LA SCALA DI SETA – DIE SEIDENE LEITER – Winterthur, Theater

von Gioachino Rossini (1792-1868), Farsa comica in einem Akt, in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Libretto: Giuseppe Maria Foppa.

UA: 1812 in Teatro San Moisè, Venedig

Regie: Damiano Michieletto, Bühne/Kostüme: Paolo Fantin, Licht: Elfried Roller

Dirigent: Zsolt Hamar, Orchester: Musikkollegium Winterthur, Continuo: Jeffrey Smith

Solisten: Sen Guo (Giulia, Mündel von Dormont), Christina Daletska (Lucilla, Cousine von Giulia), Edgardo Rocha (Dorvil, Geliebter von Giulia), Ruben Drole (Germano, Diener des Hauses), Davide Fersini (Blansac), Raimund Wiederkehr (Dormont, Vormund)

Besuchte Aufführung: 7. September 2011 (Premiere)

Kurzinhalt

In Paris des frühen 19. Jahrhunderts lebt der reiche Grundbesitzer Dormont, Vormund der jungen Giulia. Er hat Blansac als Bräutigam für sie ausersehen. Doch Giulia ist heimlich mit Blansacs Freund Dorvil verheiratet, welcher jede Nacht auf der seidenen Leiter in ihr Zimmer steigt. Dormonts Diener Germano begehrt die junge Dame. Dies macht diese sich zunutze und beauftragt ihn, Blansac zu bespitzeln. Giulia sieht in Blansacs Liebe zu ihrer Cousine Lucilla den Ausweg aus ihrer mißlichen Lage. Germano belauscht Giulia, als sie Dorvil zum täglichen Stelldichein einlädt. Nachdem er Blansac von ihrer nächtlichen Verabredung erzählt, verstecken sich Germano und Lucilla neugierig in Giulias Räumen. Als zur Mitternacht Dorvil über die seidene Leiter in Giulias Zimmer gelangt, vergessen sie die Leiter wegzuräumen. Bald darauf klettern Blansac und später auch Dormont hinein. Als Dormont sie zum Aufsetzen des Ehevertrags mit Blansac drängt, enthüllt Giulia die Wahrheit. Als auch Blansac seine Liebe zu Lucilla offenbart, fällt Dormonts letzter Satz: Macht, was ihr wollt.

Aufführung

Sobald der Vorhang aufgeht, erkennt der Zuschauer auf dem dunklen Bühnenboden die leuchtenden Grundrisse des Entwurfs eines Innenarchitekten. Die leere Bühne wird während der Ouvertüre von tanzenden Helfern eingerichtet, zuerst durcheinander, später dann werden die zeitgenössischen Möbelstücke und Dekoration auf Linien aufgestellt. Die Wände und Türen sind am Boden angedeutet und somit imaginär, sie werden pantomimisch geöffnet oder beklopft. Solche Aktionen werden vom Orchester oder dem Cembalo musikalisch begleitet. Einzig das Fenster ist echt und wird für das Aufhängen der seidenen Leiter benutzt. Durch den breiten, schrägen Spiegel an der Decke gewinnt der Bühnenraum eine zusätzliche Tiefendimension, außerdem ermöglicht er die Beobachtung des Auf- und Abstiegs der Personen auf dem Vordach des Hauses. Eine bemerkenswerte Fülle von haushälterischen Tätigkeiten wird hier darstellerisch geboten, dadurch wird die Aufführung lebendig und beweglich. Die Kostüme wie auch die Einrichtung der Wohnung waren im Stil der heutigen Zeit gehalten.

Sänger und Orchester

Das Musikkollegium Winterthur musizierte leidenschaftlich, jedoch mußte es hin und wieder den Bühnenaktionen Vorrang einräumen. Man konnte das fein abgestimmte Zusammenspiel mit dem Sängerensemble bewundern, wenn die Musik die Aktionen und Gemütsbewegungen der Protagonisten untermalte. Ruben Drole war unermüdlich als Diener Germano, der rastlos alle Haushaltsarbeit erledigte: Er bügelte, dekorierte, wusch, putzte, räumte auf, flickte Strümpfe. Meisterhaft stellte er seine Müdigkeit dar, als er gähnend seine Arie Io allocco! – Ich ein Tölpel vortrug. Dabei fehlte es seiner großen Stimme nicht an dynamischen Variationen, inklusive des Flüsterns. Die junge Giulia konnte sich in Gestalt von Sen Guo einwandfrei behaupten. Für die Arie Il mio ben sospiro e chiamo – Ich sehne mich nach meinem Liebsten erntete sie Bravorufe. Ihre klare Singstimme glänzte auch in Perdono o mio tutore – Verzeiht, mein Vormund mit süßem Koloraturschmuck. Raimund Wiederkehr (Dormont) sang passend zu seiner Rolle streng und deutlich. Die hübsche Cousine Lucilla wurde von Christina Daletska verkörpert. Ihr Mezzosopran strahlte förmlich vor Wärme in Sento talor nell´anima un dolce movimento – Ich fühle manchmal eine süße Regung in der Brust. Davide Fersini (Blansac) nahm in Alle voci dell´amore – Wenn die Liebe ruft mit seiner kräftigen Stimme die langen Töne überaus eindringlich. Der Tenor Edgardo Rocha (Dorvil) strahlte starke Präsenz aus, seine Stimme klang klar, flexibel und sicher in der Höhe in der Arie Vedrò qual sommo incanto – Ich werde sehen, welch großes Entzücken.

Fazit

Mit Rossinis Jugendwerk eröffnete die Zürcher Oper in gelungener Zusammenarbeit mit dem Musikkollegium Winterthur die neue Saison. Viele Ideen wurden vorbildlich umgesetzt. Die Art, wie hier überschwänglich und übertreibend mit dem Komischen umgegangen wurde, wirkte durchweg natürlich und nicht erzwungen. Dementsprechend wurde es ein kultivierter und erlebnisreicher Opernabend, und das begeisterte Publikum spendete ausgiebig Beifall.

Ruta Akelyte Hermann

Bilder: Suzanne Schwiertz

Das Bild zeigt: rechts Davide Fersini (Blansac)

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