Pesaro, Rossini Opera Festival

Die Zusammenarbeit dreier Institute (Fondazione Rossini, Verlag Casa Ricordi und Rossini Opera Festival), einer einmalige Zusammenarbeit in der Musikwelt, gelingt es seit 1980 nicht nur Rossinis Kompositionen, sondern auch authentische Aufführungen in Rossinis Geburtsstadt Pesaro (Adria) zustande zu bringen. Das Publikum kommt jährlich in steigender Zahl zu dieser sonnigen Küstenstadt und jubelt über die großartigen Sängerinnen und Sänger, die mit perfektem Können den von Rossini so geliebten Belcanto-Gesang einer dankbaren Zuhörerschaft präsentieren. Dieses Opernfestival hat nichts Vergleichbares in Europa! Hinzu kommt nämlich, daß hier nicht gemogelt wird, wie das häufig bei anderen Festivals üblich ist, bei denen man Operninszenierungen aus dem Repertoire für das Festival hervorkramt.

Armida

von Gioachino Rossini (1792-1868) Dramma per musica in 3 Akten, Libretto: Giovanni Federico Schmidt nach Episoden aus dem Epos La Gerusalemme liberata – Das befreite Jerusalem (1575) von Torquato Tasso, UA: 11. November 1817 Neapel,  Teatro San Carlo

Regia: Luca Ronconi  Bühne: Margherita Palli, Kostüme: Giovanna Buzzi, Licht: A.J. Weissbard, Choreographie: Michele Abbondanza

Dirigent: Carlo Rizzi, Orchester und Chor des Teatro Comunale di Bologna, Choreinstudierung: Andra Faidutti

Solisten: Randall Bills (Goffredo/Ubaldo), Carmen Romeu (Armida), Antonio Siragusa (Rinaldo), Dmitry Korchak (Gernando/Carlo), Carlo Lepore (Idraote/Astarotte), Vassilis Kavayas (Eustazio)

Besuchte Aufführung: 19. August 2014 (Premiere 10. August 2014)

Pesaro Armida romeu leporeVorbemerkung

Armida war die dritte Opera seria, die Rossinis für Neapel komponierte. Davor waren Elisabetta, Königin von England (1815) und Otello (1816). Auch für Rossini war das Libretto mit der Zauberin und den Dämonen eine neue Erfahrung. Einem Librettisten schrieb er Jahre später (1834): Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so wär er der, sich auf die Grenzen des Natürlichen zu beschränken, anstatt weiter in die Welt der wilden Fantasien und teuflischen Ideen hineinzuirren … (aus: H. Weinstock Rossini, S. 96).

Im Mittelpunkt steht eine der faszinierendsten Figuren aus dem Werk des berühmten Torquato Tasso. Der 25jährige Rossini brauchte drei Monate zur Komposition. Die Sängerin der Armida, Isabella Colbran, wurde 1822 seine  Frau.

Kurzinhalt

Die Zauberin Armida kommt ins Kreuzritterlager nahe Jerusalems. Sie sind dabei, den Kreuzritter Dudone zu begraben. Armida gibt vor, Idraote würde ihr, der Königin von Damaskus, den Thron rauben. Er ist ihr Onkel und Vertrauter und steht neben ihr, was aber die Kreuzritter nicht erkennen. Vom Heerführer Goffredo erbittet sie flehentlich, ihr zehn Kreuzritter als Hilfe gegen ihre Feinde zu geben, natürlich in der Absicht, das Kreuzritterheer zu schwächen.

Goffredo gibt nach und Armida ist außer sich vor Freude, zumal sie jetzt noch ihren ehemaligen Geliebten Rinaldo antrifft. Dieser wird als Nachfolger von Dudone gewählt, was wiederum Gernando so in Wut versetzt, daß er Rinaldo zum Duell herausfordert. Rinaldo besiegt ihn, muß dann aber vor den Freunden Gernandos fliehen. Darauf hat Armida gewartet und nimmt ihn mit in ihr Zauberreich, wo er alle Freuden der Liebe mit ihr erlebt bis seine Freunde, Carlo und Ubaldo, kommen, um ihn von der Zauberin loszureißen. Diese fällt darob zunächst in Wut, dann in Trauer und verschwindet schließlich zusammen mit ihren Höllengeistern unter Androhung furchtbarer Rache in der Unterwelt.

Aufführung

Auf der zum Hintergrund recht schmalen, sonst breiten Bühne der Adriatic Arena stehen zwei hohe „Schaukästen“ mit gefallenen Kreuzrittern. Im zweiten Akt erscheinen die Dämonen in einem hochstämmigen Wald und die beiden Liebenden, Armida und Rinaldo, auf einer Wolke, von Blumen umgeben. Nach dem Ballett auf einer fast leeren Bühne sind wir wieder im Wald, zunächst mit dem Liebespaar und den „Befreiern“ Ubaldo und Carlo. Zum Ende entführen die Dämonen Armida von einer leeren Bühne in die Unterwelt.

