Duisburg – Deutsche Oper am Rhein – FIDELIO

von Ludwig van Beethoven, Große Oper in zwei Aufzügen, Text von Josef Sonnleithner und Georg Friedrich Treitschke, Dialogfassung: Amélie Niermeyer/Hella Bartnig; UA: 20. November 1805 (erste Fassung) Theater an der Wien
Regie: Amélie Niermeyer, Bühne: Stephan Braunfels, Kostüme: Kirsten Dephoff, Licht: Volker Weinhart, Video: Stefan Bischoff/Tim Deckers
Dirgent: Andreas Stoehr, Duisburger Philharmoniker, Chor der Deutschen Oper am Rhein
Solisten: Annette Seiltgen (Leonore), Steven Harrison (Florestan), Heikki Kilpeläinen (Don Pizarro), Sami Luttinen (Rocco), Netta Or (Marzelline), Mirko Roschkowski (Jaquino), Ludwig Grabmeier (Don Fernando), Martin Shalita (1. Gefangener), Rolf Broman (2. Gefangener)
Besuchte Aufführung: 15. November 2008 (Premiere)

Kurzinhalt
duisburg-fidelio.jpgFreiheit – ein revolutionärer Gedanke, der Beethovens Werke wie kein zweiter geprägt hat. Auch seine einzige Oper Leonore, die er zweimal überarbeitet und in der letzten Fassung Fidelio oder Die eheliche Liebe betitelt, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Denn hier beherrschen die Ideen von Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Liebe das Geschehen:
Leonore schleust sich als Mann verkleidet unter dem Namen Fidelio in das Gefängnis des Kerkermeisters Rocco ein, weil sie ihren vor zwei Jahren zu Unrecht verhafteten Mann Florestan hier vermutet. Tatsächlich findet sie ihn in einem von allen anderen Häftlingen abgeschotteten Gefangenen wieder und kann ihn durch Mut und den Glauben an Freiheit und Gerechtigkeit rechtzeitig aus der Inhaftierung retten.
Aufführung und Inszenierung
Freiheit schlägt sich auch in Amélie Niermeyers Inszenierung nieder. Als Intendantin des Düsseldorfer Schauspielhauses finden sich ihre Wurzeln naturgemäß im Sprechtheater. So wundert es nicht, daß sie gemeinsam mit der Dramaturgin Hella Bartnig neue Dialogtexte verfaßte, die den Sängern schauspielerische Momente auferlegen: z.B wird Fidelios verzweifelter Versuch, das Gesicht des Gefangenen zu erkennen und gleichzeitig im Dialog mit Rocco seine Erregung zu verbergen, durch intensive Gestik und Mimik der Sängerin besonders betont.
Doch auch in den gesungenen Passagen wird der Darstellung viel Raum gegeben. Vor dem Bühnenbild des Architekten Stephan Braunfels, das schematisch kühl und trostlos wirkt – viel Varianz bleibt beim Entwurf eines zeitgenössischen Gefängnistraktes zwangsläufig nicht – würden die Sänger ohne ein solches ausgeprägtes Spiel ohnehin verschwinden.
Denn ihre Kostüme (Kirsten Dephoff) sind bis auf Marzellines knallrote Utensilien in blassen, sich vom Hintergrund kaum abhebenden Farben gehalten.
Die Aspekte der Bühnengestaltung sind durchweg nachvollziehbar, stellt ein Gefängnis wahrlich einen tristen Ort dar. Aber gerade das ist es ja nicht, was Beethoven in seiner Oper abgebildet haben wollte. Vielmehr sagt seine emotionsgeladene Musik – energische, akzentreiche Rhythmen stehen im Dualismus zu höchst lyrischen Melodieführungen – daß selbst in einer solchen Umgebung große Gefühle und revolutionäres Gedankengut möglich sind. Während zu Beginn der Oper das kleinbürgerliche Leben Roccos durch einfache Liedelemente ausgedrückt wird, emanzipiert sich im zweiten Akt auch in den Singstimmen ein melodramatischer bis symphonischer Stil: je angespannter die Situation wird, desto flirrender und erregter wird der Orchesterton und um so anspruchsvoller werden die Gesangspartien.
Sänger und Orchester
Andreas Stoehr und die Duisburger Philharmoniker wissen dies genau zu gestalten – doch nicht die Sänger. Sie singen zwar das, was in den Noten steht – jedoch nicht mehr. Sauber, aber kalt wie die Gefängniskulisse, interpretiert Annette Seiltgen die Leonore. Allerdings ist nicht offensichtlich, ob ihre Gefühlskargheit auf Nicht-Können oder Nicht-Dürfen zurückzuführen ist, ob das zum Spiel angehalten Sein das gefühlvolle Singen beeinträchtigt. Gleiches gilt für die anderen Interpreten: Heikki Kilpeläinen (Don Pizarro) wirkt lächerlich, wenn er seine Wutausbrüche fast übertrieben spielt, seine Stimme aber nicht über das Orchester reicht. Netta Or (Marzelline) bringt den nötigen Charme für ihre Rolle mit, ihr Timbre ist jedoch zu metallen und energisch, um die jugendliche Verliebte auch stimmlich auszufüllen. Man wundert sich, was Sami Luttinen dazu bewegt hat, seinen Rocco streckenweise unsauber zu intonieren. Überhaupt ist die Anlage dieser Figur fragwürdig: Warum wird Rocco durchweg als Trottel dargestellt? Schließlich ist er es doch, an dessen Person der Weg zur Zivilcourage vollzogen wird, der sich vom Befehlsempfänger zum moralischen Beispiel mausert. Und auch der Minister (Ludwig Grabmeier) als Parodie auf den Politiker per se, der sich mit fremden Blumen schmückt und peinliche Gebärden an den Tag legt, wirkt deplaziert. Einziger Lichtblick ist Steven Harrison als Florestan, der seine Partie zumindest mit etwas mehr Leben füllt, als seine Mitsänger ihre Rollen.
Den Chor in den einzelnen Zellen aufzustellen, ist dramaturgisch sinnvoll. Doch akustisch birgt es Nachteile: Konsonanten werden nicht gemeinsam abgesprochen, auch sind einzelne Stimmen aufgrund ihrer räumlichen Disposition herauszuhören, was den sonst homogenen Klang des Chores durchbricht.
Fazit
Freiheit in der Inszenierung sollte nicht so weit gehen, daß eine entscheidende Ebene des Stückes verloren geht. Das Publikum schien sich in seiner Unschlüssigkeit ob des Urteils über diese Interpretation einig: Kurzer Vorhang zu verhaltenem Applaus.

Christine Lauter
Bild: Eduard Straub
Das Bild zeigt Annette Seiltgen (Leonore) und Netta Or (Marzelline) vor den Zellen des Chores.

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