Siegfried – Berlin, Staatsoper Unter den Linden

von Richard Wagner (1813-1883), zweiter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen in drei Aufzügen, Text vom Komponisten, UA: 1876 Bayreuth

Inszenierung und Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov, Kostüme: Elena Zaytseva, Licht: Gleb Filshtinsky, Video: Alexey Poluboyarinov, Dramaturgie: Tatiana Werestchagina und Christoph Lang

Dirigent: Christian Thielemann, Staatskapelle Berlin

Solisten: Andreas Schager (Siegfried), Stephan Rügamer (Mime), Michael Volle (Wanderer), Johannes Martin Kränzle (Alberich), Peter Rose (Fafner), Anna Kissjudit (Erda), Anja Kampe (Brünnhilde), Victoria Randem (Waldvogel)

Besuchte Aufführung: 6. Oktober 2022 (Premiere)

Kurzinhalt

Siegfried, der Sohn der Geschwister Siegmund und Sieglinde, wird von Alberichs Bruder, dem Zwerg Mime, einsam im Wald aufgezogen. Mimes heimliches Ziel ist es, den starken und furchtlosen Jüngling gegen den Drachen Fafner aufzustacheln, damit er ihn töte und seinem Ziehvater so den Ring verschaffe. Doch Siegfried begehrt gegen Mime auf. Er zwingt ihn, ihm den Namen seiner Mutter zu nennen und schmiedet sich aus den Trümmern des Schwertes Nothung ein neues Schwert, mit dem er zur Drachenhöhle aufbricht. Als er den Riesenwurm Fafner getötet hat, bringt er den Ring an sich und erkennt nun die List und Berechnung Mimes. Aus Zorn bringt er ihn um und macht sich auf zum Brünnhildefelsen, um dort die Walküre zu erwecken. Den Weg dorthin versperrt ihm der Wanderer, der durch die Menschenwelt streifende Gott Wotan, und es kommt zum Kampf. Wotans Speer, der ihm die Macht über die Welt sicherte, wird zerschlagen und seine Herrschaft neigt sich damit dem Ende zu. Siegfried durchbricht den Feuerkreis, weckt Brünnhilde und beide entbrennen in Liebe zueinander.

Aufführung

Das Bühnenbild ist von den vergangenen zwei Teilen her bekannt. Wir sehen abwechselnd Wotans Büro, Siegfrieds Kinderzimmer, den Repräsentationssaal des Instituts und einen Korridor mit Fahrstuhl. Die Drehbühne rotiert in den ersten beiden Aufzügen beinahe ständig im Uhrzeigersinn, was zu einem Hintergrundslärm führt, der in den leisen Passagen stört. Siegfried ist ein verhaltensauffälliger Jugendlicher im Trainingsanzug, der, während er die Schmiedelieder im ersten Aufzug singt, seine Spielsachen anzündet und sein Kinderzimmer mit einem großen Hammer zertrümmert. Im zweiten Aufzug kämpft er dann mit einem verwahrlosten alten Fafner in Zwangsjacke. Der zweite Akt wird szenisch als psychologisches Experiment (oder der Versuch einer Therapie?) zur Aggressionsbewältigung gestaltet, das damit schließt, das Siegfried nicht nur Fafner, sondern auch seinen Aufseher (?) Mime tötet. Der Waldvogel ist eine Psychologin, die Siegfried mit einem ferngesteuerten Vogel zum Lachen bringt. Mime, Alberich und Wotan sind stark gealtert und machen sich, wo sie nur können, gegenseitig das Leben schwer. Brünnhilde wird von Siegfried im Schlaflabor entdeckt und wachgeküßt. Die aus den vorigen Teilen bekannten stummen Nebenrollen – Institutsmitarbeiter und -verwaltung – tauchen wieder auf. Welche Funktion Erda in diesem institutsinternen Kosmos hat, bleibt im Unklaren. Wie in den vorigen Teilen auch wird auf jegliche spektakulären Effekte – etwa den Kampf mit dem Drachen oder Siegfrieds Durchschreiten des Feuers – verzichtet.

