Tiroler Festspiele, Erl

Musikalische Leitung und Regie: Gustav Kuhn, Orchester und Chorakademie der Tiroler Festspiele Erl, Choreinstudierung: Marco Medved

Parsifal

von Richard Wagner (1813-1883), Text vom Komponisten, Bühnenweihfestspiel in drei Akten, UA: 1882, Bayreuth

Solisten: Thomas Gazheli (Amfortas), Michael Doumas (Titurel), Franz Hawlata (Gurnemanz), Michael Baba (Parsifal), Michael Kupfer (Klingsor), Mona Somm (Kundry), Michaela Bregantin (Stimme aus der Höhe), u.a.

Besuchte Aufführung: 29. Juli 2011 (Wiederaufnahme)

Messa da Requiem

von Giuseppe Verdi (1813-1901)

Solisten: Adela Golac Rilovic (Sopran), Renee Morloc (Mezzosopran), Zvetan Michailov (Tenor), Andrea Silvestrelli (Bass)

Besuchte Aufführung: 30. Juli 2011

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg (Pariser Fassung)

von Richard Wagner (1813 – 1883), Große romantische Oper in drei Aufzügen, Dichtung vom Komponisten, UA: 1845 Dresden

Solisten: Thomas Gazheli (Landgraf Hermann), Luis Chapa (Tannhäuser), Michael Kupfer (Wolfram), Ferdinand von Bothmer (Walther), Julian Orlishausen (Biterolf), Wolfram Wittekind (Heinrich), Michael Doumas (Reinmar), Arpine Rahdjian (Elisabeth), Mona Somm (Venus), Michelle Buscemi (Hirt), u.a.

Besuchte Aufführung: 31. Juli 2011 (Premiere)

Vorbemerkung

Die Tiroler Festspiele Erl wurden 1997 von Gustav Kuhn und Andreas Schett gegründet: Man begann damals 1998 mit Rheingold. Gustav Kuhn prägt die Festspiele maßgeblich als Dirigent und Regisseur. Gespielt werden Opern mit Schwerpunkt Wagner, Konzerte und Kammermusikabende. In diesem Jahr wurde Tannhäuser als Neuproduktion gegeben, Die Meistersinger von Nürnberg und Parsifal waren Wiederaufnahmen.

Spielort für Opern ist das Passionsspielhaus, das alle sechs Jahre für die Passionsspiele benötigt wird. Deshalb wird nun ein Winterfestspielhaus errichtet.

Aufführung, Sänger und Orchester

Das wichtigste Requisit des Parsifal ist ein großer rechteckiger Eßtisch mit einigen Stühlen davor. Aus der Tischplatte wird sich zur Gralsszene der Gral erheben. Zuvor tritt noch der Schwan auf, getanzt von einem Ballett-Solisten, der auch kommentierend in das Bühnengeschehen eingreift. Gurnemanz sitzt mit der roten Strickjacke auf einer Holzbank. Amfortas wirkt in seinem weißen Anzug eher wie ein indischer Guru. Klingsor scheint in seinem italienischen Modeanzug ein schleimiger Zuhälter zu sein. Parsifal ist in einen dunklen Anzug gekleidet, Kundry, zunächst nur in Unterwäsche, entwickelt sich zu einer mondänen Dame von Welt.

Die auffälligste Sängerleistung stellte der Amfortas von Thomas Gazheli dar. Mit absoluter Textverständlichkeit konnte er das Leiden des Amfortas in allen seinen Schattierungen darstellen, ein Musterbeispiel für die vielschichtige Gestaltung dieser Rolle! Gleich dahinter rangierte Michael Kupfer, der mit viel lyrischem Schmelz die Gestalt Klingsors zu einem schmierigen Kuppler umwandelte. Insgesamt überzeugend das Rollendebüt des Franz Hawlata als Gurnemanz – mit viel teils gurgelnden, teils geschmeidigen Pathos gestaltete er die Partie sehr ökonomisch und intelligent. Allerdings war die Grenze zum Sprechgesang streckenweise mehr als fließend. Die Stärken von Mona Somm als Kundry liegen eindeutig in den lyrischen Erzählphasen, wenn sie im  zweiten Akt mit tiefem Timbre Parsifal zu verführen sucht. Die dramatischen expressiven Ausbrüche sind ihre Sache nicht. Michael Baba in der Titelrolle teilte sich seine Kräfte ein und konnte so eingeschränkt überzeugen.

