Die tote Stadt – Köln, Oper

von Erich Wolfgang Korngold (*1897) Oper in drei Bildern, Libretto: Paul Schott, UA: 4. Dezember 1920, Köln und Hamburg

Regie: Tatjana Gürbaca, Bühnenbild: Stefan Heyne, Kostüme: Silke Willrett

Dirigent: Gabriel Feltz und das Gürzenich-Orchester Köln

Solisten: Stefan Vinke (Paul), Aušrine Stundyte (Marietta), Miljenko Turk (Frank), Dalia Schaechter (Brigitta), Anna Malesza-Kutny (Juliette), Regina Richter (Lucienne), John Heuzenroeder (Victorin), Dustin Drosdziok (Grad Albert)

Besuchte Aufführung: 04.09.2021 (Live-Premiere)

Kurzinhalt

Paul lebt als Witwer mit seiner Haushälterin Brigitta zurückgezogen in der Stadt Brügge. Dort verherrlichen beide seine verstorbene Frau Marie in einem Tempel wie eine Heilige. Als Paul die Tänzerin Marietta trifft, die seiner verstorbenen Frau verblüffend ähnelt, fühlt er sich zu ihr hingezogen. Brigitta sieht das als Verrat an ihrer Herrin und verlässt Paul. Marietta, angestachelt die tote Rivalin zu besiegen, verführt Paul, doch dieser kann sich nicht von dem Bild seiner toten Frau trennen. Als Marietta die Haare der Toten umlegt und damit tanzt, verliert Paul die Kontrolle und erwürgt sie. Vor seinem Freund Frank kündigt er an Brügge zu verlassen.

Vorbemerkung

Die Inszenierung wurde bereits im letzten Dezember 2020, anläßlich der einhundert Jahre zurückliegenden Uraufführung in Köln, aufgeführt – allerdings aufgrund der Corona-Auflagen nur als Live-Stream im Internet und unter Ausschluß des Publikums vor Ort.

Aufführung

Dank geänderter Corona-Regeln konnte die Kölner Oper den Auftakt der neuen Spielzeit nun auch wieder vor einem nahezu vollständig gefüllten Staatenhaus zelebrieren. Nach wie vor wurde der Zutritt nur mit dem Erfüllen der 3-G-Regel (Geimpft, Getestet oder Genesen) ermöglicht, das Tragen der Atemschutzmaske am Platz war aber nicht mehr nötig.

Das Orchester wird rechts von der Bühne positioniert. In der Mitte der Bühne befindet sich ein ca. ein Meter hohes Bar-Rondell als Drehkonstruktion, um das Barhocker positioniert sind, und das von einem Kaiserpanorama inspiriert wurde. Durch Vorhänge kann die abgegrenzte Mitte geöffnet werden, so daß Pauls Innenleben hier wie ein Stück im Theater sprichwörtlich auf dem Präsentierteller sich befindet. Durch Projektionen, die an schwarz-weiß Filme der 1940er und 1950er Jahre erinnern, wirkt das Psychodrama an vielen Stellen wie ein Zusammenschnitt aus Hitchcock-Filmen. Durch sakrale Symbole wie zum Beispiel Grabkerzen versucht die Inszenierung immer wieder die Todessehnsucht, die in Pauls Innerem angelegt ist, zu vergegenwärtigen. Die Kostüme sind elegant, schlicht und zeitlos: die Männer tragen Anzüge, Brigitta ein schwarzes Kostüm, Marietta einen beigen Trenchcoat.

Sänger und Orchester

Dem Orchester kommt bei Korngold, der auch für Filme komponierte, eine besondere Rolle zu, was hohe Erwartungen vom Dirigat mit sich brachte. Diese werden von Anfang an erfüllt: Der traumhafte, mystische Klang der Musik konnte sich unter der Leitung von Gabriel Feltz sehr gut entfalten. Sein Dirigat ist sehr präzise: die Einsätze der Sänger gibt er mit rhythmischer Sicherheit vor und nimmt das Orchester bei den Gesangsparts genügend zurück. Gleichzeitig schafft er es, die verschiedenen Motive der Musik, die von neoromantischen, sakralen Klängen bis hin zu rauschhaften Dissonanzen reichen, dynamisch und spannungsvoll aufzubauen.

