LA BOHÈME – Nürnberg, Staatstheater

von Giacomo Puccini (1858-1924), Szenen in vier Bildern, Libretto: Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach Henry Mürgers Scenes de la Vie de Bohème, UA: 1. Februar 1896 Turin, Teatro Regio

Regie/Bühne/Kostüme: Alexandra Szemeredy, Magdolna Parditka

Dirigent: Gabor Kali, Staatsphilharmonie und Chor des Staatstheaters Nürnberg, Junger Chor Nürnberg, Choreinstudierung: Tarmo Vaask

Solisten: Hrachuhi Bassenz (Mimì), Csilla Csövari (Musetta), Ilker Arcayürek (Rodolfo), Antonio Yang (Marcello), Jens Waldig (Schaunard), Nicolai Karnolsky (Colline), Richard Kindley (Alcindoro), Suren Manukyan (Benoit), Klaus Brummer (Parpignol), u.a.

Besuchte Aufführung: 24. November 2015

Staatstheater Nurnberg Spielzeit 2015/2016Kurzinhalt

Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline sind bettelarme Künstler und unzertrennliche Freunde. Sie leben unbeschwert von der Hand in den Mund in einer Mansarde über den Dächern des Pariser Künstlerviertels Quartier Latin. Rodolfo begegnet Mimì und verliebt sich in sie. Marcello erobert seine ehemalige Geliebte Musetta zurück. Den Weihnachtsabend verbringt man im Café Momus. Nach der Trennung von Rodolfo verschlimmert sich Mimìs Krankheit. Sie kehrt zu ihm zurück und stirbt im Kreis ihrer Freunde.

Aufführung

Eine heruntergekommene Wohnung ohne Fenster (wo ist die Mansarde?) prägt den grauen Alltag der Künstlerkommune im heruntergekommenen Paris nach der Befreiung 1945. Eine Freundin verläßt die Künstler nachdem sie ein Aktmodell mit Farbe beschmiert hat. Ein schräg über die Rückwand verlaufener Riß vergrößert sich und läßt zunächst den Blick auf eine Parallelwelt im Rotlicht zu, bevor dort das Café Momus auftaucht. Ein „Café American“, in dem auch vergnügungssüchtige US-G.I. und bestechliche Flics verkehren. Der Zugang der Künstlerwohnung verwandelt sich dabei in den Wohnungseingang eines zerstörten Nachbarhauses. „Domina“ Musetta führt Alcindoro als Hündchen an der Leine vor, er zahlt aber dezent die Zeche, der alternative Schlußgag des zweiten Bildes sind amerikanische Soldaten der Standort-Blaskapelle, die Bananen als Weihnachtsgeschenke an die Pariser verteilen, da der als Trottel dargestellte Parpignol nur einen Teddy an seinem Dreirad hinterherzieht.

Das dritte Bild spielt vor dem nächtlichen Cafe Momus, wo die Puppen tanzen und die Hüllen fallen, Musetta und Marcello als Personal arbeiten. In der Mansarde findet vor der Sterbeszene noch ein Kunst-Akt der Kommune statt, der anhand des Nacktmodells zwischen Bodypainting und Gruppen-Vergewaltigung chargiert. Die Kostüme passen in die unmittelbare Nachkriegszeit und die halbseidene Vergnügungsszene.

Sänger und Orchester

Das Dirigat von Gabor Kali bleibt viel zu statisch, dynamische Emotionsexplosionen gibt es nicht, Wohlklang will sich nicht so recht einstellen. Puccinis Spielereien in der Melodie fallen nicht ins Gewicht, es klingt eher geradlinig und deutsch – und vor allem über weite Teile viel zu laut: Gerade in dem akustisch ungünstig gestalteten Erker als Mansarde hört man die Künstler kaum „jammern“. Erst der Dialog im Forte zwischen Mimì und Rodolfo O soave fanciulla – O süßes Mädchen kann das Orchester übertönen. Hier trifft ein ideales Paar aufeinander: Zum einen Hrachuhi Bassenz als Mimì: Mit ihrem schweren und gelenkigen Koloratursopran ist sie fast schon unterfordert. Sie findet immer das richtige Verhältnis zwischen Kraft und Strahlglanz: Leuchtend und voluminös in den lyrischen Passagen mit viel technischem Glanz, aber auch ein wirklich leises, zärtliches Pianissimo – zum Dahinsterben schön.

