Bonn, Opernhaus – DIE TOTE STADT

Von Erich Wolfgang Korngold (1897-1957), Oper in drei Bildern; Libretto: Komponist und Paul Schott, Pseudonym Julius Leopold Korngold, Vater des Komponisten, nach Georges R.C. Rodenbachs Roman Bruges-la-Morte (1892), umgearbeitet als Drama Le Mirage (1897) umgearbeitet wurde, deutsch Die stille Stadt von Siegfried Trebitsch (1902)
UA 4. Dezember 1920 Köln und Hamburg.
Regie: Klaus Weise, Bühne: Martin Kukulies, Kostüme: Fred Fenner
Dirigent: Erich Wächter, Beethoven Orchester Bonn. Chor (Einstudierung): Sibylle Wagner/Ekaterina Klewitz Choreographie: Karel Vanek
Solisten: Janez Lotric (Paul), Morenike Fadayomi (Marietta/Marie), Aris Argiris (Frank/Fritz), Vera Baniewicz (Haushälterin), Julia Kamenik (Juliette), Marianne Freiburg (Lucienne), Mark Rosenthal (Victorin, Regisseur/Stimme des Gaston), Johannes Mertes (Graf Albert), Karel Vanek (Gaston). Statisterie.
Besuchte Aufführung: 19. Januar 2008 (Premiere)

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In der „Toten Stadt“ Brügge – der Handelshafen ist versandet – lebt Paul zurückgezogen nach dem Tod seiner Frau Marie. Unversehens begegnet er der Tänzerin Marietta (die kleine Marie!), die eine auffallende Ähnlichkeit mit Pauls verstorbener Frau hat. Auf Maries Laute begleitet sich Marietta beim berühmten Lied Glück, das mir verblieb und durch ihren verführerischen Tanz verschwimmen für Paul Wirklichkeit und Traum zu einer Vision.
Am Abend verläßt Marietta, von Liebhabern umschwärmt, das Theater und alle spielen parodierend das Ballett der von den Toten auferstehenden sündigen Nonnen aus Giacomo Meyerbeers Oper Robert, le Diable. Paul beobachtet die Szene aus seinem Versteck, springt plötzlich hervor und beschuldigt Marietta der Gottlosigkeit. Marietta folgt Paul in sein Haus zum Kampf gegen den geisterhaften Schatten der toten Marie.
Am Morgen wähnt sich Marietta als Siegerin über die tote Rivalin. Aber Paul versinkt wieder in Erinnerung an Marie. Die wütende Marietta tanzt aufreizend mit einer „Reliquie“, einer Haarflechte der verstorbenen Marie, mit der Paul sie dann in höchster Erregung erdrosselt. Paul erwacht aus seiner Vision und will ein neues Leben beginnen.
Die Aufführung
Das Bühnenbild, ein moderner, allein durch die Figuren und einen riesigen Altar mit Vitrine belebter Raum, stellt von vorneherein klar, daß Klaus Weise den Stoff, der im Libretto an die Stadt Brügge, ihre religiöse, kulturelle und bedeutende Position in der Renaissance gebundenen ist, abstrahiert. Die ganze Inszenierung wird zur Innenschau des Protagonisten, so, als ob Brittens Death in Venice (Tod in Venedig) nicht mehr in Venedig spielen dürfte.
Pauls Geschichte wird aus der psychoanalytischen Perspektive Sigmund Freuds, als eine zwischen Wirklichkeit und Traum schwebende Episode erzählt. Für die Entstehungszeit der Oper ist das plausibel. Dennoch ist man irritiert, wenn von Brügge, den Patriziern in ihren brokatbesetzten Gewändern, von Bildern der Renaissance, von Memling und van Eyck gesungen wird, was Dank der Übertitel gut verständlich ist, dann aber auf der Bühne abstrakte Flächen oder schlicht uniformierte Choristen sind.
Von der Pracht Brügges, etwa dem Ursulaaltar, bekommt man nichts zu sehen. Daneben wirken die blühenden Farben der an Richard Strauss und Gustav Mahler erinnernden Orchesterpartitur, also die musikalische Vorgabe, aufpeitschend und glühend.
Warum jedoch dann die Laute, die in der Atmosphäre des Bauhausstils wie ein archaisches Relikt anmutet? Kurz: die auf der Bühne dargestellten Bilder und die von Korngold schillernd umgesetzte Musik klaffen auseinander. Oft stehen die Sänger – vor allem Paul – unmotiviert, laufen im Kreis oder sitzen.
Die Kostüme und Frisuren sind im Stil der Entstehungszeit, also der 20er Jahre, gehalten. Die gut umgesetzten, bewegten Bilder (Video), am Altar für Marie und der sich raffiniert auftuenden Projektionsfläche (wie eine Grabplatte), erinnern an die Karriere Korngolds als bedeutender Filmkomponist in Hollywood. Das gruselige Motto aus Meyerbeers Robert der Teufel kommt dieser filmischen Komponente entgegen. Die geometrischen Tanzkostüme der gut in Szene gebrachten Tanztruppe erinnern an Oskar Schlemmers Triadisches Ballett (um 1920) und setzten die Dopplung der Marie, des Freundes, nicht zuletzt der von Pauls eigener Psyche, plausibel fort.
Gelungen ist die in den Abgrund führende verspiegelte Hinterbühne, die Grenzen fließend werden läßt. Ganz im Sinne des Endes: Ein Traum hat meinen Traum zerstört. Denn die Wirklichkeit hat Paul wieder, als Marietta zurückkommt, um ihren vergessenen Schirm und ihre Rosen zu holen.
Sänger und Orchester
Im Orchester glänzen vor allem die Bläser und die Harfe als Lautenersatz. Die facettenreiche Musik übt, trotz der anfangs zu großen Lautstärke, gegenüber den Sängern Sogwirkung aus. Janez Lotric (Paul) ist ein stimmsicherer Tenor, wenn auch als Darsteller etwas statisch. Morenike Fadayomi (Marietta/Marie) eine zunächst vom Orchester übertönte, dann jedoch im Lautenlied glänzende und in den wütenden Ausbrüchen sich stimmlich steigernde Sopranistin, die tänzerisch und als Darstellerin überzeugte.
Fazit
Das Ensemble bot eine solide Leistung. Wegen der musikalischen Darbietung empfehlenswert, die allerdings im Kontrast zur ausgenüchterten Inszenierung steht.

Felicitas Zink                                            Bild:Thilo Beu, Theaterfotograf

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