Die Blumenmädchen hatten eine gewisse Erotik in der Stimme, paßten aber vom Klangbild her nicht optimal zusammen, hingegen waren Knappen und Ritter einheitlich gut besetzt.

Die wahrlich Bewegende Interpretation der Messa da Requiem hat ihren Höhepunkt im Dies Irae. Furios soll der Satz sein, und er wurde es auch, so furios wie ihn der Rezensent noch nie erlebt hat: aber jede Note genau gespielt, jedes Detail hörbar und die Abstimmung zwischen Chor und Orchester exakt. Gustav Kuhn nutzt jede Wiederkehr des Themas zu einer aufpeitschenden Publikumsansprache. Überragend auch das Zusammenspiel des verstärkten Chores mit den Solisten, wo neben dem stimmlich sehr gelenkigen Tenor Zvetan Michailov der sehr tief fundierte, fast rabenschwarze Baß Andrea Silvestrelli auffiel.

Aufführung

Für das umfangreiche Tannhäuser-Bacchanal in der Pariser Fassung gibt es in Erl kein klassisches Ballett, sondern eher das Schaulaufen von zehn Damen, die über schwarzer Unterwäsche eine Kappe mit Glitterumhang tragen. Auf einer blauen, konvexen Schale mit drei Ecken liegt Venus, mit gespreizten Schenkeln – Tannhäuser hat seinen Kopf in ihrem Schoß. Streng getrennt tritt die Wartburg-Gesellschaft auf, die Herren in Schwarz und mit Zylindern, die Damen ebenfalls in Schwarz, mit tiefem Dekolleté, aber mit extravaganten grünen Hüten.

Die jungen Pilger führen aus Rom Stäbe mit frischem Grün zurück. Das Venusberg-Personal, Pilger, und alle Wartburg-Sänger bilden aus diesen Stäben eine neue Krone.

Sänger und Orchester

Die dominanteste Stimme in der letzten Vorstellung 2011 hatte Michael Kupfer (Wolfram): lyrisch mit viel samtener Ausstrahlung, ohne Anstrengung in den Höhen und sicherer Tiefe. Da konnte Luis Chapa in der Titelpartie nicht mithalten. Im ersten Akt konnte er noch mit Kraft und Stahl sich durch die Strophen an die Göttin mühen. Nach dem Einbruch im Sängerkrieg konnte er noch mit viel Zerknirschung in der Stimme das Schluß-Ensemble im zweiten Akt gestalten – spätestens die Romerzählung war nur noch eine Erzählung. Die beste Damenstimme und umjubelt gefeiert wurde Arpiné Rahdjian (Elisabeth), ein Sopran mit viel Stahl in der Stimme. Allerdings zu viel Stahl für die Hallenarie, die geriet nicht glockenklar sondern mit zuviel Tremolo. Gleich dahinter – mit schönem, tiefem, erotischem Timbre gab Mona Somm der Venus Gestalt. Wenig überzeugend ist. Den Landgraf charakterisiert Thomas Gazheli als durchschlagsstarken Heldenbariton, ist aber von der Stimmfarbe zu hell und gerät in der Tiefe in gefährliche Untiefen. Weithin gelobt stellt die Chorakademie ihre Präzision in den Stimmgruppen unter Beweis, die sich zu einem homogenen Klangkörper formt. Und Gustav Kuhns Plädoyer für die Pariser Fassung überzeugt auch das heftig tobende Publikum in allen Belangen.

Fazit

Erl steht für einen schnörkellosen und werkgetreuen Blick auf das jeweilige Werk. Es steht auch für die bedingungslose Hingabe der Besucher Gustav Kuhns Leistung gegenüber. Erl hat noch die Authentizität, die Richard Wagner vorschwebte, als er sein Festspielhaus in die Einsamkeit des Grünen Hügels baute. Schon deshalb lohnt die Fahrt nach Erl. Im kommenden Jahr gibt es eine Neuproduktion des Lohengrin sowie eine Wiederaufnahme von Parsifal und Tristan und Isolde.

Oliver Hohlbach

Bild: Tom Benz

Das Bild zeigt: Michael Baba (Parsifal), Mona Somm (Kundry) und zwei Blumenmädchen im 2. Akt

Veröffentlicht unter Musikfestivals, Tiroler Festspiele, Erl