Berlin, Staatsoper Unter den Linden – LOHENGRIN

von Richard Wagner (1813 – 1883), Romantische Oper in drei Aufzügen, Text vom Komponisten, UA: 1850 Weimar
Regie: Stefan Herheim, Bühne: Heike Scheele, Kostüme: Gesine Völlm, Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach, Licht: Olaf Freese, Video: fettFilm
Dirigent: Daniel Barenboim, Staatskapelle Berlin, Staatsopernchor, Einstudierung: Eberhard Friedrich
Solisten: Klaus Florian Vogt (Lohengrin), Kwangchul Youn (Heinrich der Vogler), Dorothea Röschmann (Elsa von Brabant), Gerd Grochowski (Friedrich von Telramund), Michaela Schuster (Ortrud), Markus Brück (Heerrufer))
Besuchte Aufführung: 8. April 2009 (B-Premiere, A-Premiere: 4. April 2009)

Kurzinhalt
berlin-staatsoper-lohengrin.jpgElsa von Brabant ist des Brudermordes angeklagt. In ihrer Not weiß sie sich keine andere Hilfe als ein Gebet. Ein Wunder geschieht: Ein Ritter, dessen Herkunft und Namen sie nicht wissen darf, erscheint und kämpft für sie. Durch eine Intrige wird sie allerdings dazu gebracht, ihm die verbotene Frage nach seinem Namen zu stellen. Er gibt ihr Auskunft, allerdings für einen hohen Preis: Zwar bringt er ihren Bruder zurück und erzählt von seiner göttlichen Herkunft, doch muß er sie dafür für immer verlassen. Während das Volk den Brabanter Thronfolger begrüßt, sinkt Elsa vernichtet nieder.
Aufführung
Zum Vorspiel sehen wir eine lebensgroße Wagner-Marionette, die in einem riesigen Gral verschwindet. Heraus kommt Elsa, die so wie Katharina Wagner aussieht. Der Heerrufer ist im ersten Akt ein grotesk agierender Berliner Bär, im zweiten Akt eine ausgesprochen tuntig spielende mittelalterliche Figur. Der männliche Teil des Chores ist im zweiten und dritten Akt als Wagnerkarikatur verkleidet. Im ersten und dritten Akt treten alle Sänger in Alltagskleidung auf und hantieren mit kleinen Marionetten, die Figuren der Oper oder Wagnerkarikaturen darstellen. Chor und Solisten legen mehrfach die Kleider ab. Als einzige ‚authentische’ Figur in diesem verfremdeten Umfeld tritt Lohengrin auf, der exakt so kostümiert ist, wie es im 19. Jahrhundert üblich war. Videoeffekte haben zwischendurch die Aufgabe, für „erhabene“ Stimmung zu sorgen. Weshalb Herheim all diese einander widerstreitenden dramaturgischen Mittel verwendet, hat sich dem Rezensenten nicht erschlossen.
Sänger und Orchester
Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin gehören, wie die meisten der Sänger des Abends, zu den weltweit herausragenden Wagnerinterpreten, Chor und Orchester musizieren auf allerhöchstem Niveau. Das gleiche gilt für den Lohengrin Klaus Florian Vogts. Dabei hat er streng genommen gar nicht das Timbre eines Helden-, sondern das eines lyrischen Tenors. Allerdings vermag er seine stets in die hohe Mischung gesungenen Töne mit unglaublicher Stärke zu singen, so daß sie selbst durch die massivsten Orchester- und Chorpartien hindurchglänzen. Hinzu kommt eine mustergültig deutliche Aussprache. Von der Stimmkultur und dem wahrhaft bezaubernden Klang in der hohen und mittleren Lage her erinnert sein Lohengrin an den von Peter Anders. Leider ist aber die Tiefe von Vogts Stimme nur recht schwach entwickelt und verfügt über zu wenig Volumen, um für die anderen großen Wagnertenorpartien mit Ausnahme des Walther von Stolzing auszureichen. Schließlich ist noch das eminente Darstellertalent Vogts zu erwähnen, der seine schwierige Aufgabe, gleichsam als Bote eines anderen Zeitalters aufzutreten, souverän meisterte. Wie er so wurde auch Kwangchul Youn als König Heinrich seinem guten Ruf als Wagnersänger und -darsteller gerecht. Gegenüber diesen ließ der Telramund Gerd Grochowskis eher kalt. Dorothea Röschmann als Elsa hat eine jugendlich schlanke, für die Partie angemessene Stimme. Sie bemühte sich um ergreifendes Spiel, dort wo es von der Regie verlangt war. Michaela Schuster als Ortrud vermochte darstellerisch, aber nicht stimmlich zu überzeugen. Ihr Tremolo ist recht unausgeglichen und die Deutlichkeit der Aussprache verbesserungswürdig.
Fazit
Herheims Ansatz, die Handlung des Lohengrin ins Lächerliche zu ziehen, ist ausgesprochen wohlfeil. Dabei sind vor allem zwei Dinge problematisch: zum einen sind seine Scherze ausgesprochen pennälerhaft, ja sie geraten zur geist- und herzlosen Comedy, so wie man sie im Fernsehen zur Genüge sehen kann. Um erhellend oder witzig zu sein, fehlt es Herheim sowohl an Willen zur Anarchie, als auch an Werkkenntnis, wie sie etwa die Inszenierungen Benedikt von Peters oder Christoph Schlingensiefs auszeichnen. Zum anderen gleicht sein Konzept einem dramaturgischen Salto mortale, wenn er nach karikierenden Szenen immer wieder versucht, ernsthaft zu werden. Dazu gesellt sich der ungute Beigeschmack extremer Selbstherrlichkeit, wenn Insiderscherze über die Opernregie gemacht werden und anstatt eines Schlußbildes Wagners Diktum Kinder, schafft Neues! erscheint. Hier schlägt sich jemand äußerst wichtigtuerisch auf die Brust. Daß dabei weltweit führende Musiker ihres Faches nahezu durchweg eine brillante Leistung erbringen, fällt angesichts all der Unstimmigkeiten auf der Bühne beinahe überhaupt nicht mehr auf. Was für ein Jammer!

Dr. Martin Knust

Bild: Karl Forster
Das Bild zeigt: Kwangchul Youn (Heinrich der Vogler), Dorothea Röschmann (Elsa von Brabant) und Klaus Florian Vogt als Lohengrin. (v.l.)

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