Berlin, Deutsche Oper – IL BARBIERE DI SIVIGLIA

von Gioachino Rossini (1792-1868), Melodramma buffo in zwei Akten, Libretto: Cesare Sterbini, UA: 1816 Rom
Regie: Katharina Thalbach, Bühne: Momme Röhrbein, Kostüme: Guido Maria Kretschmer, Dramaturgie: Angelika Maidowski, Künstlerische Produktionsleitung: Christian Baier
Dirigent: Enrique Mazzola, Orchester und Chor der Deutschen Oper Berlin, Einstudierung: Thomas Richter
Solisten: Lawrence Brownlee (Graf Almaviva), Maurizio Muraro (Bartolo), Jana Kurucová (Rosina), Markus Brück (Figaro), Ante Jerkunica (Basilio), Nathan De’Shon Myers (Fiorello), Hulkar Sabirova (Berta) u.a.
Besuchte Aufführung: 29. November 2009 (Premiere)

Kurzinhalt
berlin-do-barbier.jpgGraf Almaviva wirbt um Rosina, die bei ihrem Vormund, dem griesgrämigen Bartolo, lebt. Die Zeit drängt, denn Bartolo plant, sein Mündel zu heiraten. Der Barbier Figaro, der im Hause Bartolos ein und aus geht, ist Almaviva behilflich. So gelingt es, Almaviva als Musiklehrer einzuschmuggeln, und während einer Lektion, bei der der mißtrauische Bartolo anwesend ist, gelingt es dem Grafen, Rosina mitzuteilen, daß er sie zu entführen beabsichtige. Begeistert stimmt sie zu. Zwar fliegen ihre Pläne auf, doch gelingt es Almaviva zuvor noch rechtzeitig, Rosina zu heiraten. Figaro kann sich zufrieden zurückziehen.
Aufführung
Man sieht den ganzen Abend lang eine südeuropäische Straße vor sich. Die Handlung spielt in einer nicht näher zu bestimmenden Zeit, irgendwann im 20. Jahrhundert. Es gibt zwei Handlungsebenen: Zum einen eine genrehaft detailliert gezeichnete, realistische Szenerie: Da bewegen sich Fahrzeuge und ein echter Esel über die Straße, legen sich Urlauber an den Strand, um das Geschehen zu verfolgen, spielen Kinder und servieren Kellner Getränke in einem Straßencafé. Diese stummen Akteure beobachten das Spiel einer Wanderbühne, die mitten auf der Szene steht und auf der zum Großteil die eigentliche Handlung der Oper spielt. Die Akteure sind auf dieser zweiten Handlungsebene stilisiert gekleidet und agieren betont übertrieben. Sie bieten eine Art Mischung aus Zirkus und Commedia dell’Arte. Es gibt sehr viele kleine pantomimische Nebenaktionen und eine bunte Mischung aus realistischen und phantastischen Momenten. Bis auf ein paar nicht ganz jugendfreie Scherze hat die ganze Inszenierung – das ist nicht abwertend gemeint – durchaus das Gepräge eines Films für Kinder.
Sänger und Orchester
Eine musikalisch überragende Interpretation seiner Partie bot der beste Sänger des Abends, nämlich Lawrence Brownlee (Graf Almaviva). Er verfügt über eine wahrhaft perfekte Koloraturtechnik. Es gelingt ihm, die zahlreichen Verzierungen der Partie so gebunden wie nur möglich zu singen, ohne sie ineinander zu ziehen. Die Homogenität seiner Stimmgebung ist sagenhaft, es dürfte in seinem Fach nur wenige Sänger mit einem derartig gediegenen Registerausgleich geben. Hinzu kommt ein sehr angenehmes Timbre mit einem jugendlich dezenten Vibrato. Gegenüber ihm standen die anderen Sänger ein wenig im Schatten, zu Unrecht im Falle Jana Kurucovás (Rosina), die neben einer sicheren Höhe über eine überraschend füllige Tiefe verfügt, die sie hier gut zur Geltung bringen konnte, etwas zu Recht im Falle Markus Brücks (Figaro), der die dynamischen Wechsel seiner Partie zu abrupt nahm, in den lauten Passagen zu sehr forcierte und vor allem mit dem schnellen Parlando seiner Auftrittsarie nicht recht fertig wurde. In letzterer Hinsicht war ihm Maurizio Muraro (Bartolo) eindeutig überlegen. Ein wenig durchwachsen war der Eindruck, den das Dirigat Enrique Mazzolas hinterließ. Das Orchester spielte angemessen in kleinerer Besetzung und war um einen im Geiste historischer Aufführungspraxis gehaltenen gedämpften und differenzierten Ton bemüht. Doch schienen die berühmten Crescendi im Zusammenspiel mit den Sängern nicht ganz exakt abgestimmt zu sein, so daß das Orchester hier phasenweise die Solisten übertönte. Das war vor allem bei den Partien Markus Brücks der Fall.
Fazit
Diese Produktion dürfte zu einem Publikumsliebling avancieren. Man erlebt sehr gute Sänger, ja im Falle Lawrence Brownlee eine atemberaubende Leistung. Auch szenisch traf sie genau den Geschmack des Publikums: Bereits während der Ouvertüre, zu der das belebte Bühnenbild zu sehen ist, gab es Applaus – für die Regieeinfälle. Katharina Thalbach hat sich in der Tat sehr viele Gags und Scherze einfallen lassen, um die Handlung dieser Oper noch weiter zu beleben. Wenn man ihrer Inszenierung einen Vorwurf machen kann, dann vielleicht den, daß es mitunter vielleicht ein wenig zuviel des Guten ist. Darüber hinaus war aber allen Beteiligten, auch den zahlreichen Komparsen, anzumerken, daß sie mimisch von einer erfahrenen Schauspielerin angeleitet worden waren, die über ein absolut sicheres Gespür für den szenischen Effekt verfügt. Mit Sicherheit eine der vergnüglichsten Produktionen, die derzeit in Berlin zu sehen ist!
Dr. Martin Knust

Bild: Matthias Horn im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN
Das Bild zeigt: Lawrence Brownlee (Graf Almaviva)

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