Die Walküre – Helsinki, Finnische Nationaloper

von Richard Wagner (1813-1883), erster Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen in drei Aufzügen, Text vom Komponisten, UA: 1870 München

Regie: Anna Kelo, Bühnenbild, Licht und Video: Mikki Kunttu, Kostüme: Erika Turunen

Dirigent: Hannu Lintu, Orchester der finnischen Nationaloper

Solisten: Joachim Bäckström (Siegmund), Matti Turunen (Hunding), Tommi Hakala (Wotan), Miina-Liisa Värelä (Sieglinde), Niina Keitel (Fricka), Johanna Rusanen (Brünnhilde), u.v.a.

Besuchte Aufführung: 29. August 2022

Kurzinhalt

Sieglinde findet in ihrer Hütte einen fremden Mann vor, der sich auf der Flucht befindet. Er stellt sich ihr und ihrem Mann Hunding als Wehwalt vor. Während der Erzählung seiner Flucht wird deutlich, daß er ein Feind von Hundings Sippe ist. Hunding gewährt ihm Asyl für eine Nacht und kündigt an, ihm am nächsten Tag nachzusetzen. Alle begeben sich zur Ruhe. Sieglinde, die ihren Gatten betäubt hat, erscheint. Siegmund offenbart ihr seine wahre Identität und zieht das Schwert Nothung aus dem Stamm einer Esche, die in der Hütte steht. Beide entdecken, daß sie Zwillingsgeschwister sind und verlieben sich ineinander. Daraufhin stellt Fricka, die Schutzgöttin der Ehe, ihren Gatten Wotan zur Rede. Siegmund und Sieglinde sind seine außerehelichen Kinder, ebenso wie die Walküre Brünnhilde. Die Walküren haben gefallene Helden nach Walhall zu bringen, die die Götterburg vor einem Angriff Alberichs verteidigen sollen. Siegmund soll den Ring des Nibelungen an sich bringen. Doch, wie Fricka ihrem Mann darlegt, wäre das ein Verstoß gegen seine eigenen Gesetze. Wotan befiehlt Brünnhilde, Siegmund im Kampf mit Hunding sterben zu lassen. Sie erscheint Siegmund und verkündet ihm seinen baldigen Tod. Von Schmerz überwältigt droht er damit, sich und seine ohnmächtige Zwillingsschwester zu töten. Brünnhilde empfindet Mitgefühl und setzt sich über Wotans Befehl hinweg, der dann selbst in den Kampf eingreift und Hunding den Sieg davontragen läßt. Unterdessen sammeln sich die Walküren, um nach Walhall zu ziehen. Brünnhilde bittet sie um Hilfe für Sieglinde, die von Siegmund ein Kind erwartet, doch vergebens. Sieglinde flieht allein in den Wald und Brünnhilde erwartet ihren zornigen Vater, der sie aus Walhall verstößt. Er versenkt sie in Schlaf und schließt einen Kreis aus Feuer um ihren Felsen, der nur von demjenigen, der seinen Speer nicht fürchtet, durchbrochen werden kann.

Aufführung

Das Bühnenbild ist insgesamt recht dunkel und wird fast nur von effektvollen Spots und Videoinstallationen erleuchtet. Die Bildsprache ist ausgesprochen kraftvoll. Die Kostüme und Requisiten erinnern an den zweiten Weltkrieg. Wotan tritt als Offizier in Wehrmachtsuniform auf, der zu Beginn des zweiten Aufzugs seine Truppen im Gefechtstand kommandiert. Hunding ist ein bösartiger Priester, der mit seinen Sklaven im finsteren Wald haust. Die Walküren sind kräftige Amazonen, die die gefallenen Helden auf die Bühne schleppen und ihre Schlachtrufe barbusig ins Publikum singen. Es kommen etliche Komparsen zum Einsatz, die die Aktionen der singenden Figuren verstärken. Lichtgestaltung und Bühnenbild der zweiten Werkhälfte erinnern entfernt an die Szenografien Heinz Tietjens und Emil Preetorius‘ aus den 30er und 40er Jahren. Der Fluch des Rings wird durch ein visuelles Leitmotiv auf die Bühne gebracht, nämlich einen Ring, der gelegentlich in der Mitte der Szene aufscheint. Auch am Ende des letzten Aufzugs senkt sich ein gewaltiger schwarzer Ring herab, der entzündet wird. Nur wenige Farben sind zu sehen, u.a. blauer Lichtschein am Horizont im zweiten oder ein rotes Leuchten am Ende des ersten Aufzugs. Frickas und Brünnhildes violette Kostüme heben sich von den übrigen dunklen Kleidern der anderen Sänger ab. Die Handlung folgt der Wagner’schen Vorgabe mit einer kleinen Ausnahme: Sieglinde wird im zweiten Aufzug zusammen mit Siegmund von Hunding getötet und von Brünnhilde im dritten Akt zu den gefallenen Helden gelegt, die die Walküren zu ihrem Nachleben erwecken.

