Dreigroschenoper – München, Gärtnerplatztheater

von Kurt Weill (1900-1950), Stück mit Musik in einem Vorspiel und 8 Bildern, Libretto: Bertold Brecht nach The Beggar’s Opera von John Gay, verbindende Texte  für eine konzertante Fassung der kritischen Kurt-Weill-Edition (2000) von Stephan Hinton, UA: 31. August 1928 Berlin, Theater am Schiffbauerdamm.

Dirigent: Anthony Bramall, Orchester und Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Solisten: Erwin Windegger (J.J. Peachum), Dagmar Hellberg (Celia Peachum), Nadine Zeintl (Polly Peachum), Maximilian Mayer (Macheath, genannt Mackie Messer), Stefan Bischoff (Tiger Brown), Anna-Katharina Tonauer (Lucy), Julia Klotz (Spelunken-Jenny), u.a.

Besuchte Aufführung: 22. Juli 2020 (Saisonabschluß)

Kurzinhalt

Der Bettelkönig Peachum und seine Frau klagen, daß ihre Tochter Polly die Nacht mit dem Gangsterchef Mackie Messer verbracht hat. Während dessen halten Mackie und Polly Hochzeit in einem Pferdestall. Mackies alter Freund, der Polizeichef Tiger Brown, wohnt der Hochzeit bei. Als die Peachums das erfahren, wollen sie Mackie der Polizei ausliefern. Polly warnt ihren Mann, der in ein Bordell flieht. Jenny, eine der Huren und Ex-Geliebte Mackies, von den Peachums bestochen, verrät ihn. Er wird verhaftet. Doch Lucy, auch eine Ex-Geliebte Mackies und Tochter des Polizeichefs Brown, verhilft ihm zur Flucht. Peachum droht nun Brown, mit seinen Bettlern die königliche Krönung zu stören, wenn Mackie nicht gefangen wird. Mackie hat wieder bei den Huren Unterschlupf gefunden, die ihn wieder verraten. Diesmal soll er gehenkt werden. Bevor die Hinrichtung jedoch vollzogen werden kann, verkündet ein königlicher Bote, daß Mackie nicht nur begnadigt, sondern auch geadelt worden ist.

Aufführung

Eigentlich wird hier dem Prinzip Brechts gefolgt, auf leerer Bühne zu spielen. Oder wird es ad absurdum geführt, wenn man es konzertant spielt und nur rudimentäre kurze Verbindungstexte dazwischen einfügt? Eine richtige Antwort gibt es nicht, dies ist eine klassische konzertante Aufführung ohne Kulissen, ohne Bewegungschoreographie und ohne ausführliche Rahmenhandlung. Orchester und Solisten füllen mit „Mindestabstand“ à la Corona den gesamten Bühnenraum. Chorsänger füllen die Proszeniumslogen.

Sänger-Orchester

Solisten, einige Chorsänger und die Musiker: Das Gärtnerplatztheater kann die anspruchsvollen Rollen mit Ensemblemitgliedern besetzen. Da wäre Anna-Katharina Tonauer, die als Lucy, Mackies Braut, als dramatischer Sopran mit der Arie der Lucy den Schwerpunkt der Musik der Zwanziger Jahre (Jazz und Blues) zu der Welt der Oper verschiebt. Diese anspruchsvolle Konzertarie ist meist nicht vorgesehen, im Gegensatz zu den Moritatensängern am Ende, die hier gestrichen sind.

Ähnlich Anspruchsvolles läßt sich auch über den Salomon-Song der Spelunken-Jenny sagen: Ein eindrucksvoll-witziger Auftritt von Julia Klotz. Dabei hatten die ersten Auftritte einfühlsam in die Welt der Musik von Kurt Weill eingeführt.

Nadine Zeintl hat das als Polly mit der Schnurre der Seeräuber-Jenny erotisch lässig getan, genauso wie das Maximilian Mayer als Macheath – genannt Mackie Messer – als lässiger Gangster-Tenor geschafft hat. Dagmar Hellweg (Celia Peachum) hat ihn mit einer dramatisch vorgetragen Moritat von Mackie Messer hinreißend eingeführt. Erwin Windegger ist der Bettlerchef im feinen italienischen Zwirn und zelebriert adäquat den Morgenchoral. Stefan Bischoff ist mit eher lyrisch hellem Bariton der unscheinbare Polizeichef Brown.

Das GMD des Hauses Antony Bramall ist der Hüter der 22 Instrumente (vom Banjo bis zum Harmonium, vom Saxophon bis zum Klavier), die von den 13 Musikern gespielt werden. Die Melodik und Rhythmik der unzüchtigen Welt der Zwanziger Jahre, die Anklänge an Jazz und Revuemusik und die humoristischen Vorstellungen der Musikwelt von Kurt Weill werden lebendig.

Fazit

Die letzte Vorstellung der Spielzeit 2019/20 ist auch ein Menetekel für die kommende Spielzeit. Mit der Fortsetzung der Coroa-Auflagen ist zu rechnen: Der Mindestabstand wird zum Stigma für alle Kulturveranstaltungen. 13 Solisten und 13 Musiker finden heute auf der Bühne und überbauten Orchestergraben Platz: Der Abstand zwischen Solisten und Chorsängern auf der Bühne ist fixiert, der Abstand zwischen den Orchestermitgliedern führt zu kleinerer Orchestergröße, der Zuschauerraum ist nur noch zu 30% gefüllt und Pausengastronomie wird vermieden. Das wird zu einem Spielplan mit Kurzopern und gekürzten Opern führen. In diesem Fall ist die Dreigroschenoper eine konzertante Aufführung der vollständigen musikalischen Fassung mit nur kurzen gesprochenen Verbindungstexten. Die Handlung der Oper bleibt aber erkennbar. Brecht wäre über diese Aufführung, die Reduzierung der Handlung auf das wesentliche, auf das Ausbleiben irrationaler Regietheatereinfällen sehr erfreut gewesen. Musikalisch und sängerisch ist der Abend ein schlagender Beweis für die gelungene Ensemblepflege am Gärtnerplatztheater, hier kann man leichte Muse und große Oper, große Stimmen und Charaktere besetzen. Brecht-Theater auf Weltniveau! Das Publikum jubelt so laut, als wäre das Haus voll besetzt.

Oliver Hohlbach

Bild: Marie-Laure Briane

Das Bild zeigt: Ensemble

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