Die Zauberflöte – Dresden, Semperoper

von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Deutsche Oper in zwei Aufzügen, Libretto: Emanuel Schikaneder, UA: 30. September 1791, Theater im Freihaus auf der Wieden, Wien

Regie: Josef E. Köpplinger, Bühne/Videos: Walter Vogelweider, Kostüme: Dagmar Morell

Dirigent: Omer Meir Wellber, Sächsische Staatskapelle, Sächsischer Staatsopernchor, Choreinstudierung: Cornelius Volke

Solisten: René Pape (Sarastro), Joseph Dennis (Tamino), Markus Marquardt (Sprecher), Mateusz Hoedt (1. Priester), Gerald Hupach (2. Priester), Matthias Henneberg (2. Geharnischter), Nikola Hillebrand (Königin der Nacht), Tuuli Takala (Pamina), Sebastian Wartig (Papageno), Katerina von Bennigsen (Papagena), Simeon Esper (Monostatos).

Besuchte Aufführung: 1. November 2020

Vorbemerkung

Für das Verständnis dieser Produktion, sind zwei Bemerkungen notwendig. Zum einen ist der 1. November der letzte Tag, bevor die Opern und die Kultur wieder einmal trotz wirksamen Hygienekonzeptes schließen müssen. So gab es einen gewissen Zeitdruck, das Stück mußte gekürzt, die Zuschauerzahl noch weiter reduziert werden. Kein Einzelfall: am Vorabend wurde in Leipzig die Lohengrin-Premiere von Mitte November kurzfristig vorgezogen. Gespielt wurde eine zweistündige Kurzfassung, nur deren musikalische Interpretation des Gewandhausorchesters wird in Erinnerung bleiben Hier mußten einige Zuschauer quasi kurz vor Beginn den Saal verlassen – neue Vorschrift für noch weniger Personen im Raum.

Am 1. November, um 11:00 Uhr gab die Sächsische Staatskapelle unter Leitung von Christian Thielemann im Kulturpalast ein Konzert. Dieses wurde vom Dienstag vorgezogen, um es nicht absagen zu müssen. Quasi wurde also die Generalprobe zum Konzert, die Eintrittskarten blieben gültig, das Konzert war trotz Möglichkeit zur Rückgabe ausverkauft. Der Kulturpalast wurde erst vor kurzem vollständig renoviert und ist der wichtigste Konzertsaal der Landeshauptstadt Dresden. Gespielt wurden zwei Fanfaren von Richard Strauss von der Chorempore aus und vor allem Beethovens D-Dur-Violinkonzert mit Julia Fischer als Solistin. Ihre Zugabe war die Sarabande in d-Moll von Johann Sebastian Bach. Schumanns Zweite Sinfonie in E-Dur setzte einen fulminanten Schlußpunkt unter ein filigran zelebriertes Konzert einer bestens aufgelegten Staatskapelle. Sogar Christian Thielemann soll bei dem Jubelschrei des Publikums Tränen in den Augen gehabt haben.

Kurzinhalt

Die Königin der Nacht beauftragt Prinz Tamino, ihre von Sarastro entführte Tochter Pamina zu befreien. Tamino macht sich zusammen mit dem Vogelfänger Papageno auf den Weg. Beide erhalten zum Schutz magische Instrumente: Tamino eine Zauberflöte, Papageno ein Glockenspiel. In Sarastros Tempel findet Papageno Pamina und rettet sie vor Monostatos. Sarastros Oberaufseher Monostatos nimmt den Prinz gefangen und bringt ihn zu Sarastro. Papageno und Tamino sollen drei Prüfungen bestehen. Papageno bricht das Schweigen und muß Tamino verlassen. Tamino besteht die erste Prüfung. Zusammen mit Pamina besteht er mit Hilfe der Zauberflöte auch die Prüfungen des Feuers und des Wassers. Dadurch werden sie in den Kreis der Eingeweihten aufgenommen. Papageno spielt sein Glockenspiel und bekommt seine Papagena. Ein Versuch der Königin der Nacht in den Tempel einzudringen scheitert.

Aufführung

Diese Zauberflöte beginnt auf einer leeren Bühne. Während des Vorspiels fahren die Suffitten herein, und es senkt sich der Hintergrundprospekt herab, auf den ein Sternenhimmel, ein bergiger Hintergrund, wahlweise mit Mond und/oder Sonne projiziert werden kann. Auch ein Baum im Vordergrund kann eingeblendet werden, der wächst, blüht und verbrennt. Aber vor dem monströsen portalfüllenden Sternenhimmel, der an den Entwurf von Schinkel erinnert, kann nichts bestehen, wirkt alles klein und winzig. Es handelt sich um eine fiktive Märchenwelt mit teils bunt peppigen Kleidern, farblich grenzwertigen Perücken und langen Gewändern für die Priester. In diese Welt tritt ein kleiner Junge in Jeans und Straßenkleidung. Dieser ist das ab und zu auftretende Kinderdouble des Tamino – warum eigentlich?
Zum Ende des Vorspiels werden drei Seile über die Bühne gespannt, sie können in verschiedenen Farben leuchten und werden später die Königin der Nacht samt Gefolge in die Versenkung treiben. Die drei großen Würgeschlangen hingegen werden von schwarz gekleideten Puppenspielern auf die Bühne getragen und dann zerlegt. Diese bewegen auch die später von Tamino mit seiner Zauberflöte herbeigerufenem Tier – was sehr nach einem Einfall von „Disneys König der Löwen“ aussieht. Geschickt werden im weiteren Verlauf Kulissen auf die Bühne geschoben und wieder entfernt, beispielsweise steht ein weißer Gitterrahmen oder eine Felswand für den Tempel. Ergänzt wird die Handlung durch spektakuläre Videos auf den Bühnenhintergrund, die Schreckenspforten werden durch eine alles vernichtende Feuersglut dargestellt, die auch den Baum vernichtet, wobei Roland Emmerich stolz wäre über die virtuelle Wasserflut, die sich über den Berg wälzt. Im Finale legen sich Tamino und Pamina demütig im Initialisierungsritus auf den Boden, bekommen ein weißes Gewand. Sie entscheiden sich aber noch gegen die Priesterschaft, legen alles wieder ab und gehen schnell ab.