Dalia Schaechter (Brigitta), die optisch und schauspielerisch an die Figur der Mrs. Denvers aus Hitchcocks Rebecca erinnert, singt mit einem satten Mezzosopran, in der Tiefe mit sehr großem Volumen, in der Höhe weich und mit angenehm schimmerndem Vibrato. Im ersten Bild schwelgt sie in Erinnerungen an ihre Herrin und läßt die Spitzentöne, besonders als Ausdruck für die Verherrlichung der Vergangenheit, anmutig glänzen. Dabei öffnet und schließt sie den Vorhang zum „Tempel der Erinnerung“ oft mit einem unheimlichen Blick ins Publikum und einem verheißungsvollen Lächeln, was die Situation kommentiert und ihr etwas Düsteres und Diabolisches verleiht.

Stefan Vinke (Paul), der als Zweitbesetzung für den ausgefallenen Burkhard Fritz einspringt, kommt zu Beginn nicht so richtig in Fahrt. Seine Stimme bricht ihm im ersten Bild öfter weg, und durch zu viel Aspirieren wirkt er oft angestrengt und heiser. Dies legt sich zum Glück im zweiten und dritten Bild, wo er die hohen Töne mit mehr Kraft und Substanz intoniert und seinen polternden Heldentenor in den schwierigen Gesangspartien zu Höchstleistungen bringt. Die lauten Töne liegen ihm aber insgesamt mehr, als die leisen; im sotto voce klingt er manchmal zu hart. Während er im ersten Bild seine Rolle sehr zurückhaltend und blaß verkörpert, zeigt er im zweiten und dritten Bild auch schauspielerisch mehr Einsatz, beschmiert sich beispielsweise mit einem roten Kreuz, um seine religiöse Verbundenheit zu verdeutlichen, reißt, dem Wahn verfallen, die Augen weit auf und formt lautlose Wörter mit seinen Lippen.

Dagegen ist sein männlicher Kollege Miljenko Turk (Frank) sowohl schauspielerisch als auch gesanglich von Anfang bis Ende auf der Bühne präsent. Als besorgter Freund legt er viel Schmelz in seinen hellen Bariton, den er sehr weich und sanft intoniert. Dabei klingt sein Bariton klar und strahlend in der Höhe, und er kann auch schauspielerisch gute Akzente setzen. Als Pierrot tanzt er mit einem an Besessenheit erinnerndem Lachen über die Bühne und macht viele extrovertierte Gesten, die seine Selbstvergessenheit unterstreichen.

Höhepunkt unter den Frauenstimmen ist aber mit Abstand Aušrine Stundyte (Marietta), die ihren üppigen, prächtigen Sopran in den Höhen wunderbar strahlen läßt und dabei sehr selbstbewußt das Bild einer mondänen Tänzerin abgibt. Kokettierend setzt sie ihre weiblichen Reize ein, um Paul zu verführen, dabei läßt sie ihre Stimme in der Höhe anmutig anschwellen. Im Lied Glück, das mir verblieb kann sie aber auch im sotto voce Sehnsucht und Verlust gut stimmlich hörbar machen. Auch erwähnenswert ist der Einsatz des Chores von der Seite, der fast engelsgleich die sakralen Motive der Partitur aufzeigt. Besonders der Kinderchor ist, hier sehr harmonisch, verkörpert Reinheit und Unschuld.

Fazit

Wenn man von einigen Längen im ersten und zweiten Bild absieht, ist die Inszenierung spannend und mitreißend. Besonders gelungen ist aber die musikalische Darbietung, allen voran die hervorragende Leistung des Orchesters. Den größten Applaus und Bravorufe gibt es für Stefan Vinke, der sich trotz Schwächen gut durch die schwierige Partitur arbeitete. Noch ein bißchen mehr überzeugt allerdings Aušrine Stundyte mit ihrer durchgängig hervorragenden Darbietung. Insgesamt ein sehens- und hörenswertes Stück!

Melanie Joannidis
Bild von: Paul Leclaire
Das Bild zeigt: Stefan Vinke (Paul)

Als Kaiserpanorama bezeichnet man ein um die Wende zum 20. Jahrhundert populäres Massenmedium, das es bis zu 25 Personen gleichzeitig ermöglichte, stereoskopische Bilderserien durch ein Guckloch zu betrachten. Gezeigt wurden hauptsächlich exotische und für den Normalbürger unerschwingliche Reiseziele und Landschaften. (Wikipedia)

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