Pesaro, Rossini Opera Festival

Il barbiere di Siviglia – Der Barbier von Sevilla

von Gioachino Rossini (1792-1868), Commedia in 2 Akten, Libretto: Cesare Sterbini nach der Komödie Le Barbier de Séville von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, U.A. 20. Februar 1816 Rom, Teatro Argentina, als Almaviva ossia L`inutile precauzione – Almaviva oder Die nutzlose Vorsicht

Dirigent: Giacomo Sagripatti, Orchester und Chor des Teatro Comunale di Bologna, Choreinstudierung: Salvatore Francavilla

Aktionen: Accademia di Belle Arti di Urbino (Idee, szenische Elemente, Video, Kostüme)

Solisten: Juan Francisco Gatell (Graf Almaviva), Chiara Amarù (Rosina), Paolo Bordogna (Bartolo), Florian Sempey (Figaro), Alex Esposito (Basilio), Andrea Vincenzo Bonsignore (Fiorello/ein Offizier), Felicia Bongiovanni (Berta), Alberto Pancrazi (Ambrogio, stumme Rolle)

Besuchte Aufführung: 20. August 2014 (Premiere 11. August 2014, halbszenische Aufführung)

Pesaro Barbiere tuttiKurzinhalt

Bei einem Ständchen, das Graf Almaviva mit einer Schar Musiker Rosina darbringt, kommt Figaro, ein alter Bekannter Almavivas, vorbei. Beide hecken Pläne aus, das Mündel Rosina aus der Abhängigkeit von Bartolo zu befreien. Figaro, ein stadtbekannter Barbier, kennt sich in solchen Dingen aus. Zunächst geht aber alles schief. Schließlich gelangen Almaviva und Figaro mit Hilfe einer Leiter ins Haus. Doch das Liebesgeflüster von Rosina mit dem Grafen zieht sich so in die Länge, daß die Leiter von Bartolo entdeckt und entfernt werden kann. Plötzlich kommen Basilio und ein Notar ins Haus, um die Ehe zwischen Dr. Bartolo und Rosina zu vollziehen. Almaviva besticht Basilio mit einem wertvollen Ring, so daß dieser verschwindet. Nun wird kurzerhand die Hochzeit zwischen Almaviva mit Rosina geschlossen und der eintretenden Dr. Bartolo muß sich, wohl oder übel, einverstanden erklären.

Aufführung

Überrascht waren wohl alle Zuschauer, daß es sich keineswegs – wie angekündigt – um eine halbszenische Aufführung handelte. Dagegen hatte die Accademia di Belle Arti di Urbino – die Akademie der Schönen Künste aus Urbino – die Personenführung, Lichtregie etc. und Requisiten, offensichtlich ohne Regisseur (!), in Szene gesetzt.

Die Oper beginnt bei geschlossenem Vorhang. Doch dieser erlaubt eine „verschleierte“ Sicht auf den Chor der Musiker. Man schließt das Logentheater vollständig in die Szene ein. Die Protagonisten kommen aus dem Zuschauereingang und erreichen, mit „gewitzten“ Unterbrechungen, die Bühne. Für die Unterrichtsstunde zum zweiten Akt steht ein Klavier mit geschweiftem Korpus bereit, das zu mannigfaltigen Aktionen Veranlassung gibt. Der Offizier, der den Streit des Grafen und Dr. Bartolos schlichten soll, wird auf einem Pferd sitzend hereingefahren. Den „fieberkranken“ Basilio versucht man, über den Zuschauerraum in einer Sänfte hinauszutragen. Schnell hat man auch ein Fenster an der Front einer Loge angebracht, wo der Graf und Figaro eine Leiter anlegen. Auf der Bühne sitzt stumm, von Beginn bis Ende, Ambrogio, der Diener Bartolos. Symbolisiert er den suspendierten Regisseur?