Sänger und Orchester

Auf musikalischer Seite muß man die zahlreichen Eingriffe in das Libretto bedauern. Um auf ca. 130 Minuten pausenlose Spielzeit zu kommen, hat man die Dialoge und Rezitative drastisch gekürzt, auch in manchen Musiknummern Teile oder einzelne Wiederholungen. So kommt der „Siebenfache Sonnenkreis“, den die Königin der Nacht von Sarastro wiederhaben will, nicht vor. Komplett gestrichen ist das Duett der Zwei Priester (Nr. 11) und das Terzett Nr. 16 der drei Knaben Seid uns zum zweiten Mal willkommen.

Die sängerische Umsetzung ist bei diesem Ensemble in den besten Händen. René Pape als weltbekannter und gefeierter Baß muß man nicht vorstellen. Sein Sarastro mit wunderschöner warmer und sicherer tiefer Intonation ist Weltspitze.
Nikola Hillebrand ist neu im Dresdner Ensemble als technisch sicherer Koloratursopran mit glasklarer Stimme. Die Koloraturen in Der Hölle Rache sind für Sie eine wirkliche Glanznummer. Die beiden Liebespaare ergänzen sich zu gleichwertigen Pärchen. Sebastian Wartig ist der Papageno mit der spielerischen Leichtigkeit eines echten Spielbaritons, Paroli bietet ihm Katerina von Bennigsen als Papagena mit glänzendem Sopran. Gleiches gilt für Tamino und Pamina. Mit lyrischem, gefühlvollem Tenor gefällt der Einspringer Joseph Dennis, auch wenn er am Anfang etwas zu nervös ist. Tuuli Takala als Pamina verfügt über eine sehr lyrisch ausgeprägte Stimme und begeistert vor allem mit Ach ich fühl’s, es ist verschwunden.
Simeon Esper als Spieltenor ist mit der Rolle des Monostatos szenisch etwas allein gelassen – die Rolle bleibt blaß. Er kann sich jedoch mit tenoralem Glanz stimmlich durchsetzen, von Alles fühlt der Liebe Freuden! bis Weil ein Schwarzer häßlich ist. Ein schönes Beispiel wie gut die Semperoper aus dem Ensemble heraus schwierige Nebenrollen besetzen kann, sind Jürgen Müller in der schwierigen Tenor-Rolle des mit Inbrunst intonierten Ersten Geharnischten, sowie als Damen die weltbekannte Wagner-Heroine Christa Mayer und Roxana Incontrera, die dem Publikum als Königin der Nacht in Erinnerung bleibt.
Eine solide Basis ist der bestens einstudierte Chor und die drei Solisten des Tölzer Knabenchors (warum eigentlich keine Kruzianer?). Die drei Knaben überzeugen mit sehr klarer kindlicher Intonation auch in den hohen Registern. Das Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Omer Meir Wellber ist trotz kleinerer Besetzung ein harmonisch volltönender Partner der Solisten und läßt Mozarts Zauberwelt bildlich vor den Ohren der Zuhörer auferstehen.

Fazit

Es gibt einen ewigen Streit, was die eigentliche Intention der Zauberflöte ist. Die einen sehen darin ein Fanal für den Geist der Aufklärung, manifestiert in einer Botschaft Mozarts über die Freimaurer. Die anderen sehen einen einfachen Jahrmarktszauber, ein Zaubersingspiel, um das einfache Volk zu beeindrucken – aufgeführt in einer einfachen Holzbude auf der Wieden von einem „Jahrmarktsgaukler Schikaneder.“
Josef E. Köpplinger hat sich klar für den zweiten Weg entschieden und zeigt eine moderne Fassung eines einfachen Kindermärchens, der mit optischen Effekten die Zuschauer beeindrucken will und so wahrscheinlich dem Resultat der Uraufführung nahekommt.
Leider paßt Köpplinger sich auch den Corona Vorgaben an: Mehr als zwanzig Minuten sind gestrichen, die Personenführung sieht keinerlei persönliche Nähe der Personen vor. Musikalisch mit Weltstars und Ensemblemitgliedern herausragend besetzt, verdient diese Produktion einen zweiten Besuch „nach Corona“, wenn die Striche gefallen sind und sich auch die Personenführung sinnvoller ergänzt.

Das Publikum feiert die Premiere als die letzte Möglichkeit, Kultur zu konsumieren bevor die Nacht über Deutschland fällt und kein Theater, Museum, Literaturvortrag oder Gedichtrezension mehr möglich ist. Man kann Streamings konsumieren, aber es gilt genauso wie für die geschlossenen Gaststätten: „Der Dosenfraß zu Hause sättigt nicht!“ Und rettet keinen Soloselbständigen finanziell.

Oliver Hohlbach und Kollegen

Bild: Ludwig Olah

Das Bild zeigt: Sebastian Wartig (Papageno), Tuuli Takala (Pamina)

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