Die Krieger tragen rote Uniformen mit glänzendem Brustpanzer sowie Helm mit Federn aus der Zeit der Kreuzritter. Armida kommt mit nackten Füßen und langen, verschieden farbigen Kleidern auf die Bühne. „Ihre“ Dämonen sind schwarz oder grau gekleidet. Deren Anführer, Astarotte, trägt einen langen, schwarzen Mantel, den er um sich schlingen kann, so daß  Gesicht und Gestalt völlig verschwinden. Zum Schluß zeigt sich auch Armida in leuchtend rotem Kleid mit riesigen roten Flügeln, ähnlich einer Fledermaus.

Sänger und Orchester

Befindet man sich beim Rossini Festival, so braucht man sich kaum um die Güte des Singens zu scheren, alles (oder fast alles) läuft perfekt. Man erlebt einen Belcanto der Sonderklasse. Man befindet sich geradezu in einer Schule des Hörens!

Mit unnachahmlicher Italianità rauscht die zweiteilige Sinfonia vorüber. Der stets vorzüglich intonierende Chor eröffnet mit Lieto, ridente oltre usato – ein strahlender Sonnenaufgang und Randall Bills (Goffredo) mit Ah! No: sia questo die tregua il giorno – Ah! Nein: heute sei ein Tag ohne Kampf. Bills‘ gut fokussierter Tenor verspricht vieles: Deutlichkeit der Artikulation, formvollendete, leuchtende Koloraturen mit entsprechender Dynamik, eine Leistung, die dieser Sänger, auch bei seiner zweiten Rolle im letzten Akt als Ubaldo, aufrecht erhält. Dmitry Korchak (Gernando) zeigt in seiner langen Arie als Widersager Rinaldos einen weiteren Höhepunkt tenoraler Leistung: Il sorte infida – tückisches Schicksal (5. Szene) und beim Duellbeginn mit Rinaldo: Ch’io tema il tuo sdegno – soll ich deinen Zorn fürchten (9. Szene). Seine Atemtechnik erprobt er in den langen Noten, denen abschließend manchmal komplizierte Koloraturen angehängt sind. Wohltunend und intonationssicher das begleitenden Hornsolo! Beim Terzett (letzter Akt) erlebt das Publikum die beiden zusammen mit Rinaldo – Randall Bills als Ubaldo und Dmitry Korchak als Carlo –noch einmal mit großem belcantistischen Können.

Antonio Siragusa (Rinaldo) läßt kein Zweifel an seinen Fähigkeiten aufkommen. Er ist in Italien ein sehr bekannter Sänger und das – wie wir hier erleben – mit Recht. Schon im Duett mit Gernando, mehr noch in den Duetten mit Armida, erstaunt man über das Timing der Ornamente und der Kadenzen oder bei den Rouladen (rollenden schnellen Noten) und Vokalisen (riesige Tonleiterläufen), alles mit vollendeter Atemtechnik.

Die Spanierin Carmen Romeu gibt der Person der Armida ihre durchschlagende Kraft und Dynamik. Rossini zeichnet in Armida die einzige weibliche Rolle, und zwar so isoliert wie sonst keine Frau in seinen Opern. Aber die aus Valencia stammende, in Rom ausgebildete junge Sopranistin hält die ungeheure Anstrengung ohne Ermüdungserscheinungen durch! Im Mittelpunkt ihrer wahrlich abenteuerlichen Arien und Duette steht die Rondo-Arie D’Amor al dolce impero – die Natur unterwirft sich immer den zarten Regeln der Liebe, worin sie, mit dem Chor der Nymphen abwechselnd, die Fruchtbarkeit aller Lebewesen, der Tiere und Pflanzen und die Jugend mit ihrer vergänglichen Schönheit darstellt. In diesem Feuerwerk Rossinianischer Verzierungskunst bewegt sich Carmen Romeu bei den gefährlichsten Intervallsprüngen oder Dreiklangsbrechungen, in den langen Vokalisen mit überschnellen Triolen, das Vogelgezwitscher nachempfindend, sicher wie ein Fisch im Wasser und erfreut das Ohr mit Spitzentönen ihres  strahlenden Soprans . Es ist atemberaubend! Und gegen Ende der Oper gestaltet sie den Abschied von ihrem geliebten Rinaldo noch einmal mit sagenhaftem Belcantofunkeln. Dann entschwebt sie mit Hilfe ihrer Dämonen, und wir können sie nicht aufhalten!

Fazit

Die äußerst selten aufgeführte Armida in all ihrem Zauber und riesigen Gesangsleistung zu stemmen, gelingt nur ganz wenigen Opernhäusern. Hervorheben sollte man die Tatsache, daß keinerlei Kürzungen oder Striche vorgenommen wurden, übrigens auch nicht beim Barbiere di Siviglia. Das und vieles andere macht das Rossini Opera Festival für die Melomanen zum  Zentrum des Belcanto!

Etwas, was bei uns ziemlich lieblos behandelt wird, ist das Programmheft. Hier bringt es den gesamten Text! Darüber hinaus kann man den Operninhalt in Italienisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch und Japanisch lesen. Daneben gibt es wesentliche Aufsätze zur Entstehung und zur kritischen Edition der Oper in italienischer und englischer Sprache. Solche Programmhefte werden seit jeher dem Publikum in Pesaro angeboten.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Studio Amati Bacciardi

Das Bild zeigt: ein Soldat, li., Carmen Romeu (Armida), Carlo Lepore (Astarotte) re.

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