Sänger und Orchester

Vital und schwungvoll beginnt das Orchester nach der flotten Ouvertüre unter seinem jungen Dirigenten Giacomo Sagripatti die Introduktion, wobei der Chor durch rhythmisch genaues Singen glänzt. Mit großer Emphase stellt sich der Argentinier Juan Francisco Gatell (Graf Almaviva) mit seiner Auftrittsarie Ecco, ridende in cielo – sieh, lächelnd am Himmel steigt die holde Morgenröte vor, die Verzierungen kommen genau und die Vokalisen huschen vorbei. Gatell hat eine schlanke Tenorstimme, er ist ein typischer Tenore di grazie ähnlich wie ihn Juan Diego Flòrez besitzt. Mit dem allbekannten Largo al factotum della città – Platz dem Faktotum (Alleskönner) der ganzen Stadt bringt Florian Sempey (Figaro) den Saal zur Raserei, das Publikum tobt und  schreit bravo. Sempeys Bühnenpräsenz und Gestik ist umwerfend, hinreißend und brillant, auch in den weiteren Arien und Duetten. Er dominiert, wenn er auf die Bühne kommt!

Das ganze Theater bleibt weiter Schauplatz des Geschehens: Chiara Amarù (Rosina) tritt in einer Loge auf, geht dann auf die Bühne und zeigt sich als vollkommene Belcantistin: Mit Una voce poco fa – eine Stimme hört‘ ich eben und später (2 Akt, 3. Szene): Contro un cor – gegen ein in unauslöschbarem Feuer entbranntes Herz erfreut sie die Zuhörer mit schlank in die Höhen geführten und niemals forcierten Spitzentöne. Ihr Atem reicht stets für alle langen Passagen, für die Dynamik und dem Marcato. Vokalisen und Rouladen perlen nur so aus ihrem lächelnden Mund.

Höchste artifizielle Kunst! Sie sollte man gehört haben, um Heinrich Heines Bemerkungen bezüglich Rossini zu verstehen: Rossini, divino maestro, der du deine klingenden Strahlen über die Welt verbreitest! … Ich erfreue mich deiner goldenen Töne, deiner melodischen Lichter, deiner funkelnden Schmetterlingsträume, die mich so lieblich umgaukeln und mir das Herz küssen wie mit Lippen der Grazien. (Reisebilder II, 18. Kapitel). Und an einer anderen Stelle: Die Verächter italienischer Musik, die auch dieser Gattung den Stab brechen, werden einst in der Hölle ihrer wohlverdienten Strafe nicht entgehen und sind vielleicht verdammt, die lange Ewigkeit hindurch nichts anderes zu hören, als Fugen von Bach.

Aber daß auch Wahrheiten und Warnungen von einer Rossini-Oper ausgehen, erlebt man bei Basilios Verleumdungsarie: La calunnia è un venticello – die Verleumdung ist ein Lüftchen. Alex Esposito (Basilio) entledigt sich seiner Aufgabe in mustergültiger Weise, wobei auch die „gestische“ Gestaltung von Dirigent und Orchester das ihre dazu beitragen. Eine ähnliche Botschaft bezüglich der heute aufblühenden Prahlerei faßt Dr. Bartolo zusammen mit Un dottor della mia sorte – um einen Doktor meines Ranges. Paolo Bordogna (Bartolo) beschert dem Publikum eine blendende Vorführung, wofür sein rasendes, makelloses Parlando sorgt. Als dann Buona sera, mio signore, pace, sonno e sanità – guten Abend, mein Herr, Friede, Schlaf und Gesundheit ertönte, singt das tobende Publikum beinahe vor Begeisterung mit.

Fazit

Selten hat der Rezensent ein ähnlich mitgehendes, gestikulierendes und tobendes Publikum erlebt. Die Mitglieder der Accademia der Schönen Künste aus Urbino, die diesen Abend ausrichteten, hatten sich sicherlich von den tollen Empfindungen des Pesaresen anstecken lassen.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Studio Amati Bacciardi

Das Bild zeigt: Alle Solisten: Paolo Bordogna (Bartolo), Chiara Amarù (Rosina), Juan Francisco Gatell (Graf Almaviva), Alex Esposito (Basilio), Florian Sempey (Figaro), Felicia Bongiovanni (Berta) v.l.n.r.

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