GRISELDA – Kassel, Staatstheater

von Alessandro Scarlatti (1660-1725), Opera Seria in drei Akten, Libretto: Apostolo Zeno, UA: (?) Januar 1721  Rom, Teatro Capranica

Regie: Stephan Müller, Bühne: Hyun Chu, Kostüme: Carla Caminati, Licht: Albert Geisel, Bewegungscoach: Michael Langeneckert

Dirigent: Jörg Halubek, Staatsorchester Kassel,

Solisten: Igor Durlovski (König Gualtiero), Nina Bernsteiner (Griselda), Runette Botha (Costanza), Jürgen Appel (Ottone), Gideon Poppe (Corrado), Ulrike Schneider (Roberto)

Besuchte Aufführung: 18. Februar 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

Ottone, ein Edler des Reiches, hetzt das Volk auf gegen Königin Griselda, einer Hirtin, die – wegen ihrer nicht standesgemäßen Herkunft – große Schande über König Gualtiero und Sizilien gebracht hat. Griselda wird vom König verstoßen und beginnt einen langen Leidensweg: Ottone belästigt sie, ihre totgeglaubte Tochter Costanza wird ihr als neue Königin vorgestellt, auch ihr Sohn soll getötet werden, wenn sie nicht Ottone erhört. Doch statt Ottone zu heiraten, wählt sie lieber den Tod. Durch diesen letzten Beweis ihrer Liebe zu Gualtiero sind alle Zweifel ausgeräumt und sie kehrt an die Seite des Königs zurück, Ottone wird entfernt.

Aufführung

Gespielt wird vor einem Bühnenbild ausschließlich auf der Bühnenrampe. Die Bühne besteht aus einer Wand aus Drehtüren. Im zweiten Akt wird die Wand durch eine massive Holzwand ersetzt, in die die einfache Kammer einer Schäferin eingefügt ist. Hinter den Wänden befindet sich ein transparenter Vorhang, auf dem Himmelswolken projiziert werden. Die zeitlosen Kostüme sind von der Antike, der barocken Sicht auf die Antike und moderner Kleidung inspiriert. Eine Bewegungsgruppe als königliche Garde stellt den Druck auf die leidenden Personen plastisch auf der Bühne dar.

Sänger und Orchester

Eine Sternstunde wird diese Griselda durch Jörg Halubek, exzellenter Fachmann für Alte Musik. Zusammen mit dem Staatsorchester erreicht er ein Maximum an musikalischem Gefühl: So ausdrucksstark gelingen barocke Aufführungen selten. Für Halubek sind nicht allein die Arien wichtig, auch die Rezitative – bei Scarlatti mit Orchesterbegleitung – werden besonders einfühlsam dargestellt. Dieses Werk kann man als Testament Alessandro Scarlattis bezeichnen, denn hier gelingt es ihm, die seelischen Abgründe der Figuren hörbar zu machen – eine Meisterleistung, die man von der Wirkung her mit Tristan und Isolde von Richard Wagner gleichsetzen kann.

Für die musikalische Umsetzung dieses Meisterwerkes bedarf es eines exzellenten Sänger-Ensembles. Herausragend Igor Durlovski! In Kassel sang er als Baß den Nachtwächter in Wagners Meistersingern, nun macht er als Altus Furore. Ausgehend von einer tief timbrierten Baßstimme klingt er im Falsett wie eine dunkle Knabenstimme im Alt. So etwas hört man so selten, daß die Verwunderung im Publikum spürbar war. Dem Gualtiero verleiht er königliche Ausstrahlung – gelegentlich eingeschobene Machtworte im Baß erregen Aufmerksamkeit und Gänsehaut. Nina Bernsteiner in der Titelrolle der Griselda verfügt über einen weichen warmen Sopran und erzeugt so ein breites Gefühlsspektrum. Hört man ihre Arie Finirà, barbara sorte – grausames Schicksal, knapp dreihundert Jahre später, kann man sich dem Maß an Trauer, Einsamkeit und Leid einer großen Seele nicht entziehen. Das spricht aus der Musik Scarlattis, das entsteht aus der Leistung von Nina Bernsteiner. Jürgen Appel ist mit einem fast schwarzem Baß und souveräner Stimmführung für den bösartigen Charakter Ottone verantwortlich. Ulrike Schneider kann mit zurückhaltenden Mezzo die Gefühlsausbrüche des verdrängten Liebhabers Roberto nicht recht glaubhaft machen, während Runette Botha als jugendlicher Sopran durchgeht, der sich bereits in Richtung dramatisch weiterentwickelt. In Costanzas Qualor tiranno Amore – so wie die tyrannische Liebe (2. Akt) vergleicht sie ihre unglückliche Liebe mit einem Jungen, der einen bunten Vogel streichelt und dann tötet. Bei Scarlatti gerät diese Arie zu einem psychologischen Spiel der Orchesterfarben: Von unbändiger Lebensfreude bis zu bösartiger Grausamkeit. Gideon Poppe kann in der Nebenrolle des Corrado mit sehr melodiöser tenoraler Stimmführung seine Erfahrung als Tenor in anderen Barockopern einbringen.

Fazit

Anhaltender Jubel und viele Bravos für alle Darsteller. Etwas verhaltener für die Inszenierung, die sich zwar redlich mühte mit barocken Methoden (Rampentheater und „psychoanalytische Gesten“ zur Darstellung der inneren Anspannung) dem Werk gerecht zu werden, jedoch ist eine Oper, die eigentlich nur aus dem Leiden der Darsteller und der Wut der Peiniger besteht, somit auf komische Einlagen, Bühneneffekte und – bis auf das kurze furiose Finale – Jubelarien verzichten muß, nur schwer vermittelbar. Daran ist das Werk schon 1721 gescheitert. Gekürzt auf ca. drei Stunden kommen die barocken Juwelen Scarlattis und seine reiche Auswahl an mitfühlenden Instrumentalfarben mitreißend zur Geltung und sind allemal jede Reise wert.

Oliver Hohlbach

Bild: N. Klinger

Das Bild zeigt: Nina Bernsteiner (liegend, Griselda), Igor Durlovski (Gualtiero) und Runette Botha (Costanza)

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