LA VIDA BREVE / CAVALLERIA RUSTICANA – Lübeck, Theater

La Vida Breve

von Manuel de Falla (1876-1946), Drama Lirico in zwei Akten und vier Bildern, Libretto: Carlos Fernández-Shaw, UA: 1. April 1913 Nizza, Casino Municipal

Cavalleria Rusticana

von Pietro Mascagni (1863-1945), Melodramma in einem Aufzug, Libretto: Giovanni Targioni-Tozetti und Guido Mensaci nach Giovanni Verga, UA: 17. Mai 1890 Rom, Teatro Consatanzi

Regie: Rosetta Cucchi, Bühne: Tiziano Santi, Kostüm: Claudia Pernigotti, Licht: Falk Hampel, Dramaturgie: Dr. Richard Erkens, Choreographie: Martina Wüst

Dirigent: Roman Borgli-Sacher, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck und Chor und Extrachor

Solisten: Ausrine Stundyte (Salud/Santuzza), Veronika Waldner (Die Großmutter/Mamma Lucia), Dimitry Golovnin (Paco/Turiddu), Gerad Quinn (Onkel Sarvaor/Alfio) Wioletta Hebrowska (Carmela/Erste Verkäuferin/Lola) u.a.

Besuchte Aufführung: 13. Januar 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

In La Vida Breve steht die junge Salud im Mittelpunkt, die im „Albaicín“, einem ärmlichen Vorort von Granada, auf ihren besser situierten Liebsten Paco wartet. Dieser verspricht ihr ewige Treue, heiratet jedoch nur einige Tage später eine Frau seines Standes. Salud, ihre Großmutter und ihr Onkel stürmen die Hochzeit. Während der Onkel auf Rache Sinnt, klagt Salud, die sich vorher versucht hat, selbst das Leben zu nehmen, ihren Geliebten der Untreue an und bitten ihn, sie zu töten, was dieser verweigert. Sie stirbt in einem letzten Aufbegehren an ihren Verletzungen.

In Cavalleria Rusticana entspinnt sich eine ähnliche Geschichte um das Paar Santuzza-Turiddu. Turiddu verbringt die Nacht mit seiner ehemaligen geliebten Lola, die mittlerweile mit dem Fuhrmann Alfio verheiratet ist. Santuzza erfährt von der Untreue und konfrontiert Turiddu mit den Vorwürfen, welcher sie daraufhin verläßt. Santuzza verrät Turiddu an Alfio, welcher diesen zum Duell fordert. Santuzza und Lucia, Turiddus Mutter, bleiben zurück und man hört aus der Ferne, daß Turiddu gefallen sei. Mit dem berühmt gewordenen „veristischen Schrei“ der Santuzza fällt der Vorhang.

Aufführung

Die beiden in La Vida Breve gegenübergestellten Sozialen schichten spiegeln sich in dem Bühnenbild wieder: zunächst finden wir uns in einem heruntergekommenen, von Kriminalität, Armut und gegenseitiger Abhängigkeit dominierten, hinterhofartigen Milieu wieder. Die Bewohner ringen ums Überleben und schließen die Augen vor der herrschenden Gewalt. Als Gegenpol wird die Hochzeit des Paco in einen nobel ausgestatteten Festsaal mit teuren Kleidern, Flamenco-Tänzern und livreetierten Dienern gefeiert.

Die Handlung der Cavalleria versetzt uns in ein sizilianisches Salzarbeiter-Dorf, dessen Mittelpunkt ein Salzstock bildet. In ihm wird nicht nur gearbeitet, sondern auch die Ostermesser gehalten. Kostüm, Ausstattung und Regie folgen den Idealen des Verismo und ziehen bewußt gestreute inszenatorische Feinheiten einer verkopften, schwer lesbaren Inszenierung vor

Sänger und Orchester

Die Wahl, den Verismo-Klassiker Cavalleria Rusticana nun mal nicht mit Leoncavallos Bajazzo ,sondern mit dem eher unbekannten Vida Breve zu kombinieren, wird wohl nur durch die Wahl von Ausrine Stundyte (Salud/Sanuzza) als „Prima Donna“ dieses Operndoppels übertroffen. Zwar hatte sie – wie das gesamte Ensemble – einige Startschwierigkeiten, jedoch lief sie schnell zu wahrer Größe auf. Stimmlich wie darstellerisch glänzte sie durch Natürlichkeit und starke Emotionalität. Sie legte stets ihr gesamtes Gefühl in ihre Stimme, was jede Szene eine große Relevanz und Intimität vermittelte und sie ohne auslandende Gestik oder übertriebenes Spiel stets in den Mittelpunkt der Bühne rückte. Anfänglich riß ihr jedoch die Stimme das ein oder andere Mal aus, was wohl durch ihre starke emotionale Verbindung zum Gesungenen zu erklären ist. Dimitry Golovnin (Paco/Turiddu) zeigte erst im zweiten Teil des Abends sein ganzes Können und brillierte neben seiner Geliebten in herzerweichenden Duetten, transportierte glaubhafte Verzweiflung in sicherer Todesnähe und steckte Chor und Zuschauer mit übersprühender Sangesfreude in seinem Trinklied an. In der einen oder anderen Szene schien ihn diese Durchlässigkeit leider zu verlassen, und er wirkte gesanglich neben der so authentischen Ausrine Stundyte sehr gekünstelt und verkrampft. Eine Solide Leistung brachte Veronika Waldner (Großmutter/Lucia) als Mutterfigur in beiden Stücken, wobei  ihr rezitativische Passagen scheinbar besser lagen als ariose. Als – im wahrsten Sinne des Wortes – profunder Gegenpol fungierte der überzeugende, stimmgewaltige Baßbariton Gerad Quinn (Onkel Sarvaor/Alfio). Trotz nur kleiner Rollen begeisterte auch Wioletta Hebrowska das Publikum. Mit ihrem lyrischen, sehr gesanglichen Sopran, ihren scharf und kantig gearbeiteten Rezitativen konnte sie die „verdorbene“ Lola authentisch vermitteln. Im Allgemeinen schien das Ensemble mit der spanischen Sprache des Vida Breve einige Schwierigkeiten zu haben, was sie aber mit einer durch starke emotionale Bindung zum Gesungenen gezeigtes Textverständnis kompensieren konnten.

Das Philharmonische Orchester Lübeck unter ihrem Dirigenten Roman Brogil-Sacher leistete Unglaubliches. Sie musizierten konsequent mit großer Spielfreude, zeigten filigran gearbeitete Dynamik und Ausdrucksstärke von der Übersprühenden Lebensfreude der Dansas Españolas oder des Trinkliedes bis zur ergreifenden Dramatik der Todesszenen.

Fazit

Das Publikum  belohnte die hervorragende sängerische und musikalische Darbietung des Abends mit überschwenglichem Schluß- und vielmaligem Szenenapplaus. Gerechtfertigt, denn das gesamte Ensemble konnte durch große Authentizität und Emotionalität der in anderen Opernhäusern etwas eingestaubten Cavalleria und dem fast vergessenen Vida Breve Leben, Wirklichkeitsnähe und starke Gefühle eingebe.

Maik Hoppe

Bild: Theater Lübeck/Oliver Fantitsch

Das Bild zeigt:  Ausrine Stundyte als Salud

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