhepunkt der zu Ende gehenden Amtszeit von GMD Stefan Soltesz.

Dr. Eva-Maria Ernst

Bild: Thilo Beu

Das Bild zeigt: Heiko Trinsinger (Amfortas), im Hintergrund Marcel Rosca (Titurel)

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