Sänger und Orchester

Nicht nur visuell, auch musikalisch ging es an diesem Abend kraftvoll zur Sache. Hannu Lintu gestaltete die Musik klanglich schön ausgesteuert und rhythmisch und dynamisch eher etwas blockhaft. D.h. im Gegensatz zu den flexiblen Tempi anderer Wagnerinterpreten hielt er gerne über eine längere Zeit an einem Tempo fest und nahm es in der Regel ein wenig schneller als gewöhnlich, was den Schlüssen der drei Aufzüge rhythmische Stringenz verlieh. Die dynamischen Kontraste im ersten Aufzug, der im Sprechgesang beginnt und dann immer kantabler wird, waren stark. Ein fortissimo unter Lintu ist auch wirklich ein fortissimo, was er aber nur dank der starken Stimmen seiner Sänger auch so umsetzen kann. Die werden nämlich an keiner Stelle, auch nicht bei den massiven Blecheinsätzen, vom Orchester zugedeckt. Abgesehen von ihrer Strahlkraft unterschieden sich die sängerischen Leistungen an diesem Abend voneinander. Beginnen wir mit Joachim Bäckström (Siegmund). Seine vergleichsweise sportliche und bewegliche Erscheinung auf der Bühne hob sich von den übrigen Sängern physisch ab. Neben einer tenoralen Spitze fällt sein baritonal fülliges Timbre angenehm auf. Seine Aussprache war wie die der meisten Sänger an diesem Abend gut. Miina-Liisa Värelä (Sieglinde) machte mit ihrem mächtigen Organ den übrigen Sängerinnen an diesem Abend ernsthaft Konkurrenz. Selbst in den Orchestertuttis des ersten und dritten Aufzugs setzte sie ihre Töne souverän auf die Begleitung, ohne darin unterzugehen. Ihre Stimme zeigte keinerlei Verschleißerscheinungen. Der Hunding Matti Turunens paßte optisch und akustisch eher in eine russische als eine deutsche Oper. Traditionell haben die Finnen viele hervorragende Opernbässe gehabt, die Wagner singen, und seine mächtige Stimme reiht sich von ihrem Volumen her vollkommen in diese Tradition ein. Rhythmisch und intonatorisch waren jedoch ein paar Unsicherheiten zu spüren. Tommi Hakala (Wotan) besitzt einen fantastischen Heldenbariton und verfügt über eine makellos deutliche Aussprache. Auch er gab, wie sämtliche Sänger, an diesem Abend stimmlich alles, und trotz leichter Ermüdungserscheinungen im dritten Aufzug bestach er mit einem tadellos gesungenen Abschied. Darstellerisch war sein Wotan imposant. Niina Keitel sprach nicht ganz so deutlich aus wie die übrigen Sänger, nutzte aber ihre mondäne Garderobe, um eine elegant indignierte Fricka auf die Bühne zu stellen. Bleibt noch die Hauptrolle dieses Dramas, Brünnhilde, die von Johanna Rusanen gesungen wurde. Darstellerisch wird ihr einiges abverlangt. Sie hat das wilde Wotanskind mit Punkfrisur, das über den plötzlichen Sinneswandel seines Vaters erschrickt, wie auch die wehrlose Frau, die in Unterwäsche ihrer halbgöttlichen Insignien entledigt wird, zu geben und machte das vor allem mimisch ausgezeichnet. Gesanglich bewältigte sie ihre Partie gut bis sehr gut. Es fehlt ihr nicht an der nötigen Höhe und die gefürchteten Schlachtrufe zu Beginn des zweiten Aufzugs gelangen ihr vollauf. Insgesamt lief ihre Stimme den Abend über. Doch fielen ganz vereinzelt Phrasen auf den Hals und klangen dadurch zu scharf und eng. Dessen ungeachtet spielte sie mit großem Ausdruck und Engagement und stellte im zweiten Aufzug ein paar Facetten dieser Rolle heraus, die sonst weniger betont werden. Mit ihrer bisweilen ungestümen szenischen Präsenz fügte sie sich in die Gruppe ihrer Walkürenschwestern ein. Ohne auf die Leistungen der Sängerinnen dieser acht Partien im einzelnen eingehen zu können, sei nur so viel gesagt: Wenn man diese Schar auf der Bühne hört und sieht, nimmt man ihr ohne Vorbehalte ab, sich im Schlachtengetümmel richtig wohl zu fühlen.

Fazit

Die Fortsetzung der Ring-Inszenierung von Anna Kelo besticht mit ihrer Mischung aus Wucht und Einfühlungsvermögen. Eine sensible, nicht zu dick auftragende Personenregie in den Dialogszenen wird hier mit schönen Videoprojektionen, spektakulären Ensembleszenen und einer zupackenden, schnörkellosen musikalischen Interpretation kombiniert. Durch die konkreten historischen Einschläge zeichnet sich eine Zeitreise ab, die dieser Ring beschreiben wird. Die musikalisch-dramatische Vorlage Wagners wird durchweg ernst genommen. Das Konzept dieser Inszenierung läßt sich vielleicht am kürzesten mit den Begriffen der Verstärkung und Überwältigung umschreiben, womit es Wagners eigenem künstlerischen Ansatz mehr als adäquat ist. Sowohl musikalisch als auch szenisch wird hier geklotzt, nicht gekleckert. Man darf auf die Fortsetzung im März gespannt sein.

Dr. Martin Knust

Bild: Ralph Larmann

Das Bild zeigt: Tommi Hakala (Wotan)

Veröffentlicht unter Helsinki, Finnische Nationaloper, Opern