SIMON BOCCANEGRA – Aachen, Stadttheater

von Giuseppe Verdi (1813-1901), Melodrama in einem Prolog und drei Akten, Libretto: Arrigo Boito nach einem Theaterstück von Antonio García Gutiérrez UA: 24. März 1881 Mailand, Teatro alla Scala

Regie: Nadja Loschky, Bühne/Kostüme: Gabriele Jaenecke, Dramaturgie Michael Dühn

Dirigent: Kazem Abdullah, das Sinfonieorchester Aachen, , Opernchor,  Extrachor Theater sinfonischer Chor, Einstudierung: Andreas Klippert

Solisten: Tito You (Simon Boccanegra), Irina Popova (Amelia Grimaldi), Ulrich Schneider (Jacopo Fiesco), Alexey Sayapin (Gabriele Adorno), Hrólfur Saemundsson (Paolo Albini)

Besuchte Aufführung: 7. April 2013 (Premiere)

Kurzinhalt

Während Simon Boccanegra vom Volk zum Dogen von Genua gewählt wird, erfährt er, daß seine Geliebte Maria, die Tochter des Patriziers Fiesco, gestorben ist. Ihre gemeinsame Tochter war vor langer Zeit entführt worden. Als Boccanegra im Namen Paolos, eines Günstlings des Dogen, um die Hand von Amelia Grimaldi anhält, erkennt er, daß sie seine Tochter ist. Amelia aber ist in Gabriele Adorno verliebt, der eine Verschwörung gegen den Dogen plant. Als Adorno erfährt, daß Boccanegra Amelias Vater ist, wechselt er die Seite und kämpft gegen die Verschwörer. Boccanegra versöhnt er sich mit Fiesco und bringt ihn mit seiner Enkelin Amelia zusammen. Doch Paolo, einer der Mitverschwörer, hat Boccanegra ein vergiftetes Getränk gegeben. Boccanegra segnet Adorno und Amalia als Paar und ernennt Adorno zum neuen Dogen. Doch der Gifttrank wirkt und er stirbt.

Aufführung

Im Zentrum eines grauen Einheitsbühnenbilds befindet sich eine Drehscheibe, die von grauen Steinmauern umrandet ist, was an ein Monument erinnert. Die Handlung vollzieht sich auf der Drehscheibe im Inneren. Ebenso karg wie der Schauplatz sind die Kostüme: die Patrizier tragen Anzüge in Grau und Dunkelblau, die Plebejer Kostüme in erdfarbenen Tönen. Regisseurin Nadja Loschky setzt verschiedene Hilfsmittel ein, um die ursprüngliche Handlung aufzubrechen. Vor den Akten wird beispielsweise Meeresrauschen eingespielt, um Genua als Hafenstadt zu verdeutlichen, und es wird eine Liebesszene zwischen Boccanegra und Maria nachgestellt, die Boccanegras Vergangenheit verdeutlicht. Abgesehen davon läßt die Inszenierung sehr viel Freiraum für die Entfaltung des Seelenlebens der Figuren.

Sänger und Orchester

Tito You (Simon Boccanegra) ist durch seine Stimmgewalt und seine erhabene Ausstrahlung eine perfekte Besetzung der Titelrolle. Er hat einen wuchtigen Bariton, der durch sein helles Timbre, besonders in den Höhen, glänzt. Im Prolog hält er sich im Forte, doch schauspielerisch erscheint er eher kühl und distanziert. Das Wiederfinden der Tochter im ersten Akt wirkt wie ein Wendepunkt. Hier singt er die Gesangslinien piano und haucht das figlia am Ende des Duetts des ersten Akts im sotto voce, was Versöhnlichkeit anzeigt. Gefühlvoll wirkt auch Irina Popova (Amelia Grimaldi) in ihrer Rolle. Ihr heller Sopran paßt vom Timbre her gut zur Gestalt einer liebevollen Tochter. Besonders im sotto voce klingt ihre Stimme sehr anmutig. Ebenso überzeugend sind ihre Gestik und Mimik (weinen, schluchzen etc.). Einziger Wehrmutstropfen ist ihr ausgeprägtes Vibrato in den Spitzentönen. Überraschend eindrucksvoll ist Alexey Sayapin (Gabriele Adorno) mit seinem technischen Können. Sein gläserner, heller Tenor ist sehr wandlungsfähig. So singt er im ersten Akt Cielo di stele orbatoEngel den vom Himmel mir sandte sehr legato, wobei er seine Stimme an-und abschwellen läßt. Im dritten Akt im Duett mit Amelia Tu qui?…Du hier, Amelia?  bringt er dagegen die Silben sehr akzentuiert heraus, die Wut ist ihm an den Augen abzulesen. Ein weiterer gesanglicher Höhepunkt erleben die Zuschauer in Ulrich Schneider (Jacopo Fiesco). Er spielt den gequälten Vater am Boden kauernd und sein stählerner Baß ist warm in der Tiefe und glanzvoll in der Höhe. Die Töne des Delle faci festanti al barlumeIn des Festes laut jubelndem Treiben im dritten Akt singt er mit Inbrunst mit Bruststimme. Lobenswert ist auch die Leistung des Orchesters unter der Leitung von Kazem Abdullah. Die Tempiwechsel sowie die dynamischen Steigerungen gelingen einwandfrei, auch wenn das Anfangstempo des Prologs ein bißchen zu schnell dirigiert wird. Das Vorspiel zum dritten Akt überzeugt durch ein rhythmisch genaues Presto und eine sehr gute Dynamik in Streichern und Bläsern.

Fazit
Regisseurin Nadja Loschky trifft den Nerv der Verdi-Oper, indem sie die Emotionen der Figuren in den Vordergrund stellt. So wirkt die Inszenierung lebensecht. Dafür wird sie vom Publikum mit Applaus gewürdigt. Die musikalische Darbietung ist in allen Bereichen exzellent. Am Ende gibt es stehenden Beifall, besonders für Tito You, der sich unter Tränen vor dem Publikum verbeugt. Ein unvergeßlicher Opernabend!

Melanie Joannidis

Bild von: Carl Brunn

Das Bild zeigt: Ulrich Schneider (Fiesco), Tito You (Simon Boccanegra), Statisten im Hintergrund, Alexey Sayapin (Gabriele Adorno), Irina Popova (Amelia)

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