Duisburg, Deutsche Oper am Rhein – LADY MACBETH VON MZENSK

von Dmitri Schostakowitsch, Oper in vier Akten (Originalversion), UA: 22. Januar 1934, Leningrad (St. Petersburg), Libretto: Alexander Preis und Dmitri Schostakowitsch, nach einer Erzählung von Nikolai Leskov
Regie/Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov , Kostüme: Elena Zaytseva, Licht: Gleb Filshtinsky
Dirigent: John Fiore, Duisburger Philharmoniker, Chor der Deutschen Oper am Rhein, Einstudierung: Christoph Kurig
Solisten: Morenike Fadayomi (Katerina Ismailowa), John Uhlenhopp (Sergej), Oleg Bryjak (Boris), Andrej Dunaev (Sinowij), Elisabeth Selle (Axinja), Udo Holdorf (Der Schäbige), Michail Milanov (Pope), Bruno Balmelli (Polizeichef), Laura Nykänen (Sonjetka), Thorsten Grümbel (Alter Zwangsarbeiter), John In Eichen (Verwalter, Sergeant), Daniel Djambazian (Hausknecht, Wächter) u.a.
Besuchte Vorstellung: 18. Mai 2008 (Premiere)

Kurzinhalt
duisburg-lady-macbeth.jpgDie Kaufmannsgattin Katerina Ismailowa ist unzufrieden: Kinder hat sie keine, ihr Mann Sinowij ist ein Langweiler und mit dem lüsternen, tyrannischen Schwiegervater Boris gibt es immer wieder Streit. Als Sinowij verreisen muß, setzt Katerina dem brutalen Werben des neuen Arbeiters Sergej nur halbherzigen Widerstand entgegen.
Boris ertappt das Liebespaar in flagranti und prügelt Sergej vor Katerinas Augen halbtot. Haßerfüllt mischt sie dem Alten Rattengift ins Essen. Er stirbt – an einer Pilzvergiftung, wie Katerina Ismailowa die Zeugen glauben machen kann.
Die Heimkehr des Sinowij verlangt nach weiteren drastischen Mitteln: Sinowij wird von Katerina und Sergej ermordet, die Leiche im Keller versteckt. Ab sofort gilt Sinowij als verschollen: Die beiden können heiraten. Auf der Hochzeitsfeier entdeckt jedoch ein betrunkener Gast die Leiche. Das Paar wird verhaftet und zur Zwangsarbeit verurteilt. Auf dem Marsch nach Sibirien muß Katerina erkennen, daß Sergej eine andere begehrt: die junge Mitgefangene Sonjetka. Verzweifelt tötet Katerina erst Sonjetka und dann sich selbst.
Aufführung
Dmitri Tcherniakov, für Regie und Bühnenbild verantwortlich, verlegt die ursprünglich im zaristischen Rußland angesiedelte Handlung in die Gegenwart. Aus dem Laden der Ismailowa wird ein mittelständisches Unternehmen (Spedition?). Tcherniakov tut dem Werk damit keine Gewalt an, sondern beschränkt sich darauf, die schockierende Geschichte von Frustration, Obsession und Tod nahezu schlüssig bis zum bitteren Ende zu erzählen. Genial einfach seine Lösung für die Beischlafszene: Sergej und Katerina sind nicht zu sehen. Die Schatten, die eine schwankende Glühbirne an die Wand wirft, machen deutlich, was zwischen den beiden vorgeht.
Überzeugende Bilder findet Tcherniakov auch für Katerinas sexuelle Hörigkeit: Während der Orchesterüberleitung vom vierten zum fünften Bild wäscht und salbt sie Sergejs Körper und hängt ihm schließlich eine Decke als Mantel um: Er ist ihr König.
