Leipzig, Oper – LA VOIX HUMAINE – DIE MENSCHLICHE STIMME

von Francis Poulenc (1899-1963); Oper in einem Akt, Dichtung von Jean Cocteau , UA: 6. Februar 1959, Paris
Regie: Christoph Meyer, Bühnenbild/Kostüme: Ramon Ivars
Dirigent: Josep Vincent, Gewandhausorchester
Solistin: Angeles Blancas (Eine Frau)
Besuchte Aufführung: 21. September 2008 (Premiere)

Kurzinhalt
leipzig-la-voix-humana.jpgEine Frau ist von ihrem Geliebten verlassen worden. In einem langen, schmerzhaften Gespräch versucht sie ihn vergeblich wiederzugewinnen, bevor sie die Wahrheit erkennen muß.
Aufführung
Eine Frau, ein Telephon, eine Sitzgruppe: mehr braucht man nicht, um ein äußerst spannendes Seelendrama auf die Bühne zu bringen.
Sänger
Angeles Blancas füllt die anstrengende wie packende Rolle mit allen Gefühlsregungen zwischen scheinbarer Selbstsicherheit und psychischem Zusammenbruch, zwischen euphorisch-verzweifelten Ausbrüchen und ängstlichem Fragen stimmlich und darstellerisch vollkommen aus. Unter dem Dirigenten Josep Vincent erglüht Francis Poulencs zurückhaltende und doch emotional ergreifende Partitur in den schönsten Farben.
Bild: Andreas Birkigt
Das Bild zeigt: Angeles Blancas als telefonierende Frau

PIERROT LUNAIRE

von Arnold Schönberg (1874-1951), drei mal sieben Gedichte, Dichtung von Albert Giraud, deutsch von Otto Erich Hartleben UA: 9. Oktober 1912 , Berlin
Regie/Bühne/Kostüme: Peter Konwitschny
Dirigent: Johannes Harneit, Mitglieder des Gewandhausorchesters
Solistin: Young-Hee Kim
Besuchte Aufführung: 21. September 2008 (Premiere)

Kurzinhalt
leipzig-la-voix-humaine.jpgEin trauriger Clown trauert vergangenen Zeiten nach. In schmerzhaften, poetischen Bildern erinnert er sich an die Vergangenheit, um in eine neue Welt aufzubrechen.
Aufführung
Der nicht für die Bühne geschriebene Zyklus von 21 Melodramen wird hier von einer Frau zusammen mit den Musikern, die auch szenisch mitspielen, als Lehrstück über die Funktion des Künstlers in Zeiten des Zusammenbruchs aller Werte dargestellt. Erzählt wird nicht eine Geschichte; statt dessen schlüpft die Sängerin auf einer fast leeren Bühne, auch mit Hilfe eines Plastikvorhangs, in verschiedene Kostüme: zunächst als betrunkene Frau, dann als leidende weibliche Kreatur, schließlich als verzweifelte Intellektuelle im Jackett, die mit einem unendlich langen Band die Zuschauer in der ersten Reihe aneinanderbindet und schließlich nach draußen entschwindet, wo sie den „alten Duft aus Märchenzeit“ suchen will.
Sänger und Musiker
Young-Hee Kim spielt ausgezeichnet, artikuliert aber so ungenau, daß die für kleine Säle geschriebene Komposition ein wenig an Wirkung verliert, da der nicht ganz einfache Text nur schwer verständlich ist. Sie macht es meist wett durch komische und anrührende Episoden, die wichtige Fragmente des Textes begreifbar machen. Die ausgezeichneten Musiker des Gewandhausorchesters spielen nicht nur szenisch (und sehr komisch) mit, sondern auch instrumental: unter Johannes Harneit entfaltet sich die poetische Gestalt der freitonalen Komposition rhythmisch und stimmungsmäßig sehr genau.
Fazit
Ein spannender, lange bejubelter Abend, der zwei gattungsmäßig und inhaltlich nicht wirklich zusammengehörende Werke anspruchsvoll koppelt. Schönbergs Stück beginnt dort, wo Poulencs Nicht-Verständigungstragödie endet. Der Regisseur „erdet“ die poetischen Bilder und die komplizierte Musik des Werks, um es uns jenseits einer bloßen Kunst-Übung verständlich zu machen, nachdem das Psychodrama uns durchgeschüttelt hat. Die beiden Regisseure haben, zusammen mit zwei insgesamt sehr stark spielenden und singenden Sängerinnen, in einem konzentrierten, sich durch verschiedenste Stilmittel ergänzenden Doppelabend gezeigt, daß eine Spielzeit auch mit sogenannten „kleinen“ Stücken vollgültig eröffnet werden kann – und daß die Oper immer dann am stärksten ist, wenn leidende Individuen auf der Bühne stehen.

Frank Piontek
Bild: Andreas Birkigt
Das Bild zeigt: Young-Hee Kim als betrunkene Frau

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