Die Meistersinger von Nürnberg – Deutsche Oper Berlin

von Richard Wagner (1813-1883), Oper in drei Aufzügen, Libretto Richard Wagner, UA: 21. Juni 1868 München, Nationaltheater

Regie: Jossi Wieler, Anna Viebrock, Sergio Morabito, Ko-Bühnenbild: Torsten Gerhard Köpf, Ko-Kostümbild: Charlotte Pistorius, Licht: Olaf Freese, Dramaturgie: Sergio Morabito, Sebastian Hanusa

Dirigent: Markus Stenz, Orchester der Deutschen Oper Berlin

Chor und Extrachor der Deutschen Oper Berlin, Einstudierung: Jeremy Bines

Solisten: Johan Reuter (Hans Sachs), Albert Pesendorfer (Veit Pogner), Philipp Jekal (Sixtus Beckmesser), Thomas Lehman (Fritz Kothner), Klaus Florian Vogt (Walther von Stolzing), Ya-Chung Huang (David), Heidi Stober (Eva), Annika Schlicht (Magdalena), u.v.a.

Besuchte Aufführung: 12. Juni 2022 (Premiere)

Kurzinhalt

Veit Pogner, ein Meistersinger, verspricht dem Gewinner eines Gesangswettbewerbs, dessen Teilnehmer ebenfalls Meistersinger sein müssen, am Johannistag seine Tochter Eva zur Frau. Aussichtsreichster Kandidat ist der Stadtschreiber Sixtus Beckmesser. Eva hat sich jedoch bereits in den Junker Walther von Stolzing verliebt, der völlig unvorbereitet versucht, durch ein Vorsingen als Meistersinger aufgenommen zu werden. Da er die Regeln nicht kennt, wird nichts daraus. Dem Schuster und Meistersinger Hans Sachs bleibt sein Probelied jedoch in Erinnerung. Die Nacht bricht herein und Walther und Eva beschließen, gemeinsam zu fliehen.

Sachs, der die beiden mit Sorge beobachtet, beginnt lautstark vor seiner Werkstatt zu arbeiten und zwingt sie so, in ihrem Versteck zu bleiben. Als auch noch Beckmesser erscheint, um Eva ein Ständchen zu singen, nutzt Sachs die Gelegenheit, um ihm die zahlreichen musikalischen Fehler in seinem Lied zu zeigen. Der Lehrling David kommt hinzu und beginnt mit Beckmesser eine Schlägerei, weil dieser statt Eva versehentlich deren Amme Magdalena seine Serenade darbietet. Allgemeines Chaos bricht aus, das erst von der Ankunft des Nachtwächters beendet wird.

Eva und Walther werden getrennt und Sachs zieht ihn zu sich in die Werkstatt, wo der Junker die Nacht verbringt. Am nächsten Morgen berichtet er Sachs singend von seinem Traum. Das Lied beeindruckt Sachs, der es niederschreibt und auf dem Tisch liegen läßt. Dort entdeckt es Beckmesser, der Sachs zur Rede stellt, ob er denn auch als Werber teilzunehmen gedenke. Sachs verneint und beschließt, eine List anzuwenden. Er schenkt Beckmesser das Lied mit dem Hinweis, es sei schwer auszuführen. Die Zünfte und Meistersinger versammeln sich auf der Festwiese. Beckmesser scheitert mit seiner Darbietung des Liedes und klagt Sachs an, ihm mit dem unausführbaren Stück eine Falle gestellt zu haben. Dieser behauptet, es sei ein gutes Lied, wenn es von seinem Schöpfer vorgetragen werde und bittet Walther als Zeugen auf das Podium. Seine Darbietung des Liedes bezaubert alle, ihm wird der Preis – Evas Hand – und der Rang eines Meisters angeboten, den er aber erst nach einer Ermahnung Sachs‘ annimmt.

Aufführung

Das Regieteam hat die Handlung aktualisiert und leicht verändert. Wir befinden uns in einer Musikhochschule, an der Walther sich einer Eignungsprüfung unterzieht und durchfällt. Pogners Tochter Eva hat eine Affäre mit Sachs, einem Physiotherapeuten und Schlagzeuglehrer, der Studenten und Kollegen mit bunten Gummisandalen ausstattet, und verläßt ihn für Walther. Beckmesser ist keine Karikatur, sondern einer von vielen recht steifen Musikprofessoren – den Meistersingern –, der sich nicht minder pedantisch wie seine Kollegen benimmt. Magdalena hat eine Affäre mit dem Studenten David und dirigiert den Hochschulchor. Erster und zweiter Aufzug spielen sich auf den eichenholzgetäfelten Korridoren, der dritte auf der Probebühne ab. Kleidung und Habitus der Figuren entsprechen aktuellen Gepflogenheiten.