Tcherniakovs Blick auf das Werk stößt dann an seine Grenzen, wenn es um Szenen geht, die vom ursprünglichen Schauplatz bzw. von der Entstehungszeit des Werkes schwer zu trennen sind. Das siebte Bild, die Polizeiwache, ergibt in Tcherniakovs Inszenierung keinen Sinn. Auch wird die Funktion dieser Szene als retardierendes Moment zu sehr auf die Spitze getrieben: Das lässige Umherschlendern der Polizisten zwischen den für Katerinas Hochzeit gedeckten Tischen langweilt rasch. Auf den Marsch nach Sibirien muß Tcherniakov verzichten. Die Schlußszene ist in einer Gefängniszelle angesiedelt, Chor und Alter Zwangsarbeiter sind unsichtbar. Dadurch, daß Tcherniakov die tödliche Dreiecksbeziehung des Schlußbildes auf engsten Raum verbannt, gelingt ihm zwar ein Coup de Théatre, zu groß sind jedoch die Diskrepanzen zwischen Dargestelltem und Text. Wenig geeignet ist auch das Einheitsbühnenbild. Es steht dem Tempo der Musik entgegen, das nach schnellen, filmischen Schnitten verlangt.
Sänger und Orchester
Spannung zu entfachen beherrscht John Fiore meisterhaft: die Duisburger Philharmoniker steigern die musikalische Spannung fast bis ins Unerträgliche. Innige Streicherfiguren, scharfe Blechbläserklänge, satirische, an die Jazz-Suiten Schostakowitschs erinnernde Rhythmen oder brutale Tutti im dreifachen Forte – Fiores Zugriff auf die Partitur vermag in jeder Sekunde zu überzeugen. Das Prinzip der Verlangsamung und Beschleunigung, Schostakowitschs krasse Gegensätze entfalten unter seiner Stabführung eine unwiderstehliche Kraft.
In Morenike Fadayomi hat die Rheinoper ihre stimmliche und darstellerische Idealbesetzung für Katerina gefunden. Leichte Intonationstrübungen und ein etwas zu starkes Vibrato im Forte stören nicht, sondern fügen sich in das Ganze der musikalischen Extreme. Oleg Bryjak (Boris) ist ein Tyrann und Polterer, wie er im Buche steht: Stimmlich nicht weniger stark als Fadayomi, beherrscht er die Bühne in jedem Augenblick seines Auftritts. John Uhlenhopp (Sergej) vervollständigt das Protagonisten-Trio kongenial. Allerdings sei ihm empfohlen, einer Unart vieler dramatischer Tenöre nicht noch mehr Raum zu geben, nämlich Töne zu tief anzusetzen und dann in die korrekte Höhe zu „schleifen“.
Andrej Dunaev (Sinowij), an der Rheinoper zu Recht als Alfredo in La Traviata oder als Duca im Rigoletto gefeiert, vermag bei seinem Ausflug ins Charakterfach nicht zu überzeugen. Zu schönstimmig kommt seine Interpretation daher. Dagegen holte Laura Nykänen (Sonjetka) aus ihrem kurzen Auftritt heraus, was nur eben herauszuholen war. Die Balance zwischen Sinnlichkeit und ordinärer Laszivität gelang ihr perfekt.
Unter den übrigen Nebenfiguren machten Michail Milanov (Pope), Udo Holdorf (Der Schäbige), Daniel Djambazian (Hausknecht, Wächter) sowie Thorsten Grümbel als (unsichtbarer) Alter Zwangsarbeiter die beste Figur. Der Chor empfahl sich nachhaltig für weitere Projekte aus dem russischen Repertoire.
Fazit
Ein musikalisches Ereignis, das den Zuschauer atemlos macht – und eine Inszenierung, die trotz einiger Schwächen bis zum Ende zu fesseln vermag: Wer die Gelegenheit hat, eine der Aufführungen zu besuchen (die Produktion kommt in der nächsten Spielzeit nach Düsseldorf), läßt sie sich besser nicht entgehen.

Eva-Maria Ernst
Bild: Eddy Straub

Das Bild zeigt Morenike Fadayomi (Katerina Ismailowa) und John Uhlenhopp (Sergej), liegend.

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