Nürnberg, Staatstheater – DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

von Wolfgang A. Mozart (1756-1791); Singspiel in drei Aufzügen, Libretto von Johann Gottlieb Stephanie d.J.; UA: 1782, Wien.
Regie: Andreas Baesler, Bühnenbild: Harald Thor
Dirigent: Christof Prick, Nürnberger Philharmoniker, Chor des Staatstheaters Nürnberg
Solisten: Mehmet Yilmaz (Bassa Selim), Heidi E. Meier (Konstanze), Tilman Lichdi (Belmonte), Melanie Hirsch (Blonde, A-Premiere), Leah Gordon (Blonde, B-Premiere), Jeff Martin (Pedrillo), Guido Jentjens (Osmin).
Besuchte Aufführung: 20. Dezember 2008 (A-Premiere), 7. Januar 2009 (B-Premiere mit Zweitbesetzung Konstanze)

Kurzinhalt
nurnberg-entfuhrung.jpgDas Singspiel greift ein beliebtestes Thema des 18. Jahrhunderts auf: eine Entführungsgeschichte in der Türkei mit Liebesgeschichte und deren Verwicklungen. Konstanze, ihre Dienerin Blonde und der Diener Pedrillo befinden sich als Gefangene im Topkapi-Palast des Selim Bassa in Istanbul. Konstanzes Verlobter Belmonte macht die Gefangenen ausfindig und versucht sie zu befreien. Bassa Selim findet Gefallen an Konstanze und will sie zu seiner Geliebten machen. Sein Aufseher Osmin hat es auf Blondchen abgesehen, die sich selbstbewußt zu wehren weiß. Belmonte und Pedrillo hecken einen Fluchtplan aus. Zwar gelingt es ihnen Osmin betrunken zu machen, die Flucht scheitert aber. Osmin tobt und droht mit furchtbarer Rache, der Bassa aber zeigt Edelmut und gewährt den beiden Paaren ihre Freiheit, obwohl er erfährt, daß Belmonte der Sohn seines ärgsten Feindes ist.
Aufführung
Das Serail verlegt der Regisseur Andreas Baesler in den Hinterhof eines Altstadt-Wohnblocks in Nürnberg. Der Bassa Selim, dargestellt vom bekannten Schauspieler Mehmet Yilmaz, hat hier das Sagen, die türkischen Mitbewohner jubeln ihm und seinen beiden schwarz gekleideten Gefolgsleuten mit Schnappmesser zu. Zur wichtigsten Figur aufgestiegen ist Osmin, ein muslimischer Pascha. Er kritisiert die Errungenschaften des Westens, deren gebildeten Damen sich für den Playboy ausziehen. Zwar versucht er Blonde zu dominieren, als sie jedoch zurückschlägt gibt er klein bei. Zum Schluß kommt sie noch einmal zurück, gibt ihm eine letzte Chance, er aber flieht entsetzt.
Bleiben die beiden Liebespaare: Constanze und Belmonte, nur scheinbar ein Musterpärchen. Belmonte ist die Karikatur eines geschniegelten Lackaffen, ein typischer BWL-Student. Constanze liebt ebenso die teure Kleidung, sie geht mit dem Bassa einkaufen.
Die Beziehung zwischen Pedrillo und Blonde ist schon mehr gefährdet: Pedrillo ist der dümmliche Hausmeister, Blonde schwankt zwischen Osmin und Pedrillo.
Die Inszenierung bietet sehr viel fürs Auge: Bassa Selim zieht in das Topkapi genannte Vereinsheim ein und wird von einer türkischen Bilderbuch-Gesellschaft begrüßt. Während Konstanze sich als Dame in orientalischen Gewändern mit Kopftuch gibt, überzeugt Blonde in geschmackloser britischer Kleidung als Punkerin mit Turnschuhen.
Sänger und Orchester
Musikalisch wird die Leistungsfähigkeit des Staatstheaters unter Beweis gestellt. In flottem Tempo und großer Lautstärke zaubert GMD Christof Prick einen mitreißenden Klangteppich auf die Bühne. Die sehr schwierigen (und zumeist unterschätzten!) Rollen der Konstanze, Blonde und Belmonte sind ausgezeichnet besetzt: Elisabeth Meier (Konstanze) zaubert gerade in den Höhenlagen technisch glänzende Koloraturen, auch wenn sie manchmal etwas zu viel Kraft verwendet. Melanie Hirsch als Blonde hat einen sehr beweglichen, einschmeichelnden Sopran während Leah Gordon inder B-Premiere sehr viel verspielter und very British wirkt. Tilman Lichdi als Belmonte ist ein wunderbarer Mozart-Tenor, der mit viel Schmelz den Abend glänzend durchsteht. Der Publikumsliebling Guido Jentjens (Osmin) meistert die wohl tiefste aller Basspartien scheinbar ohne Anstrengung, auch wenn er die Grenzen in der Tiefe das eine oder andere Mal erreicht. Jeff Martins kann als Spieltenor-Pedrillo überzeugen, auch wenn ihm am Ende die Kondition ausging.
Fazit
Über die Aktualisierung einer Mozart-Oper kann man geteilter Meinung sein, denn der Ansatz, das Serail in die heutige Zeit einer deutsche Stadt zu verlegen, wirft Fragen auf: Mit welcher Macht sollte der Bassa, dessen Tätigkeit und Position nicht genau definiert werden kann, Konstanze festhalten oder alle Beteiligten an der Flucht hindern? Auch die Aussage des Stückes ist fraglich, denn werden nicht statt Fragen zur Ausländerintegration eher Postkarten-Klischees dargeboten?
Der Eingriff ins Libretto durch die Verwendung der türkischen Sprache wurde kontrovers diskutiert. Daß das Publikum darüber hinwegsah, lag eindeutig an der großartigen musikalischen Leistung, der perfekten Personenzeichnung (auch in den Massenaufläufen) durch den Regisseur und der schauspielerisch überzeugenden Darstellung. Alle Beteiligten wurden in den beiden ausverkauften Premieren vom Publikum gefeiert: Ein unterhaltsamer Abend mit etwas bitterem Nachgeschmack.

Oliver Hohlbach

Bild: Ludwig Olah
Das Bild zeigt: Melanie Hirsch (Blonde), Guido Jentjens (Osmin), Mehmet Yilmaz (Bassa), Tilman Lichdi (Belmonte) und Heidi Elisabeth Meier (Konstanze) v.l.

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