Sänger und Orchester

An diesem Abend lief es musikalisch nicht optimal. Unter der Leitung von Christian Thielemann gab es vor allem im ersten Aufzug Unstimmigkeiten im Orchester und zwischen Instrumentalisten und Sängern. Während des ersten Teils der Wissenswette zwischen Mime und Wanderer fielen ein paar Einsätze aus. Der Sänger des Wanderers, Michael Volle, war so dazu gezwungen, Melodien zu improvisieren, was ihm mit erstaunlicher Ruhe und Souveränität gelang. Überhaupt ist die Professionalität dieses Sängers in musikalischer und darstellerischer Hinsicht eindrucksvoll so wie seine Wandlungsfähigkeit und Sicherheit in der Wahl der Mittel. Er vermag gebieterisch seine langen Töne zu singen und darstellerisch kurze humoristische Gesten einzufügen, ohne dadurch seine Figur ins Lächerliche zu ziehen. Im ersten und zweiten Aufzug fehlte es ein wenig an artikulatorischer Feinarbeit im Orchester. Die erste Hälfte des dritten Aufzugs gelang ausgezeichnet, doch in der anderen Hälfte nahm der Dirigent die Tempi zu breit, was der Sängerin der Brünnhilde, Anja Kampe, Probleme bereitete. Ihr Ansatz der Spitzentöne – ein c‘‘‘ – war gewaltsam und unschön. Ihre Rolle wird bisher etwas zu passiv gestaltet, d.h. Brünnhilde erscheint mach wie vor lediglich als sympathische, treu-folgsame Tochter ihres Vaters, ohne rebellische oder heroische Anwandlungen. Auffallend waren an diesem Abend auch etliche anscheinend spontane Textvarianten und Ungenauigkeiten der Einsätze bei den Sängern.

Andreas Schager (Siegfried) ist darstellerisch phasenweise ein wenig einfallslos. So steht er in der zweiten Hälfte des letzten Aufzugs fast nur lächelnd mit den Händen in den Hosentaschen auf der Szene. Stimmlich vermochte er hingegen zu begeistern mit seinen kraftvollen hohen Tönen, die mühelos durch den dichten Orchesterklang vor allem des letzten Aufzuges hindurchdrangen. Auch bei den Schmiedeliedern kamen sie schön zum Tragen, die Christian Thielemann recht langsam nahm, ohne es allerdings damit so zu übertreiben wie auf seiner Aufnahme von den Bayreuther Festspielen von 2008 (vgl. operapoint 10 Nr. 3, S. 49). Schagers Leistung verbesserte sich im Laufe des Abends. Im ersten Aufzug war seine Tongebung dynamisch und vom Timbre her uneben. D.h. neben den langen, hohen Tönen, die klar herausstachen, fielen die kurzen Endsilben oft nach hinten und waren kaum zu hören. Außerdem deutete sich bei ihm zu Beginn ein unausgeglichenes Tremolo an, das er in den beiden letzten Aufzügen jedoch unter Kontrolle bekam. Stephan Rügamer (Mime) bewegte sich – vielleicht ein wenig zu stereotyp – mit vielen Ticks und Zuckungen über die Bühne. Deutliche Aussprache und klare Tongebung kennzeichneten seine wie auch Johannes Martin Kränzles (Alberich) Leistungen, der mit einer Gehhilfe über die Bühne wankte und schauspielerisch überragend ist. Peter Rose (Fafner) sang seine Partie korrekt, aber nicht imponierend. Anna Kissjudit (Erda) hat eine voluminöse Tiefe und agierte gemessen und ausdrucksvoll und Victoria Randem (Waldvogel) hat eine schöne Tongebung und eine einnehmende Erscheinung auf der Bühne.

Fazit

Verglichen mit den vorangegangenen Teilen war der Siegfried musikalisch noch etwas unfertig und darstellerisch heterogen. Beeindruckende schauspielerische Leistungen wie diejenige Michael Volles und originelle szenische Einfälle wie die Zerlegung von Siegfrieds Kinderzimmer kontrastierten mit eher statischen, unbestimmt zwischen Ironie und Ernst schwankenden Episoden wie der letzten Szene des Stückes, in der die beiden Sänger mehr oder weniger konventionell auf der Bühne standen und im Kreise liefen. Das Bühnenbild und die gealterten Figuren setzen die Geschichte von Wotans unheimlicher Menschenversuchsanstalt fort, jedoch wiederum mit einigen erzählerischen Inkonsequenzen. Das Publikum feierte zu Recht die dramatischen Sänger, allen voran Andreas Schager in der Titelrolle.

Dr. Martin Knust

Bild: Monika Rittershaus

Das Bild zeigt: Andreas Schager (Siegfried), unten: Stephan Rügamer (Mime)

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