CENDRILLON – ASCHENPUTTEL – London Covent Garden – Royal Opera House

von Jules Massenet (1842-1912), Märchen in vier Akten, Libretto: Henri Cain, nach La pentoufle de verre von Charles Perrault, UA: 24. Mai 1899, Paris, Opéra Comique, Salle Favart Regie: Laurent Pelly, Bühne: Barbara de Limburg, Kostüme: Laurent Pelly und Jean-Jaques Delmott, Licht: Duane Schuler, Choreographie: Laura Scozzi Dirigent: Bertrand de Billy, Chor und Orchester des Royal Opera House, Choreinstudierung: Renato Basadonna Solisten: Joyce DiDonato (Cendrillon), Eglise Gutiérrez (Die Fee), Alice Coote (Prinz Charmant), Ewa Podles (Madame de la Haltière), Madelaine Prerard (Noémi), Kai Rüütel (Dorothée), Jean-Philippe Lafont (Pandolfe) u.a.
Besuchte Aufführung: 9. Juli 2011 (Premiere: 5. Juli 2011)

Kurzinhalt
Cendrillon (Aschenputtel) muß alle Arbeiten im Haushalt verrichten. Ihre Stiefmutter und die beiden Stiefschwestern ruhen sich dabei aus. Nur der Vater kümmert sich um seine Tochter und nimmt sie gegen seine Frau in Schutz. Als die Familie zum Ball in den königlichen Palast geht, muß Cendrillon zu Hause bleiben. Im Traum erscheint ihr die Fee, die Cendrillon prächtig ankleidet und auf den Ball führt. Dort entzückt sie den schwermütigen Prinz Charmant, der sich sofort in sie verliebt. Cendrillon verläßt den Ball um Mitternacht, verliert dabei aber ihren gläsernen Schuh. Später meint sie, alles nur geträumt zu haben, bis sie hört, daß der Prinz seine unbekannte Geliebte suchen läßt. Beim Anprobieren des gläsernen Schuhs paßt dieser nur Cendrillon. So wird sie Königin und alles Volk heißt sie willkommen.
Aufführung

Auf einer die ganze Bühnenbreit einnehmenden Holzwand steht in großer Schrift der Text des Märchens. Die Holzwand öffnet sich und bildet zum Hintergrund hin einen sich verengenden Raum. Durch einige Türen können die Akteure hinein- oder hinausgelangen. Diese recht schmucklose Umgebung wird durch die phantasievollen, prächtigen Kostüme der Darsteller vorteilhaft belebt. Zunächst erscheint Cendrillon in einem grauen Flanellkleid. Später ist sie aber in einem langen weißen Spitzenkleid zu bewundern. Die Fee trägt ein langes Kleid mit Spitzen und ihr Kopf ziert ein durchsichtiger Schleier. Madame de la Haltière tritt zunächst mit einem grauen schlichten Wollkleid auf. Für den Ball wechselt sie dieses mit einem knallroten, enganliegenden Kleid und gewaltiger Frisur mit Krone. Ihre beiden Töchter ahmen mit ihren tiefroten aufgebauschten Kleidern die Pracht der Mutter nach. Die Kleider und Uniforme der Mitglieder des Hofes ergänzen diesen glanzvollen Pomp.
Sänger und Orchester

Die technisch schwierige Musik gestaltet das Orchester des Royal Opera House unter Bertrand de Billy seht akkurat. Die Widergabe der zuweilen flirrenden, ja ätherischen, geheimnisvollen, melancholischen und auftrumpfenden Musik Massenets gelingt sehr gut. Nie überlagert die Orchesterbegleitung die Singstimmen. Hervorragend die solistischen Instrumente wie Flöte, Oboe usw. Die Rolle der Madame de la Haltière ist Ewa Podles auf den Leib geschnitten. Ihr raumfüllender Mezzosopran setzt sie mit großer Musikalität und Biegsamkeit ein, besonders in ihrer großen Arie, in der sie die Ahnenreihe ihrer Familie aufzählte (1. Akt): viele Universitätsmagister, Dutzende Bischöfe und sogar zwei bis drei königliche Mätressen. Es ist einfach überwältigend wie Ewa Podles dies mit Körperhaltung, Handbewegungen und sonstigen Gesten vorträgt, getragen von ihrem intonationssicheren Mezzosopran, der auch noch in dem tiefliegenden Triller über drei Takte rund und melodisch bleibt. Alice Cootes (Prinz Charmant) androgyner Sopran ist etwas hart in den Spitzentönen. Sie ist aber eine ebenbürtige Partnerin von Joyce DiDonato (Cendrillon). Letztere ragt mit ihrer sanften und zugleich strahlenden Stimme unter allen Sängern hervor. Merkwürdigerweise gilt sie als Mezzosopran, doch ihr Part reicht (z.B. bei der Begegnung mit Prinz Charmant) bis zum zweigestrichenen B. Ihr Gesang erfordert eine enorme Flexibilität der Stimme, er soll sanft, sehnsüchtig, demütig oder triumphierend sein. Joyce DiDonato zeigt alles in Vollendung, wobei ihr unfehlbare Intonationssicherheit und die Klarheit ihrer Artikulation ein Übriges tut. Nur in den Spitzentönen wird sie von Eglise Gutiérrez (Die Fee) übertroffen, deren Stimmführung ohnehin in den höchsten Lagen angesiedelt ist. Ihre Stimme bleibt dabei weich und ohne Aspiration. Es ist eigentlich ein kleines Wunder, daß es solche Stimmen gibt. Merkwürdigerweise ist die kubanisch-amerikanische Sängerin im übrigen Europa so gut wie unbekannt, etwas, was sich schleunigst ändern sollte. Die übrigen Sänger halten das hohe Niveau.
Fazit

Diese selten gespielte Oper würde, falls sie nicht Sänger von solch technisch versierten Stimmen verlangte, öfters gespielt werden müssen. Denn zum Unterschied zu Rossinis La Cenerentola ist sei der Prototyp eines musikalischen Märchens. Eine Sternstunde war diese Aufführung auch hinsichtlich der adäquaten Kostüme und der wirklich ausgezeichneten Personenführung (auch in den Ensembles) durch Laurent Pelly, nicht zu vergessen Laura Scozzi, die die Choreographie besorgte. Berechtigter frenetischer Applaus für alle.
Dr. Olaf Zenner
Das Bild zeigt:  Joyce DiDonato (Cendrillon)

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