LEAR – Hamburg, Staatsoper

von Aribert Reimann (geb. 1936), Oper in zwei Teilen nach William Shakespeare, Libretto: Claus H. Henneberger, UA: 9.7.1978 München

Regie: Karoline Gruber, Bühne: Roy Spahn, Kostüm: Mechthild Seipel Licht: Hans Toelstede Dramaturgie: Kerstin Schüssler-Bach

Dirigent: Simone Young/Alexander Soddy, Philharmoniker Hamburg, Herrenchor der Staatsoper, Choreinstudierung Florian Csizmadia

Solisten: Bo Skovhus (Lear), Katja Pieweck (Goneril), Hellen Kwon (Regan), Ha Youg-Lee (Cordelia), Andrew Watts (Edgar), Martin Hormich (Edmund) Lauri Vasar (Graf v. Gloster), Peter Galliard (Herzog von Cornwall), Moritz Glogg (Herzog v. Albany) u.a.

Besuchte Aufführung: 18. Januar 2012 (B-Premiere)

Kurzinhalt

König Lear tritt aus der gottgegebenen Erbfolge vorzeitig aus und will sein Land seinen Töchtern Regan, Goneril und Cordelia vermachen. Die, welche ihn am meisten liebt, bekäme den größten Teil. Goneril und Regan heucheln in schönen Worten überschwängliche Liebe, während Cordelia ehrlich und aus tiefstem Herzen bescheiden antwortet. Lear verstößt daraufhin Cordelia und teilt das Land durch zwei. Regan und Goneril intrigieren gegen ihren Vater, ihre Ehemänner und später gegen sich selbst, um die Alleinherrschaft in England an sich zu reißen. Nebenbei wird die Geschichte des Hauses Gloster erzählt. Edmund, der uneheliche Sohn Gloster, intrigiert gegen seinen „legitimen“ Bruder Edgar, der daraufhin inkognito als Tom durch die Lande zieht. Edmund verrät seinen Vater an Regan und ihren Mann, die den Grafen von Gloster daraufhin blenden. Der Blinde Gloster, der verkleidete Edmund, der wahnsinnige Lear sowie sein Narr ziehen durch die Wirren des Krieges und geraten bei Dover in die Räder der Intrigen Gonerils und Regans.

Aufführung

Karoline Gruber setzt die Bühnenhandlung in ein realitätsnahes Machtmilleu. Lear ist nicht mehr der greise Monarch, sondern wirkt eher wie ein skrupelloser Firmenchef. Von seiner Verblendung und Arroganz hat er jedoch nichts eingebüßt. Im ersten Teil ist die Ästhetik von Bühnenbild und Kostüm eher „klassisch-modern“. Die ganze Inszenierung hindurch werden aphoristische Worte und Wort-Kombinationen bzw. Wort-Entwicklungen an die Wand projiziert (z.B.: IchàLichtàSichtàNichts).

Sänger und Orchester

Das Hamburger Ensemble – Solisten, Orchester wie Regie – haben Großes geleistet, das ursprünglich zur Uraufführung in Hamburg geplante Werk endlich „nach Hause“ zu holen In der Titelrolle zog Bo Skovhus (Lear) alle Register. Der dänische Bariton verfügt nicht nur über einen beeindruckenden Ambitus, er weiß ihn auch in jeder Lage nahezu perfekt einzusetzen. Sei es in dem rezitativischen Beginn ohne Orchesterbegleitung oder in der übersprühenden Melancholie und Weltentrücktheit des nahezu wagnerianischen Schlußgesangen – sei es Wahnsinn, sei es Zorn, sei es tenoresk hoch, sei es profund tief – Bo Skovhus wirkte stets sicher und natürlich, emotional und glaubhaft. Auch die Femmes fatales Katja Pieweck (Goneril) und Hellen Kwon (Regan) glänzten in ihren gesanglich schweren Partien. Katja Pieweck begeisterte vor allem durch ihren atemberaubenden Stimmumfang und Hellen Kwon schien kein Ton zu hoch und keine Koloratur zu schwer. In der Rolle ihrer Schwester konnte Ha Young-Lee (Cordelia) wieder einmal ihren glockenhellen, mittlerweile stark auf neue Musik eingespielten Sopran zeigen. Besonders in ihrem Schlußmonolog am Ende des zweiten Teils begeisterte sie in zerrissenem Kleid durch große Bögen, präzise Höhen. Die Ehegatten der weiblichen Protagonisten – aus dem Ensemble besetzt – waren hingegen teilweise wohl etwas überfordert. Peter Galliard (Cornwall) wirkte oftmals sehr angespannt und unnatürlich, Moritz Glogg (Albany) war gesanglich zwar sicherer, konnte dennoch wenig überzeugen. Das Haus Gloster wiederum zeige eine gewisse stimmliche Ambivalenz. Der Herzog selbst, dargestellt von Lauri Vasar wirkte im ersten Teil völlig aufgesetzt, verkrampft und eng während er im zweiten Abschnitt durch schöne Bögen und große Emotionalität zu begeistern wußte. Andrew Watts (Edgar) war nicht nur durch seine Exotenposition als normalerweise auf die alte Musik limitierter Countertenor ein Highlight des Abends. Er demonstrierte nicht nur die sphärisch-hellen Klangdimensionen des früheren Kastratenfaches in seinen zahlreichen, von mystischen Orchesterklängen untermalten Soli, sondern zeigte sich auch gekonnt in der Kompensation der in der Partitur erwünschten Brüche von Kopf- und Burstregister. Einzig sein Deutsch wäre noch verbesserungswürdig. Sein Gegner Martin Holmich (Edmund) hatte gravierende Startschwierigkeiten, konnte jedoch im zweiten Teil einiges an Boden gut machen.

Die Hamburger Philharmoniker unter Simone Young interpretierten die Partitur mit großer Präzision, ohne dabei an Ausdrucksfähigkeit einzubüßen. Besonders das Schlagwerk setzte die herkulischen Vorschriften des Komponisten in Bezug auf Instrumentarium, Spieltechnik und Präzision hervorragend um.

Fazit

Die Philharmoniker sowie das Ensemble haben sich das Lob des bis zur Generalprobe anwesenden Komponisten und des begeisterten Hamburger Publikums redlich verdient.

Maik Hoppe

Bild: Brinkhoff-Moegenburg

Das Bild zeigt König Lear (Bo Skovhus) und seinen Narren (Erwin Leder)

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