Eugen Onegin – Paris, Opéra Bastille

von Peter Iljitsch Tschaikowski, Lyrische Szenen in drei Akten (sieben Bildern), Text: Konstantin Schilowski und der Komponist nach Alexander Puschkin, UA: 29. März 1879, Moskau, Theater Maly

Regie: Willy Decker, Bühne, Kostüme: Wolfgang Gussmann, Licht: Hans Toelstede, Choreographie: Athol Farmer

Dirigent: Edward Gardner, Orchester und Chor der Opéra National de Paris, Choreinstudierung: José Luis Basso

Solisten: Elena Zaremba (Larina), Anna Netrebko (Tatiana), Varduhi Abrahamyan (Olga), Hanna Schwarz (Filipjewna), Peter Mattei (Eugen Onegin), Pavel Černoch (Lenski), Alexander Tsymbalyuk (Fürst Gremin), Rául Giménez (Monsieur Triquet), Vadim Artamonov (Zaretski) Olivier Ayault (Der Leutnant), Grzegorz Staskiewicz (Solotenor)

Besuchte Aufführung: 19. Mai 2017

 

Kurzinhalt

Bei einem Besuch auf dem Landgut seiner Verlobten Olga bringt Lenski, den blasierten, weltgewandten Dandy Eugen Onegin mit. Olgas Schwester, Tatiana, die in der Abgeschiedenheit der ländlichen Weite ihre Jungmädchenträume träumt, sieht in dem Neuankömmling ihre Idealgestalt und gesteht ihm brieflich ihre Liebe. Doch bei einem Stelldichein weist Eugen Onegin sie kalt und verletzend zurück. Er teile nicht ihre Ideale und für die Ehe sei er nicht geschaffen. Für Tatiana bricht eine Welt zusammen. Bei dem darauffolgenden Fest tanzt und flirtet Eugen Onegin herausfordernd mit Olga. Es kommt zum Streit und schliesslich zum Duell zwischen ihm und seinem Freund Lenski. Letzterer wird tödlich getroffen. Jahre später, nach langen, unbefriedigenden Reisen im Ausland, kehrt Eugen Onegin gelangweilt nach Russland zurück und trifft bei einem Ball im Palais des Fürsten Gremin in Sankt Petersburg die inzwischen gereifte Tatiana als hoheitsvolle Gemahlin des Fürsten wieder. Diesmal entflammt seine Leidenschaft für sie. Doch Tatiana, obwohl sie glaubt, ihn immer noch zu lieben, weist ihn zurück, das Schicksal habe sie nun einem anderen anvertraut, dem sie immer treu sein werde. Eugen Onegin bleibt verzweifelt und allein zurück.

Aufführung

In Willy Deckers Inszenierung geben die Farben seiner geometrischen Grossflächen, gepaart mit einer gut abgestimmten Beleuchtung den Grundton an: helles Ocker und viel Licht für die Sommerszenen mit dem Ausblick auf ein weites Land; grauweiss und schwarz bei dunkler Beleuchtung für die winterliche Felsenschlucht der Duellszene und für den Ballsaal, in dem die Schatten des Riesen-Empire-Kronleuchters nach unter wie einen Mosaikfussboden projizieren. Als Mobiliar nur einige einfache Stühle, Tische und ein Sofa. Die Kostüme sind der Zeit des 19. Jahrhunderts angepasst, ländlich einfach im 1. und 2. Akt. In der Ballszene tragen die Herren Frack, die Damen schwarze lange Abendkleider.

Sänger und Orchester

Es ist bekannt, dass sich Tschaikowski die Darstellerin der Tatiana scheu, keusch und doch von Leidenschaft verzehrt gewünscht hat. Doch es ist unwahrscheinlich, dass er deswegen diese Interpretation verschmäht hätte. Anna Netrebko ist nicht wirklich scheu, sie schöpft von Anfang an aus dem Vollen ihrer bewundernswerten Technik und aus den unglaublich reichen Registern ihrer Stimme, sowie aus ihrem schauspielerischen Temperament. Hier ist sie, in ihrem ureigensten Element, hinreißend, viel mehr als in der Rolle der Leonora in Verdis Il Trovatore auf derselben Bühne im vergangenen Jahr. So wird auch die Briefszene und wär’s mein Untergang (1. Akt, 9. Szene) sogleich ein ständig wechselnder Orkan der Leidenschaft, der Hoffnung, des Glücks, der Liebe, des Zweifels und der Ängste. Ein aussergewöhnlich starkes Bühnenerlebnis! Und nach atemloser Stille, donnernder, anhaltender Applaus! Peter Mattei als Eugen Onegin ist mit warmem, sehr klangvoll timbriertem Bariton ein durchaus ebenbürtiger Partner, Onegins Klage über die Leere seines Lebens zu Beginn des 3. Akts sehr eindrucksvoll.  Varduhi Abrahamyan verkörpert sehr beweglich, mit dunkler Stimme die quirlige Olga und Elena Zaremba ist Madame Larina, die würdige Mutter und Herrin des Hauses. Fast unheilverkündend klingt manchmal die hohle Tiefe von Hanna Schwarz‘ Mezzo in ihrer Rolle als Amme. Pavel Černoch ist vielleicht indisponiert, er überzeugt nicht wirklich als Lenski. Dagegen sang Alexander Tsymbalyuk, im 3. Akt, nuanciert und ausdrucksstark mit tiefem orgelndem Bass das Lied seiner Liebe zu Tatiana. Alle Nebenrollen und ein gut einstudierter Chor fügten sich wohl in das ausgezeichnete Ensemble ein. Edward Gadner dirigierte beherrscht Soli, Chor und Orchester.

Fazit

Die Inszenierung Willy Deckers ist über 20 Jahre alt, aber immer noch sehenswert (restriction de budget oblige!). Die Besetzung ist, von den angeführten Mängeln abgesehen,  ausgezeichnet. Ein sehr erfreulicher Abend!

Alexander Jordis-Lohausen
Bild: Guergana Damianova
Das Bild zeigt Anna Netrebko (Tatiana) und Peter Mattei (Eugen Onegin)

Veröffentlicht unter Opern, Paris, Opéra Bastille