CANDIDE – Berlin, Staatsoper im Schiller Theater

von Leonard Bernstein (1918-1990), Komische Operette in 2 Akten, Text: Richard Wilbur, Buch von Hugh Wheeler, nach dem Roman von Voltaire, UA: 29. Oktober 1956, Boston, Colonial Theater Scottish Opera Version

Regie: Vincent Boussard, Bühne: Vincent Lemaire, Kostüme: Christian Lacroix, Choreographie: Helge Letonja, Winkler: Licht: Guido Levi, Video: Isabel Robson, Dramaturgie: Katharina

Dirigent: Wayne Marshall, Orchester: Staatskapelle Berlin, Chor: Staatsopernchor (Einstudierung: Eberhard Friedrich, Frank Flade)

Solisten: Leonardo Capalbo (Candide), Graham F. Valentine (Pangloss, Martin, Señor II), Stephan Loges (Maximilian, Inquisitor II, Judge II, Captain, Hermann Augustus), Maria Bengtsson (Cunegonde), Stephanie Atanasov (Paquette), Anja Silja (The Old Lady), Stephan Rügamer (Governor, Señor I, Vanderdendur, Sultan Achmet, Crook), Michael Smallwood (Inquisitor I, Judge I, Charles Edward, Ragotski), Bernd Zettisch (Inquisitor III, Judge III, Tsar Ivan), Dominik Engel (Stanislaus)

Besuchte Aufführung: 24. Juni 2011 (Premiere)

Kurzinhalt

Candide wächst mit Cunegonde, deren Bruder Maximilian und Kammerzofe Paquette im Schloß Thunder-ten-Tronck in Westfalen auf, wo Pangloss sie im Geiste der besten aller möglichen Welten unterrichtet. Dann bricht Krieg aus, alle bis auf Candide werden (angeblich) getötet. Dieser allerdings macht sich auf die Suche nach Cunegonde. Sein Weg führt ihn – begleitet von allerlei Katastrophen – nach Lissabon, Paris, Buenos Aires und Eldorado („Neue Welt“), nach Neu-Westfalen und Venedig.

In Paris findet Candide Cunegonde wieder, die sich inzwischen als Prostituierte mit Alkohol und Schmuck berauscht. Nachdem Candide zwei Freier getötet hat, flieht er mit Cunegonde in die Neue Welt. Als Mätresse des argentinischen Gouverneurs wartet letztere drei Jahre vergeblich auf ihre Hochzeit. Candide landet in Eldorado, wo es ihm bald zu langweilig wird. Schließlich reist er nach Venedig und trifft Cunegonde in einer Spielbank wieder. Trotz ihres Strebens nach Reichtum will Candide sie heiraten, denn: Wir müssen unseren Garten bestellen.

Aufführung

Die Bühnengestaltung von Vincent Lemaire verdeutlicht die komplexe Anlage des Candide-Stoffes. Ein überdimensionaler, vertikal rund um die Bühne laufender Rahmen grenzt die vielen verschiedenen Szenen visuell ein und wird je nach Bedarf als physikalischer Spannungsmesser, Bildschirm oder Rahmen eines Eldorado-Bildes eingesetzt. Extreme Orts- oder Zeitsprünge werden knapp zusammengefaßt als Regieanweisung direkt auf den Bühnenrahmen projiziert; ebenso dient er der Vorstellung der Charaktere, deren Namen und Kurzbeschreibung zu Beginn während eines kurzen Auftritts am Rand des Bühnen-Bilds eingeblendet werden, das die Darsteller betreten. In diese verschiedenen Tableaus werden die Geschichten eingebettet, die Candide auf seinen Reisen erlebt. Christian Lacroix entwarf dafür sehr farbenreiche Kostüme, die sowohl die Atmosphäre der Tango-Stadt Buenos Aires illustrierten, als auch das paradiesgleiche Eldorado.

Sänger und Orchester

Die gesanglichen und schauspielerischen Leistungen aller beteiligten Solisten des Abends waren außerordentlich. Allen voran beeindruckten Leonardo Capalbo als Candide und Maria Bengtsson in der Rolle der Cunegonde. Nicht nur sahen sie in den phantasievollen Kostümen blendend aus; beide überzeugten auch musikalisch mit dynamisch abgestufter Phrasengestaltung, exzellenter Textverständlichkeit und stets wohldosiertem Ausdruck. Außerdem bewies Leonardo Capalbo durchweg viel akrobatisches Geschick auch in gesanglichen und sportlichen Extremsituationen; Maria Bengtsson meisterte den Wandel von der prinzessinnenhaften Cunegonde hin zur femme fatale mit klanglicher Transparenz und schauspielerischer Bravour – sowie einigen ironischen Seitenhieben auf das Belcanto-Fach. Anja Silja (The Old Lady) bildete dazu einen gelungenen, temperamentvollen Konterpart. Lebendiger als Graham F. Valentine hätte man Pangloss, Martin und Señor II wohl kaum darstellen können. Sein spritziger Humor und die prägnante Stimme amüsierte das Publikum hörbar, ging allerdings bisweilen durch allzu viele deklamatorische und rhythmische Freiheiten auf Kosten der musikalischen Qualität. Der Staatskapelle Berlin unter Leitung von Wayne Marshall an diesem Abend zuzuhören war insbesondere bei What’s the use oder Bon voyage aufgrund der beschwingt tänzelnden Gestaltung voller musikalischem Detail ein Vergnügen, wobei insbesondere die Bläserregister positiv zu erwähnen sind. Einziger Wehmutstropfen bleibt die Lautstärkerelation von Chor und Orchester: Der Chor kam in der musikalischen Gestaltung durchweg etwas träge daher und bremste darum das schwungvolle – manchmal allerdings etwas zu laute – Spiel des Orchesters.

Fazit

Insgesamt wurden dem Publikum durchdachte musikalische Differenzierung und offenkundige Spielfreude aller Beteiligten auf der Bühne und im Orchestergraben geboten. Die phantasievoll-eleganten Kostüme machten die Premiere von Candide zu einem farbreichen Genuß für Auge und Ohr. Dies wurde mit dementsprechend üppigem Applaus honoriert, während man allerdings mit Bravo-Rufen sparsamer umging. Wie dem auch sei: Chapeau für einen äußerst kurzweiligen Abend auf hohem musikalischem Niveau!

Carolin Krahn

Bild: Clärchen und Matthias Baus

Das Bild zeigt: Wolfgang Stiebritz (Erzbischof), Leonardo Capalbo (Candide), Maria Bengtsson (Cunegonde), Ralf Stengel (Der Jude)

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