Berlin, Deutsche Oper – MARIE VICTOIRE

von Ottorino Respighi (1879 – 1936), Oper in vier Akten, Text von Edmond Guiraud nach seinem gleichnamigen Schauspiel, UA: 2004 Rom
Regie: Johannes Schaaf, Bühne: Susanne Thomasberger, Kostüme: Petra Reinhardt, Dramaturgie: Andreas K. W. Meyer und Carsten Jenß, Licht: Manfred Voss, Choreographie: Silke Sense
Dirigent: Michail Jurowski, Orchester und Chor der Deutschen Oper, Einstudierung: William Spaulding
Solisten: Takesha Meshé Kizart (Marie de Lanjallay), Markus Brück (Maurice de Lanjallay), Germán Villar (Clorivière), Simon Pauly (Simon), Stephen Bronk (Cloteau) u.a.
Besuchte Aufführung: 9. April 2009 (Premiere, Deutsche Erstaufführung)

Kurzinhalt
deutsche-oper-marie-victoir.jpgDas adelige Ehepaar Marie und Maurice wird in den Wirren der französischen Revolution voneinander getrennt. Beide glauben, der andere wäre tot. In der Nacht vor ihrer Hinrichtung gibt sich Marie dem aufdringlichen Clorivière hin, doch erlangt sie durch die Ermordung Robespierres und das Ende seiner blutigen Herrschaft überraschend ihre Freiheit wieder. Sie hat in dieser Nacht ein Kind empfangen. –
Sechs Jahre später: Maria hat sich unter Napoleon Bonaparte als Hutmacherin wirtschaftlich selbständig gemacht. Clorivière kommt zum ersten Mal seit jener Nacht zu ihr, um sich von ihr und seinem Kind zu verabschieden. Er verübt daraufhin ein Attentat auf Bonaparte. Unglücklicherweise betritt in diesem Moment der verschollene Maurice das Geschäft Maries. Eine aufgebrachte Volksmasse nimmt ihn versehentlich als Attentäter fest. In dem anschließenden Prozeß gesteht Maurice, der von Maries Untreue zutiefst getroffen ist, ihr seine Liebe. Währenddessen stellt sich der verzweifelte Clorivière seinen Verfolgern und tötet sich im Gerichtssaal.
Aufführung
Daß Johannes Schaaf als Filmregisseur gearbeitet hat, merkt man an der gesamten Inszenierung: Die Aktionen aller Figuren, auch die der Nebenrollen und Choristen, schaffen einen fast schon filmischen, illusionistischen Gesamteindruck, das Timing der Aktionen ist minutiös auf die Musik abgestimmt. Alle Darsteller wirken dabei erstaunlich sicher, so als würde es sich um eine seit Jahren gespielte Produktion handeln. Ziel der Inszenierung ist eine naturalistische und von Kostüm und Bühnenbild her ganz im Stile der Handlungszeit gehaltene Umsetzung des Textes. Darauf beschränkt sich diese Erarbeitung. Einen dem Libretto von der Regie unterlegten Subtext gibt es nicht.
Sänger und Orchester
Eine gerechte Beurteilung dieses Werkes ist aufgrund einer fehlenden Aufführungstradition schwierig. Es hat, kurz gesagt, den Anschein, als habe Respighi diese Oper phasenweise überinstrumentiert, so daß es den Sängern an etlichen Stellen nicht gelang, gegen die unter Michail Jurowskis Leitung wahrhaft überwältigenden Klänge des Orchester anzukommen. Vielleicht muß sich aber auch erst ein diesem Werk angemessenes Gesangsfach herausbilden, denn Respighis Sprachvertonung unterscheidet sich stark von der seiner Vorbilder und Zeitgenossen wie etwa Puccini oder Richard Strauss, so daß auf dieses Repertoire spezialisierte Sänger mit ihrem Können bei Respighi nicht unbedingt sehr weit kommen. Der sängerische Glanzpunkt des Abends war ohne Zweifel Takesha Meshé Kizart in der Titelpartie. Eine helle und dabei starke Stimme mit einem angenehm schlanken Vibrato kombiniert diese Sängerin mit einer großen darstellerischen Begabung. Die tiefen Parlandopassagen, die sich der veristischen Tradition gemäß, in der diese Oper steht, dem Sprechtonfall nähern, singt sie technisch ebenso vollendet wie die emphatischen Kantilenen und weiten Sprünge ihrer Partie. Gleiches gilt für den Maurice Markus Brücks, dessen massive Höhe viel Erfahrung als Puccinisänger verrät. Darstellerisch war allerdings Stephen Bronk als Cloteau derjenige, der aus dem Ensemble herausragte. Die originelle Figur des Cloteau changiert zwischen unerbittlichem Fanatismus und dem Fach des sogenannten rührenden Alten. Die zahlreichen kleinen Partien dieser Oper wurden an diesem Abend ohne Abstriche gut gesungen. Auch hier ist, wie schon im Bereich der Darstellung, die außerordentliche Sicherheit, mit der die zum Teil recht diffizilen Passagen vorgetragen wurden, bemerkenswert.
Fazit
Marie Victoire ist eine echte Neuentdeckung und Bereicherung des Opernrepertoires. So, wie sie in Berlin gespielt und gesungen wird, hat sie das Zeug, zu einem großen Publikumserfolg zu werden. Das gilt ohne Abstriche für die Inszenierung, die eindrucksvoll vor Augen führt, zu welch großartigen Resultaten eine auf das rein Handwerksmäßige beschränkte Opernregie führen kann. Eine derart bis ins Detail nachvollziehbare, in sich stimmige und stets von Musik und Werktext – und von nichts anderem – motivierte Produktion ist eine Seltenheit. Die musikalische Interpretation stellt den virtuosen, farbigen Orchestersatz in den Mittelpunkt, und die Sänger geben ihr bestes, damit mitzuhalten. Eine Produktion, die durch ihre szenische und orchestrale Perfektion auch selbst gestandene Operngänger zu verblüffen vermag.

Dr. Martin Knust

Bild: Barbara Aumüller
Das Bild zeigt: Takesha Meshé Kizart als Marie de Lanjallay.

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