LA FINTA GARDINIERA (DIE PFORTEN DER LIEBE) – Berlin, Staatsoper im Schillertheater

von Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), Neufassung des Librettos von Hans Neuenfels, Musiktexte von Giuseppe Petrosellini,

UA: 13. Januar 1775, München,  Opernhaus St. Salvator

Regie: Hans Neuenfels, Gudrun Hartmann, Dramaturgie: Henry Arnold, Bühnenbild und Kostüme: Reinhard von der Thannen, Licht: Olaf Freese, Dirigent: Christopher Moulds, Staatskapelle Berlin

Solisten: Stephan Rügamer (Podesta), Annette Dasch (Violante Onesti unter dem Namen Sandrina), Joel Prieto (Contino Belfiore), Alex Penda (Arminda), Stephanie Atanasov (Ramiro), Regula Mühlemann (Serpetta), Aris Argiris (Nardo), Elisabeth Trissenaar (Contessa, Sprechrolle), Markus Boysen (Conte)

Besuchte Aufführung: 24. November 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

Das ursprüngliche Libretto, das von dem 18jährigen Mozart zu einem deutschen Singspiel umgearbeitet wurde, hat Hans Neuenfels in eine Neufassung des Textes umgearbeitet, in der es um die Liebe in ihren vielfältigen sexuellen Spielarten geht, den Zerfall der menschlichen Beziehungsfähigkeit sowie die Unvereinbarkeit von Mann und Frau. Den bisherigen Paarkonstellationen fügt Neuenfels eine weitere hinzu: zwei alternden Eheleute, Conte und Contessa, kommentieren die Zustände und philosophieren mit spitzer Zunge über ihr Eheleben. Letztlich stirbt der an Karl Lagerfeld erinnernde Conte nach anstrengendem Gebrüll im Rollstuhl. Der zweite Teil der Oper endet mit der zögerlichen Annäherung von Sandrina und Belfiore.

Aufführung

Die auf zwei Akte gekürzte Inszenierung der Oper findet in einem meist von einem quaderförmigen, verschiebbaren Wandfragment dominierten Raum statt, der indirekt beleuchtet wird. In einem aus Musikinstrumenten geformten Stuhlensemble beschwört Podesta die Schönheit Sandrinas mit deftigen Worten …für das angebetete Arschbäckchen, das meinen sechzig Jahren die baumelnde Leere zwischen den Beinen mit kribbelnden Läusen neuer Lust füllt…Einmal läuft ein Kurzfilm über Affen als Anspielung auf menschliche Vorfahren im Hintergrund, ein anderes Mal kreist über der Szene ein Geier, der die Musik verstummen läßt und den sich unaufhörlich um sich selbst kreisenden Menschen symbolisieren soll. An einem Küchentisch, auf dem ein Mixer steht, zerschneidet Arminda Möhren und Orangen die symbolisch für die männlichen Geschlechtsteile stehen, die sich drei junge Männer mit schmerzverzerrten Gesichtern aus den Hosen holen. Die Zurückweisung Ramiros durch Arminda findet als angedeutetes lesbisches Liebesspiel vor einer tapezierten Wand statt, in deren Loch sich die Köpfe einiger Voyeure zeigen. In zwei Glas-Särgen liegen Sandrina und Belfiore, in der Dunkelheit schreit ein Baby. In der Schlußszene sieht man Sonne, Mond und einen Tunnel mit erleuchtetem Ausgang. Sandrina und Belfiore finden sich als Liebende und klettern hinein. Der Tunnel wird geschlossen.

Sänger und Orchester

Die Berliner Staatskapelle spielt auch ohne alte Instrumente durchsichtig, leicht und gut abgestimmt in der Dynamik mit den Sängern. Bis auf den Schluß sind alle Rezitative gestrichen, die Anzahl der Arien gekürzt und ihre Reihenfolge verändert worden. Musik, Gesang und Handlung fallen auseinander. Bevor man auf das virtuose Cembalospiel in den Übergängen aufmerksam werden kann, bricht es schon wieder ab. Stephan Rügamer gelingt die Darstellung der Karikatur des sexgierigen Bürgermeisters mit Korsage, Hasenohren oder Glatze stimmlich überzeugend. Annette Dasch, die aufgrund einer Krankheit nicht an den Proben teilnehmen konnte, fand schnell in ihre Rolle. Ihr schauspielerischer Ausdruck ihre und stimmliche Leistung in der Hauptrolle der Sandrina steigern sich bis zur Schlußszene, die sie zusammen mit ihrem physisch kaum zu ihr, stimmlich jedoch umso besser passenden Partner, dem jungen Joel Prieto (Belfiore), einfühlsam gestaltet. Es ist ein entspannender Augenblick in der Oper: Musik, Darstellung und Bühnenhintergrund ergänzen hier einander. Einen außerordentlich sonoren Mezzosopran hat Stephanie Atanasov, mit dem sie nicht nur ihre Rolle als Mannweib (Ramiro) füllt, sondern auch zur Intensivierung der tragischen Momente in der Musik beiträgt. Alex Penda (Arminda) ist eine im roten Kleid und auf hochhackigen Schuhen dahinstolzierende Furie, die ihre Empörung über die männliche Untreue in ihren Arien stimmlich deutlich werden läßt. Regula Mühlemann im Petticoat-Kleid mit rosa Strickjäckchen ist eine Schweizerdeutsch sprechende Serpetta, die dem ersten Teil der Oper durch ihren Auftritt etwas Komisches geben kann.

Fazit

Ein höchst verwirrend angelegter, Kälte ausstrahlender erster Teil der Oper wurde von einem zweiten, eher milder gestimmten Teil abgelöst. Mancher Einfall des Regisseurs wirkte gelungen, mancher ließ aber den Zuhörer ratlos zurück. Die Qualität der musikalischen Interpretation blieb während der dreistündigen Aufführungsdauer eine Art Rettungsanker. Die eine Hälfte des Publikums rief im Schlußapplaus Bravo, die andere hielt mit anhaltenden Buh-Rufen dagegen.

Carola Jakubowski

Bild: Ruth Walz

Das Bild zeigt: Stephan Rügamer (Podestà), Joel Prieto (Contino Belfiore)

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