Nabucco – Hamburg, Staatsoper

von Giuseppe Verdi (1813-1901), Opera seria in vier Akten, Libretto: Temistocle Solera, UA: 9. März 1842 Teatro alla Scala, Mailand

Regie/Bühne/Kostüme: Kirill Serebrennikov, Co-Regie: Evgeny Kulagin, Mitarbeit Bühne: Olga Pavluk, Mitarbeit Kostüme: Tatyana Dolmatovskaya, Licht: Bernd Gallasch, Video: Ilya Shagalov, Fotografie: Sergey Ponomarev, Dramaturgie: Sergio Morabito

Dirigent: Paolo Carignani, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Projektchor Nabucco

Solisten: Dimitri Platanias (Nabucco), Dovlet Nurgeldiyev (Ismaele), Alexander Vinogradov (Zaccaria), Oksana Dyka (Abigaille), Géraldine Chauvet (Fenena), Alin Anca (Oberpriester des Baal), Sungho Kim (Abdallo), Na’ama Shulman (Anna), Hana Alkourbah (Intermedien – Gesang), Abed Harsony (Intermedien – Gesang und Oud)

Besuchte Aufführung: 10. März 2019 (Premiere)

Kurzinhalt

In Jerusalem wurde das Volk Israels von den Babyloniern unter der Herrschaft ihres Königs Nabucco besiegt. Als Nabucco sich zum Gott erklärt, trifft ihn der Blitz, und er verliert den Verstand. Seine Tochter Abigaille entreißt daraufhin Fenena, der rechtmäßigen Thronerbin, die Krone. Als Fenena hingerichtet werden soll, fleht Nabucco den Gott der Hebräer um Erbarmen an und gelangt wieder zu Verstand. Er läßt das Götzenbild Baals stürzen und befreit die Hebräer. Gemeinsam mit ihnen preist er die neu gewonnene Freiheit.

Aufführung

Die stark politisch aufgeladene Aufführung verlegt das Geschehen konsequent in die Gegenwart, und zwar an den Sitz der Vereinten Nationen. Nabucco und Abigail sind Vertreter einer migrantenfeindlichen Autokratenpartei, die an Trump gemahnt. Zaccaria, Ismaele und Fenena stehen für einen liberalen, migrantenfreundlichen Kurs. Durch den permanenten multimedialen Einsatz von Schriftlaufbändern, Bildschirmen und Kameras, die das Geschehen auf einer großen Leinwand verdoppeln, entsteht auf der Bühne eine permanente Bewegung, die durch die detaillierte Personenführung noch wuseliger wird. Eine weitere große Besonderheit besteht in mehrfachen Zwischenmusiken, die vor schwarzem Vorhang von syrischen Musikern gegeben werden. Dazu werden Bilder von Geflüchteten und aus den zerstörten Städten Syriens gezeigt. Zudem singt ein Projektchor aus realen Geflüchteten den berühmten Gefangenenchor ein zweites Mal.

Sänger und Orchester

Mit ihrem schier unerschöpflichen dramatischen Sopran ist Oksana Dyka wohl die eigentliche Heldin des Abends. Dank ihrer enorm beweglichen Stimme und einem weiten dynamischen wie farblichen Spektrum verleiht sie der Abigail auf vielseitige Weise Ausdruck. Auf diese Weise wird die Abigail zu einem Bösewicht, mit dem das Publikum mitfiebern kann. In den dramatischen Arien trägt ihre Stimme bis in die hintersten Reihen, in den leisen Passagen weicht ihre stimmliche Strenge anrührend nachgiebig auf.

Mit viel stimmlichem Gewicht erhält auch der Nabucco von Dimitri Platanias Nachdruck. Nicht nur dank seines Mienenspiels (sichtbar durch die große Leinwand) wirkt Platanias Verkörperung des gebrochenen Herrschers auf diese Weise äußerst überzeugend. Wie ein singender Justin Trudeau (z.Zt. Premierminister Kanadas) gibt hingegen Alexander Vinogradov den Zaccaria, der seinen Gegenspielern darstellerisch wie gesanglich mehr als gewachsen ist. Vinogradov versieht seine Partie mit gebieterischer Präsenz, die frei von jeder Anstrengung wirkt.

Schade ist es, daß die Partien von Géraldine Chauvet als Fenena und Dovlet Nurgeldiyev als Ismaele nicht umfangreicher ausfallen. Beide wissen mit betörender kantabler Weichheit zu gefallen. Überhaupt gelingen auch die Ensembleszenen plastisch wie harmonisch. Der Chor der Staatsoper Hamburg ist während der Aufführung viel in Bewegung, bewältigt seine Aufgaben aber souverän. Der berühmte Gefangenenchor wird unaufgeregt gegeben, mit viel Emphase, aber ohne dick aufgetragenes Pathos. Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg ist unter Paolo Carignani bestens aufgelegt. So gelingt es dem Orchester, das Bühnengeschehen nie zu überdecken, und doch angemessen rhythmisch streng und expressiv zu agieren. Wackler waren am Premierenabend keine zu vernehmen, vor allem die Blechbläser spielten furios auf, ohne dabei je grell zu klingen. Musikalisch ist dieser Nabucco ein Genuß.

Fazit

Das Publikum spendete am Ende lauten Jubel ohne Einwände. Audiovisuell ist dieser Nabucco ein bis ins kleinste Detail durchgeplantes Spektakel, das aufgrund der Masse an Vorgängen auf der Bühne jedoch dazu neigt, die Musik in den Schatten zu stellen. Als Besucher sollte man sich jedoch auf die stark politisch aufgeladene Seite der Aufführung einlassen können, zumal die realen Bilder von Krieg und Flucht in den Zwischenmusiken an die Substanz gehen. Auch wurde am Premierenabend unter anderem ein Banner (Free Kirill) entrollt, das auf die Lage des in Rußland unter Hausarest stehenden Regisseur aufmerksam machte.

Dr. Aron Sayed

Bild: Brinkhoff/Mögenburg

Das Bild zeigt: Dimitri Platanias (Nabucco), Chor der Hamburgischen Staatsoper

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