AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY – Wien, Staatsoper

Oper in drei Akten von Kurt Weill (1900-1950), Libretto:  Berthold Brecht. UA: 9. März 1930 Leipzig, Neues Theater

Regie: Jérôme Deschamps, Bühne: Olivia Fercioni, Kostüme: Vanessa Sannino, Licht: Marie-Christine Soma, Regiemitarbeit und Dramaturgie: Ellen Hammer

Dirigent: Ingo Metzmacher, Wiener Philharmoniker, Chor der Wiener Staatsoper, Einstudierung: Thomas Lang

Solisten: Elisabeth Kulman (Leokadja Begbick), Tomasz Konieczny (Dreieinigkeitsmoses), Angelika Kirchschlager (Jenny Hill), Christopher Ventris ( Jim Mahoney), Herwig Pecoraro (Fatty), Norbert Ernst (Jack O’Brien), Clemens Unterreiner (Bill), Il Hong ( Joe), Wolfram Igor Derntl (Tobby Higgins)

Besuchte Aufführung: 27. Januar 2012 (B-Premiere)

Kurzinhalt

Die drei steckbrieflich gesuchten Betrüger Leokadja Begbick, Fatty, der „Prokurist“, und der „Dreieinigkeitsmoses“ gründen auf der Flucht eine Stadt in der Wüste: Mahagonny. Diese „Netzestadt“

(1. Bild) wird schon bald von Gesindel aller Art bewohnt, unter ihnen der Holzfäller Jim Mahoney und die Prostituierte Jenny. Alle vergnügen sich zunächst einträchtig bei Whiskey und Liebe, bis ein Sturm aufkommt. In Angst vor dem Sturm wird Jim aggressiv, er verkündet die Gesetze der menschlichen Glückseligkeit: Jeder dürfe nun tun, was er wolle, im Klartext: Fressen, Lieben, Boxen und Saufen. Der Sturm verschont die Bewohner Mahagonnys, die jedoch bald zu Opfern ihres eigenen Gesetzes werden: Der Holzfäller Jack frißt sich zu Tode und sein Freund Joe wird totgeprügelt. Auch Jim wird sein Gesetz zum Verhängnis: Weil er kein Geld mehr hat, wird er zum Tode verurteilt. Seine Freunde haben ihn in letzter Minute verlassen, denn bei Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf. Die Bewohner Mahagonnys beweinen Jims Tod keineswegs, denn sie „können einem toten Mann nicht helfen“ (20.Bild).

Aufführung

Ein Conférencier führt die Zuschauer in die Handlung ein und sagt die Szenenüberschriften an – ganz in Brechtscher Manier. Doch ansonsten setzt Deschamps die Mittel des epischen Theaters – abgesehen von dem eingezogenen weißen Halbvorhang – eher spärlich ein. Vor den im Hintergrund der projizierten Hochhaus- und Industrielandschaften kommen die bonbonfarbenen, phantasievollen Kostüme von Vanessa Sannino gut zur Geltung. Im dritten Akt dominiert dann die Farbe schwarz als Trauerfarbe für die Kostümierung, effektvolle Kontraste entstehen durch die roten Handschuhe, die alle Darsteller tragen: Das Blut Jim Mahoneys klebt nun an ihren Händen.

Sänger und Orchester

Dirigent Ingo Metzmacher und die Wiener Philharmoniker haben sichtlich Spaß an der polystilistischen Musik, sie swingen und jazzen, daß es eine Freude fürs Ohr ist. Metzmacher beweist ein sicheres Gespür für Feinheiten der Musik Weills, das Largo des Finales nimmt er z.B. tatsächlich so langsam, daß eine ungeheure Spannung über eine sehr lange Distanz entstehen kann. Er schafft es trotz des Fragment-Charakters der Musik einen Spannungsbogen über die gesamte Oper zu halten, so daß die Oper nicht in viele Einzelnummern zerfällt. Die Philharmoniker geben sich beschwingt und flink, dabei immer präzis in der Rhythmik. Die Besetzung der Solo-Parts ist exquisit, die Solisten gehören zu den Publikumslieblingen der Wiener Staatsoper: In der Rolle des Jim ist der Wagner-erprobte Tenor Christopher Ventris zu hören, der besonders in der Arie im dritten Akt (17. Bild: Wenn der Himmel hell wird…) sowohl stimmlich als auch schauspielerisch zu berühren vermag. Andrea Kirchschlager (Jenny) beweist, daß Opernsängerinnen auch Songs singen können: Sie singt den Alabama-Song mit aller gebotenen Laszivität und Verruchtheit. Fulminant auch Elisabeth Kulman als Leokadja Begbick: Die Sopranistin gibt der Partie die Schärfe und stimmliche Virilität, die sie braucht, um glaubhaft zu sein. Insgesamt agiert das Ensemble auf höchstem Niveau, wovon der lange Schlußapplaus und die zahlreichen Bravo-Rufe für die Hauptdarsteller Zeugnis geben.

Fazit

Für die Wiener Staatsoper ist es ein Debüt: Die Mahagonny-Oper gelangt in der Inszenierung von Jérôme Deschamps zur Erstaufführung im Opernhaus am Ring. Kritische Stimmen betonten vorab, daß ein Traditionshaus wie die Wiener Staatsoper nicht passend sei, um die Brecht/Weill-Oper auf die Bühne zu bringen. Daß dies ein Trugschluß ist, beweist der kräftige und langanhaltende Beifall des Wiener Opernpublikums. Dieser gilt jedoch vor allem dem exzellenten Sänger-Ensemble sowie Dirigent und Orchester. Die Inszenierung bleibt jedoch hinter der Farbigkeit der Musik zurück. Sowohl die sozialpolitische Brisanz der Oper als auch die spannenden, handlungstragenden Momente wie das Heraufziehen des Taifuns werden leider uninspiriert umgesetzt.

Annika Klanke

Bild: Michael Pöhn

Das Bild zeigt: Christopher Ventris (Jim Mahoney), Angelika Kirchschlager (Jenny Hill), Clemens Unterreiner (Sparbüchsenbill)

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