FAUST – Paris, Opéra Garnier

von Philippe Fénelon (*1952), Oper in 2 Akten, Libretto: Philippe Fénelon nach dem Drama von Nikolaus Lenau, UA: 25. Mai 2007, Théâtre du Capitole, Toulouse
Regie/Bühne/Kostüme: Pet Halmen
Dirigent: Bernhard Kontarsky, Orchestre et Choeur de l´Opéra national de Paris
Solisten: Arnold Bezuyen (Faust), Robert Bork (Méphistophélès), Karolina Andersson Annette (Annette), Gilles Ragon (Der Mensch, Görg)
Besuchte Aufführung: 17. März 2010

Vorbemerkung
Laut Aussage des Komponisten versucht diese zeitgenössische Fassung des Fauststoffes, durch klanglichen Kontrastreichtum wie die Verknüpfung von „modernen“ Klänge mit anspruchsvollen Intervallkombinationen und barocktypischen Elementen wie der Koloraturtechnik sowie durch dynamisch und technisch überaus schroffe und rapide Wechsel die Widersprüche des Lebens darzustellen. Statt der bekannten Version Goethes nimmt sich Fénelon für sein Libretto das 1833 bis 1835 entstandene Drama Nikolaus Lenaus zum literarischen Vorbild, das sprachlich und inhaltlich zwar Ähnlichkeit zur Goethefassung aufweist, sich hinsichtlich der Interpretation von Faust und Méphistophélès sowie der Figurenwahl und Figurenzahl jedoch unterscheidet.
Kurzinhalt
Faust ist auf der Suche nach der Wahrheit des Lebens, doch bringt ihn nichts den entscheidenden Schritt nach vorn. Verzweifelt über seine Ohnmacht beschließt er einen Pakt mit Méphistophélès, der ihm die Wahrheit im Tausch gegen die Seele verspricht. Faust entdeckt den Zauber der Liebe mit Annette, doch auch die Vergänglichkeit der Sinnlichkeit. Eine Nacht beim Schmied klärt ihn über die Brüchigkeit des Ehelebens auf. Zu Besuch beim Herzog gerät er mit diesem aneinander, was mit dem Tod des Herzogs endet. Faust begibt sich auf ein Schiff, um durch eine Reise seine Sehnsucht zu besänftigen. Doch macht ein Schiffsbruch alle Hoffnung zunichte. Der Mensch Görg zeigt Faust ein anderes Verständnis der Welt: Der Schlüssel zum Glück findet sich weder in Erkenntnis noch Wissen, sondern der Akzeptanz der Welt und ihrer Beschaffenheit. Doch die Hilfe kommt zu spät – Faust entschließt sich zum Selbstmord.
Aufführung
In der Pariser Produktion von Fénelons Faust bildet das Zentrum Bühne ein überlebensgroßer, weiß leuchtender Totenschädel, der in Abhängigkeit vom Ort des Handlungsgeschehens seine Funktion und Dekoration verändert. So dient er in seiner schlichten Reinform im ersten Akt als Seziertisch des Anatomiesaals sowie als Haus des Schmiedes. Dekoriert mit Girlanden stellt er den Tanzplatz der Hochzeitsgesellschaft und schließlich, geschmückt mit Edelsteinen und Perlen, das herzogliche Gemach dar. Dazu wird ein halbtransparenter Bühnenvorhang mit aufgedrucktem Sternenhimmel eingesetzt. Mit Ausnahme der schwarzen bzw. weißen Anzüge von Faust und Méphistophélès richten sich die Kostüme nach der Dekorationsveränderung des Schädels: So ist die grün-blaue Verzierung der Damenkleider bei der Hochzeitsgesellschaft ebenso auf die Girlandendekoration des Totenkopfes abgestimmt wie die aufwendigen, schimmernden Kleider des Fürstengefolges auf seinen Edelsteinüberzug. Auffallend ist die durchgehend starre, mechanische Bewegungsart der Darsteller des Volkes, Hofstaates und Matrosen, sowie die eine einheitlich bleiche Hautfarbe der Protagonisten, welcher nur der rot geschminkte Méphistophélès entbehrt.
Sänger und Orchester
Das musikalische Zusammenwirken der Solisten mit dem Orchester der Pariser Nationaloper unter der Leitung von Bernhard Kontarsky zeichnete sich durch einen einfühlsamen, dynamisch ausbalancierten Gesamtklang von Chor und Orchester aus. Der vom Orchester und Chor gelieferte Klangteppich bildete eine hervorragende Basis für die maximale stimmliche Entfaltung der Sänger. Arnold Bezuyen in der Rolle des Faust verstand es ebenso wie Robert Bork (Méphistophélès), seinen Gesang mit Transparenz und Farbenreichtum im musikalischen Ausdruck zu versehen, wobei auch die Textverständlichkeit in keinem Moment der nötigen Klarheit und Durchsichtigkeit entbehrte (z.B. in der Verschreibung im 2. Bild des 1. Aktes). Unbedingt hervorgehoben werden muß die Leistung von Karolina Andersson als Annette, deren Partie im Hinblick auf Ambitus und Intervallkombinationen eine große Herausforderung ist. Dennoch gelang es ihr, jede der Koloraturen und schwierigen Tonsprünge mit Expressivität und einer stabilen Stimme zu meistern, was man besonders im 3. Bild des 1. Aktes Perfido! erleben konnte. Und auch Gilles Ragon (Der Mensch Görg) überzeugte neben Sorgfalt bezüglich der Textverständlichkeit mit einer musikalisch facettenreichen Gestaltung, beispielsweise im Dialog mit Faust im 7. Bild des 2. Aktes.
Fazit
Die Leistung von Solisten, Chor und Orchester wird lobend herausgestellt. Den Musikern gelang es, die hohen musikalischen Anforderungen, die durch die Verbindung der Stilmerkmale und Schwierigkeiten des Barock und der zeitgenössischen Musik entstanden sind und die es zu einem organischen Ganzen zu verknüpfen galt, überzeugend zu meistern, was das Publikum mit langanhaltendem Applaus belohnte.

Friederike Jurth

Bild: Mirco Magliocca
Das Bild zeigt: Arnold Bezuyen (Faust) und Gregory Reinhart (Le Moine)

Veröffentlicht unter Opern, Paris, Palais Garnier