 

Ilker Arcayürek als ihr Liebhaber Rodolfo wird sicher einmal ein herausragender Puccini-Tenor werden. Am Anfang klingt die Stimme belegt und unflexibel, aber nach dem er sich befreit hat, kann er schon im Dialog mit Mimì Strahlkraft beweisen und ein leuchtendes Feuer entzünden – auch in den höheren Tonlagen klingt er nun sicherer. Sein weiches lyrisches Timbre kann Liebesqualen und Jubelarien überzeugend darstellen. Als Marcello ist Antonio Yang ein tief fundierter Baßbariton mit strahlend hellem Timbre und fast unerschöpflicher Durchschlagskraft. Er hat einen deutlichen Willen zur Gestaltung der Gesangslinie, verbunden mit einer deutlichen Artikulation. Nicolai Karnolsky kann mit seinem markigen Baß und seiner stimmigen Tiefe mit der Mantel-Arie des Colline glänzen Vecchia zimarra, senti – Alter Mantel hör hin und wird mit Szenenapplaus belohnt.

 

Jens Waldig hat als treffsicherer und durchschlagsstarker Spielbariton keine Probleme mit der Rolle des Schaunard, zumal er auch in den Baßregistern sicher aufgestellt ist. Csilla Csövari kann die Rolle der Musetta eindrucksvoll gestalten. Ihre leuchtende und durchschlagsstarke Stimme ist auch in den höheren Registern trittsicher. Ihren Schrei am Ende des zweiten Bildes paart sie mit einiger Dissonanz und schafft es immer wieder sich – auch gegen Mimì – in den Vordergrund zu singen.

Unter den kleineren Rollen kann noch Richard Kindley als Grandseigneur überzeugen, der den peinlichen Auftritt als Alcindoro „an der Leine“ rettet. Eine großartige Leistung vollbringen der Chor und ganz besonders der Kinderchor. Die Klangwirkung im Zusammenspiel mit der Bühnenmusik macht das Finale im zweiten Bild zu einem Höhepunkt des Abends – mit Pauken und Trompeten der GI-Blaskapelle.

Fazit

Manchmal stellt man sich die Frage, warum in der Oper die Kontrollmechanismen versagen: Ein Bühnenbild, das akustisch wenig sängerfreundlich ist, Regieeinfälle, die die eigentliche Handlung um die beiden Liebespaare verdrängen, die an Weihnachten um einen Moment des Glücks kämpfen, bis hin zur Frage, wozu man eigentlich die Handlung in andere, „aktuellere“ Zeiträume verlagert, die lediglich eine klappernde Schreibmaschine, G.I.s, Bananen und Rotlichtmilieu einbringen.

Aber wenigstens die zentralen Momente können durch geschickte Personenführung überzeugen und geben den Sängern die Möglichkeit zu glänzen: Wie das zaghafte Kennenlernen um die verlöschende Kerze und Che gelida manina – welch eiskaltes Händchen im ersten Bild oder die Auseinandersetzung im dritten Bild zwischen den beiden Liebespaaren. Musikalisch ist daher die Produktion dank aller Solisten und dem perfekt geführten Kinderchor im zweiten Bild ein Puccini würdiges Erlebnis.

Oliver Hohlbach

Bild: Jutta Missbach

Das Bild zeigt: Richard Kindley (Alcindoro) an der roten Leine der Csilla Csövari (Musetta), Am Tisch: Antonio Yang (Marcello), Nikolai Karnolsky (Colline), Jens Waldig (Schaunard), Ilker Arcayürek (Rodolfo), Hrachuhi Bassenz (Mimi) v.l.n.r.

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