Deutsche Oper Berlin – TIEFLAND

von Eugen d’Albert (1864-1932), Musikdrama in einem Vorspiel und zwei Aufzügen (zweite Fassung), Libretto von Rudolph Lothar (1865-1943), nach Angel Guimeras katalanischem Schauspiel Terra Baixa, UA: 16. Januar 1905, Stadttheater Magdeburg
Regie: Roland Schwab, Bühne: Hans Dieter Schaal, Kostüme: Renée Listerdal
Dramaturgie: Katharina John
Dirigent: Yves Abel, Orchester der Deutschen Oper Berlin, Chor der Deutschen Oper Berlin, Einstudierung: William Spaulding
Solisten: Egils Silins (Sebastiano), Magnus Baldvinsson (Tommaso), Simon Pauly (Moruccio), Nadja Michael (Marta), Ditte Andersen (Pepa), Andion Fernandez (Antonia), Nicole Piccolomini (Rosalia), Jacquelyn Wagner (Nuri), Torsten Kerl (Pedro), Paul Kaufmann (Nando), Andrey Malyuk (Eine Stimme)
Besuchte Aufführung: 8. Dezember 2007 (Premiere: 30. November 2007)

Kurzinhalt
TieflandDer Schafhirt Pedro ist zufrieden, nur eins fehlt ihm eine Frau, um die er Gott täglich bittet. Pedro kann sein Glück kaum fassen, als der Gutsherr Sebastiano ihm die Hand der schönen jungen Müllerin Marta anbietet. Doch nach der Hochzeit erkennt Pedro den Grund: Marta soll für den Gutsherr stets verfügbar sein. Sebastiano muß sich von seiner Geliebten trennen, da am Rande eines finanziellen Bankrotts die Ehe mit einer reichen Erbin eingehen muß. Doch er hat sich in dem scheinbar einfältigen Pedro getäuscht.
Marta beginnt, Pedros Gefühle zu erwidern, als sie begreift, daß Pedro nicht Sebastianos Komplize ist. Und als Sebastiano Marta weiter bedrängt, kommt es zum Kampf Mann gegen Mann, wobei Pedro Sebastiano erwürgt. Marta und Pedro gehen einer neuen Zukunft entgegen: Hinauf in meine Berge, hinauf zu Licht und Freiheit!
Die Aufführung
Es ist einsam in den Bergen. Die Bühne ist weiß und leer. Eine steil ansteigende weiße Leinwand begrenzt den Raum als Hintergrund. Wer hinauf will ins Gebirge, muss sich an einem Seil an dieser Steilwand hinauf ziehen.
Später im Tal, im „Tiefland“, schieben sich von den Seiten abstrakt verschachtelte, weiße Architekturteile in den Blick. Die Bühne erinnert jetzt an Caspar David Friedrichs Gemälde Eiswüste. Der Symbolgehalt ist leicht zu erraten: Auch hier im Tal ist der einzelne einsam, herrscht psychische Kälte. In dieser eisigen, lebensfeindlichen Kulisse entwickelt sich das Drama um brutal erzwungene Liebe, um Unterdrückung und ihre fatalen Folgen für den einzelnen wie auch für die Gemeinschaft. Hier keimt der Widerstand auf. Hier werfen die einen ihre Fesseln ab und verlassen das dumpfe, sündige Tiefland, gehen zurück in die Berge. Die anderen, die von der Unterdrückung deformierte, zerbrochene Masse bleibt zurück.
Die Dorfbewohner sind eine schwarzgewandete Herde, die sich eng aneinandergedrängt in dieser weißen Wüste, wie Schafe bewegen. Stets liegen sie auf der Lauer, gieren nach Neuigkeiten, lüstern auf das Mißgeschick und Unglück dessen, der nicht zu ihnen gehört, der von außen kommt. Getreten, unterdrückt, von den Schäferhunden ihres Herrn in Schach gehalten und gebissen, fallen sie dem Guten in den Rücken. Wölfisch geifernd verkrallen und verbeißen sie sich in den sie umgebenden Gittern. Dieser Käfig, engstirnig errichtet aus eigener Mut- und Hoffnungslosigkeit, bietet ihnen Schutz vor dem Fremden, Andersartigen, vor der Welt. In seinem Schutz aber fühlen sie sich stark.
Die Sänger
Personenführung und die Bewegung des Chors sind stets im Einklang mit der Musik und verdienen höchstes Lob. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin spielt ausgezeichnet. Unter der hervorragenden Leitung von Yves Abel entfaltet sich die Musik d’Alberts in voller Schönheit.
Torsten Kerl als Pedro setzt sich mühelos gegen Chor und Orchester durch und hält das hohe Niveau während der gesamten Oper. Von der Gestik her wirkt er allerdings auch in Wut und Zorn noch zu gutmütig. Egils Silins (Sebastiano) stellt den egomanisch menschenverachtenden Gutsherrn physisch und stimmlich überzeugend dar und läßt die der Rolle gemäße unnachgiebige Gewalt und Bedrohlichkeit spüren.
Nadja Michel hat eine imponierend riesige Stimme. Aber die hochdramatische Partie der Marta scheint sie noch zu überfordern. So verliert die Stimme im Forte ihre Schönheit, behält jedoch weiter eine enorme Expressivität. Frau Michel ist schlank und gutaussehend, kommt aber so spröde und unterkühlt daher, daß ich mich frage, was Sebastiano und Pedro an ihr finden.
Die drei gehässigen alten Weiber: Ditte Andersen (Pepa), Andion Fernandez (Antonia) und Nicole Piccolomini (Rosalia) sind stimmlich und darstellerisch hervorragend. Magnus Baldvinsson als Tommaso und Jacquelyn Wagner als das Kind Nuri mit engelsgleichem, glockenreinem Sopran tragen zum guten Eindruck dieser Aufführung bei. Großer Beifall für alle.
Fazit: Eine hervorragende, stimmige Inszenierung dieses schwierigen Werks in einem großartigen Bühnenbild, schnörkellos, ohne Kitsch und falschem Pathos. Eindrucksvoll werden Menschen gezeigt, die einsam, verhöhnt, umgeben von Kälte, ihren Weg gehen. Und Menschen, die, vom Schicksal gedemütigt und gebrochen, ihrem Nächsten sein Glück mißgönnen. Es stimmt alles, Inszenierung, Bühnenbild, Choreographie, Gesang und Orchester. Bravo! Unbedingt sehens- und hörenswert.

Dr. Rolf Jürgen Schaffer                                              Bild: Marcus Lieber

Veröffentlicht unter Berlin, Deutsche Oper, Opern

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