KONZERT – Kölner Philharmonie

Liederabend mit Christian Gerhaher, Bariton und Gerold Huber, Klavier

Robert Schumann (1810-1856): Drei Gesänge op. 83, Lieder und Gesänge III op. 77, Vier Gesänge op. 142

Antonín Dvořák (1841-1904): Biblische Lieder op. 99 B 185

Hector Berlioz (1803-1869): Les Nuits d’été op. 7

Besuchte Konzert: 23. November. 2016

 

koeln-phil-c_gerhaherChristian Gerhaher hat eine interessante Einstellung zu seiner Tätigkeit als Sänger: Wenn man nicht an sich zweifelt, wird der Gesang doch sofort schal. Alles andere als schal war sein Liederabend in der Kölner Philharmonie. Ein ungewöhnliches Programm mit selten aufgeführten Werken mag wohl auch dazu beigetragen haben, daß der Konzertsaal nur etwa zur Hälfte besetzt war, was wieder einmal die Frage nach einem Kammermusiksaal für Köln aufwirft. Für mich waren gerade die Raritäten der Anlaß, dieses Konzert auszuwählen.

Dvořáks Biblische Lieder sind während seines Aufenthalts in Amerika entstanden. Der gläubige Katholik Dvořák hat nicht auf lateinische Texte zurückgegriffen wie bei seinen anderen geistlichen Werken (Stabat mater, Requiem, Te Deum) sondern Texte in seiner Muttersprache ausgewählt. Psalmen aus der Kralitzer Bibel, einer seit dem 16. Jahrhundert in Böhmen eingeführten Übersetzung. Die ausgesuchten Worte, teilweise aus mehreren Psalmen zusammengestellt, sind durchgehend traurig, resignierend, voller Ängste, aber auch von Zuversicht in größter Not geprägt – das Lied Der Herr ist mein Hirte endet mit einer feierlichen choralähnlichen Phrase Dein Stab und Dein Stecken werden mich trösten. Und auch das letzte der zehn Lieder führt aus der Trostlosigkeit heraus: Singt dem Herrn ein neues Lied [   ] laßt Jubel ertönen…

Immer wieder ist die Rede davon, daß der Komponist persönliche Erlebnisse in dieser Musik verarbeitet hat, schließlich fällt in die Entstehungszeit der Tod mehrerer nahestehender Menschen – Peter Iljitsch Tschaikowsky, Hans von Bülow und kurz nach der Fertigstellung des Zyklus der Tod des eigenen Vaters. Dvorak hat sich zu seinen Biblischen Liedern folgendermaßen geäußert: Nicht nur singen, beten muß man diese Lieder.

Christian Gerhaher hat sie gebetet, und sein genialer Partner am Klavier hat mitgebetet. Die Musik hat einen schon fast spröden Charakter, ganz an der Gestaltung des Textes orientiert und der Sänger interpretiert sie mit warmer Stimme ohne falsches Pathos schlicht, überzeugend, intensiv.

Dvořák hat die ersten fünf Lieder später instrumentiert, den zweiten Teil verfaßte der Dirigent Vilém Zemánek. In dieser Form sind die Biblischen Lieder häufiger zu hören, aber das reduzierte Original ist sicher die schönere und anspruchsvollere Version.

Hector Berlioz ist nicht gerade als Liedkomponist bekannt, jedoch hat er mit dem Zyklus Les Nuits d’été (Sommernächte) den Grundstein für das Orchesterlied gelegt. Aber auch bei diesem Werk ist die Originalfassung die für Singstimme und Klavier.

Ebenso wie bei Dvořák liegt auch bei Berlioz nahe, daß er private Schicksalsschläge in der Musik verarbeitet hat. Der große Shakespeare-Verehrer war verheiratet mit der berühmten Shakespeare-Darstellerin Harriet Smithson – diese Verbindung war gerade gescheitert und Berlioz trauerte um seine verlorene LiebeDer Zyklus beginnt mit einem heiteren Hirtenlied und schlägt dann um in Trauer und Melancholie.

Gerhaher und Huber treffen die unterschiedlichen Klangfarben in bestechender Schönheit und Schlichtheit. Berlioz‘ Musik hat oft etwas Dramatisch-Bombastisches, aber in den Liedern, besonders in dieser kammermusikalischen Besetzung fehlt all dieser Pomp.

Auch in diesem Zyklus ist Gerhahers Stimme warm und dunkel timbriert, was vor allem den Nasallauten der französischen Sprache sehr zugute kommt.

Bei Robert Schumanns Gesängen wirkt Gerhahers Stimme eher tenoral eingefärbt, aber nie forciert oder angestrengt.

Die ausgewählten Gesänge gehören zu den weniger bekannten aus Schumanns großem Liedwerk, und auch hier ist die Grundstimmung die unglückliche Liebe, die Sehnsucht, eben die typische Gefühlslage der Romantik. Gerade bei Schumann kommt der Klavierbegleitung eine große Bedeutung zu. Gerold Huber meistert diese Aufgabe mit absoluter Perfektion.

Das letzte Lied der Vier Gesänge op. 142 ist von heiterer Besinnlichkeit. Es schildert einen Menschen, der auf seinem Wagen durch die Landschaft rollt und an seine Liebste denkt. Dabei erscheinen drei Schattengestalten, die quirlen wie Nebel zusammen und kichern und huschen vorbei. Nach dieser unspektakulären Schluß Zeile darf Gerold Huber in einem langen, kichernden und huschenden Klaviernachspiel noch einmal seine großartige Virtuosität solistisch ausspielen.

Großer Beifall von einem kleinen, aber offensichtlich kenntnisreichen Publikum.

Dorothee Riesenkönig

Bild: Christian Gerhaher, Wikipedia

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