Wie man sieht, ist die Handlung milde verfremdet und verstärkt einige der Beziehungen zwischen den Figuren und ihre Charakterisierungen. Das umständliche, bürokratische Regelwerk der Institution entspricht der Tabulatur, das Volk ist das Publikum der Hochschulkonzerte, Veit Pogner der Rektor, der Gesangswettbewerb eine Prüfung, usw. Daß die Aufführung trotz des recht nüchternen Bühnenbildes und dieser Verlegung der Handlung dennoch gut funktioniert, liegt an der abwechslungsreichen und von den Darstellern intensiv durchgestalteten Personenregie.

Sänger und Orchester

Zunächst zu den beiden Kontrahenten dieser Oper, Sachs und Beckmesser. Ihre Besetzung war insofern interessant, als Philipp Jekal (Beckmesser) rein technisch gesehen der bessere von beiden Sängern war. Das soll nicht heißen, daß Johan Reuter (Sachs) lediglich mittelmäßig wäre. Als Darsteller ist er wie gemacht für die Rolle des lässigen, kumpelhaften Lehrers, der als einziger barfuß über die Szene geht und sich heimlich alleine betrinkt. Er hat eine starke szenische Präsenz, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, und spielte sowohl die komischen wie auch die tragischen Züge seiner Figur hervorragend heraus. Gesanglich kam er eher in den verhaltenen Passagen zum Zuge und wurde von dem generell recht kräftig aufspielenden Orchester mitunter zugedeckt. Seine Aussprache ist in Ordnung, aber nicht so deutlich wie diejenige Jekals, und er war nicht restlos textsicher. Sein Gesang hat eher sprechenden Charakter, während Jekal als Beckmesser einen belkantistische runden Stimmklang kultiviert hat. Etwas unbeholfen bewegte sich Albert Pesendorfer als Veit Pogner über die Bühne, was zu seiner Rolle paßte. In seiner Rede im ersten Aufzug trat er wie eine Autorität auf und zeichnet sich durch seinen ehrfurchtgebietenden Baß aus.

Annika Schlicht (Magdalena) spielte ihre Rolle durchweg komödiantisch und sang ausgewogen. Die Leistung Heidi Stobers als Eva war das nicht immer. Hier muß man ihr allerdings zugutehalten, daß die Regie diese eher kleine Partie stark in den Vordergrund gerückt hat, so daß sie nun zur eigentlichen Hauptfigur der Handlung wird, um die drei Männer kämpfen. Ihre Aussprache war nicht sehr deutlich – was zum Teil dem dichten Satz Wagners in dieser Oper zuzuschreiben ist –, und stellenweise sang sie ihre lyrische Partie mit hochdramatischer Tongebung, die unvermittelt herausstach.

Zwei Tenöre waren an diesem Abend die musikalischen Glanzpunkte. Zum einen der Spieltenor Ya-Chung Huang (David), der glasklar ausspricht und hinreißend agiert, und natürlich Klaus Florian Vogt (Walther von Stolzing), der seine kraftvolle, hohe und glatte Tongebung mit einer mustergültigen Aussprache kombiniert.

Die Leistungen von Chören und Orchester unter der Leitung von Markus Stenz waren etwas durchwachsen. An einigen Stellen klapperten die Einsätze, etwa bei den Chören der Festwiese, und die Fanfarenbläser auf und hinter der Bühne spielten ein paar falsche Töne. Das Vorspiel, das – so wie es sein soll – bei geschlossenem Vorhang erklang, wurde thematisch durchgearbeitet, kraftvoll und in einem eher flotten Tempo genommen. Was noch ein wenig mehr Nacharbeit vertragen könnte, wäre die Artikulation vor allem in den Nebenstimmen, die in den schnelleren Passagen etwas verwaschen war. Außerdem schien die Tempowahl nicht allen Sängern entgegenzukommen.

Fazit

Trotz der gewichtigen Themen, der oft getragenen Musik mit ihren breiten Tempi und den langen Szenen im dritten Aufzug gelang es dieser Produktion, eine wirkliche Komödie auf die Bühne zu stellen. Wagners Oper wird zwar aktualisiert, jedoch ohne daß ihr Gewalt angetan oder sie durch den Kakao gezogen würde. Das Zusammenspiel der Akteure, sowohl der Solisten als auch der Choristen, war minutiös, was bei einer Komödie unabdingbar ist, um das Interesse des Publikums den ganzen Abend über zu erhalten, und viele kleine Einfälle fungierten als unterhaltsamer Kommentar zu dem Werk, etwa, wenn David den Stadtschreiber Beckmesser in der Prügelfuge mit einem Fliederstrauß über die Bühne jagt oder die Stimme des Nachtwächters blechern aus den Lautsprechern in den Korridoren ertönt. Man muß vielleicht nicht alles gut finden, was sich die Regie hat einfallen lassen, doch was sie unbestreitbar tut, ist, Die Meistersinger ernst zu nehmen. Die Publikumsmeinungen waren geteilt, wobei die Bravorufe die Buhs überwogen. Unterhaltsam ist diese Inszenierung allemal.

Dr. Martin Knust

Bild: Thomas Aurin

Das Bild zeigt: Johan Reuter (Hans Sachs), Philipp Jekal (Sixtus Beckmesser)

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