Turandot – Hamburg, Staatsoper

von Giacomo Puccini (1858-1924), Libretto: Giuseppe Adami, Renato Simoni, UA: 25. April 1926  Mailand, Teatro alla Scala

Regie: Yona Kim, Bühne: Christian Schmidt,  Kostüme: Falk Bauer, Licht: Reinhard Traub,  Video: Phillip Bußmann,  Bewegungscoach: Ramses Sigl, Dramaturgie: Angela Beuerle

Dirigent: Giacomo Sagripanti, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Alsterspatzen – Kinder- und Jugendchor der Hamburgischen Staatsoper

Solisten: Anna Smirnova (Turandot), Jürgen Sacher (Altoum), Liang Li (Timur), Gregory Kunde (Calaf), Guanqun Yu (Liù), Roberto de Candida (Ping), Daniel Kluge (Pang), Seungwoo Simon Yang (Pong), Chao Deng (ein Mandarin)

Besuchte Aufführung: 13. März 2022 (Premiere)

Kurzinhalt

Im Peking aus alter Zeit hat die Prinzessin Turandot, Tochter des Kaisers von China, geschworen, den Mann zu heiraten, der ihre drei Rätsel löst. Doch wer sie nicht löst, wird hingerichtet. Dieses Schicksal ist bislang allen Bewerbern widerfahren. Und obwohl ihn alle davor warnen, verliebt der heimatlose Tartarenkönig Calaf sich beim ersten Anblick in Turandot und schlägt den Gong, um besagte Prüfung abzulegen. Zur Überraschung aller und der Prinzessin kann Calaf jedoch die drei Rätsel lösen. Nun stellt Calaf der Prinzessin selbst ein Rätsel: Kann sie bis Sonnenaufgang seinen Namen erraten, gehört sein Leben ihr. Wenn nicht, muß sie ihn heiraten. Obwohl die Prinzessin nun alles unternimmt, um diesen zu erfahren, scheitert sie. Als sie Calafs Dienerin Liù foltern läßt, damit diese den Namen preisgibt, ersticht diese sich, um nichts zu verraten. Erst als Calaf Turandot einen Kuß abringt, gibt diese nach und gibt zu, daß sie ihn vom ersten Augenblick an geliebt hat und es kommt zu einem glücklichen Ende.

Aufführung

Die neue Hamburger Inszenierung ist in Sachen Bühnenbild, Kostümen und Grundhaltung traumhaft düster – die vorherrschende Farbe ist schwarz –, psychologisch entlarvend und weist sogartige Symbolkraft auf. Als Videoprojektion wird wiederholt der bleiche Vollmond riesenhaft auf die schwarze Bühnenwand geworfen, die sich mehrmals zum Kaiserpalast hinein öffnet. Das Volk von Peking wird als gehobene Gesellschaft im Stil der 1920er Jahre dargestellt, deren Kostüme eine Mischung aus chinesischer und westlicher Mode sind. Hier sind fast alle weiß im Gesicht. Calaf verliebt sich nicht, als er Turandot sieht, sondern faßt vielmehr den Entschluß dazu aus einer Art Todeswunsch heraus sowie aus Übermut. Die in der Kindheit traumatisierte Turandot wirkt wie ein nächtlicher Todesdämon, der ihr altersschwacher Kaiservater nicht gewachsen und die gegen die Liebe immun ist. Während die drei Minister von einer schönen Zukunft schwärmen, in der Turandot endlich verheiratet ist, hängt diese im Hintergrund am Strick. Da wundert es nicht, daß sie Calaf am Schluß unter dem Jubel des Volkes ersticht. Turandot ist und bleibt hier die „Principessa di morte“. Liù hat ebenfalls wenig zu lachen. Zu Beginn schon hält der Mandarin ihr ein Messer an den Hals und dann läßt Calaf sie permanent links liegen. Nach ihrem Tod wird als Videoprojektion das Foto von Puccinis Leichnam gezeigt, da dieser nach jener Szene verstorben war, ohne dass er die Oper selbst noch zu Ende komponieren konnte.

Sänger und Orchester

Gregory Kunde und Anna Smirnova bilden das stimmstarke Duo aus Turandot und Calaf, die mit viel Bühnenpräsenz und vokalem Drama für große Momente sorgen. Für die berühmte Arie Nessun dormakeinen Schlaf erhält Kunde erwartungsgemäß, aber zurecht lauten Zwischenapplaus, da sein Tenor nicht nur hier vor warmen Farben schillert. Smirnova verstrahlt stimmlich wie darstellerisch das verlangte eisige Charisma, gestalterisch paßt sie zur Turandot wie die Faust aufs Auge. Ihr Mezzosopran fesselt mit hochdramatischer Strenge, zudem scheinen ihr stimmlich schier unbegrenzte Kräfte zur Verfügung zu stehen, so daß sie mit den Spitzentönen nur so um sich schleudert.

Guanqun Yu bildet mit ihrem blühenden lyrischen Sopran und flexibler Linienführung den anrührenden Gegenpol zur unbarmherzigen Turandot. Auch darstellerisch erweist sie sich als mehr als überzeugend. Roberto de Candida, Daniel Kluge und Seungwoo Simon Yang bilden als maskentragendes Ministertrio ein komödiantisches Mini-Ensemble, das über eine souveräne innere Balance verfügt und spielerisch den Spagat zum Horror schafft. Jürgen Sacher beweist als gebrechlicher Kaiser mit gebieterischer Stimme darstellerisches Talent, während auch Liang Li mit seinem Baß als alter König Autorität verstrahlt. Mit gespenstischer Diabolik agiert Chao Deng.

Da Turandot auch eine große Choroper ist, hat der Chor der Hamburgischen Staatsoper zusammen mit den Alsterspatzen einiges zu tun. Beide meistern die vielen großen und kleinen Szenen aber durchweg souverän, mit guter Abstimmung zu Ensemble und Orchester, und wenn nötig stimmgewaltig.

Dirigent Giacomo Sagripanti hält nicht nur alle Fäden überlegt zusammen, sondern zaubert mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg auch einen astreinen Puccini-Klang ohne jegliche Wackler, aber dafür voller Exotismen, subtiler Details, feiner Temposchwankungen und viel Delikatesse, die tatsächlich den ganzen Reichtum an Puccinis spätem Orchesterstil plastisch zum Vorschein bringt.

Fazit

Die neue Hamburger Turandot ist musikalisch über jeden Zweifel erhaben und lohnt unbedingt den Besuch. An der Regie mögen sich die Geister scheiden, sie wirkt trotz ihres Pessimismus jedoch bezwingend wie stringent und verfügt über suggestive Bildkraft. Das Publikum feierte alle Beteiligten begeistert. Ein einziger Buhrufer ging im Jubel unter.

Dr. Aron Sayed

Bild: Hans Jörg Michel

Das Bild zeigt: Roberto de Candida (Ping), Daniel Kluge (Pang), Seungwoo Simon Yang (Pong),

Chor der Hamburgischen Staatsoper

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