Tiroler Festspiele Winter 2014, Erl

Don Giovanni

von W.A. Mozart (1756-1791), Dramma giocoso in zwei Akten, Libretto: Lorenzo da Ponte, UA: 1787, Prager Fassung

Solisten: Lucio Gallo (Don Giovanni), Yasushi Hirano (Leporello), Johannes Schmidt (Il Commendatore), Anna Princeva (Donna Anna), Ferdinand von Bothmer (Don Ottavio), Sabina von Walther (Donna Elvira), Sophie Gordeladze (Zerlina), Frederik Baldus (Masetto)

Besuchte Aufführung: 3. Januar 2013

Tosca

von Giacomo Puccini (1858-1924), Libretto: Giuseppe Giacosa und Luigi Illica, nach dem Schauspiel von Victorien Sardou; UA: 14. Januar 1900 Rom, Teatro Costanzi

Solisten: Rossana Potenza (Floria Tosca), Bruno Ribeiro (Mario Cavaradossi), Giulio Boschetti (Baron Scarpia), Julian Orlishausen (Cesare Angelotti), Oliviero Giorgiutti (Mesner), Silvano Paolillo (Spoletta), Nicola Ziccardi (Sciarrone), Ezio Maria Tisi (Schließer), Maria Ladurner (Hirt)

Besuchte Aufführung: 5. Januar 2013

Erl DonGiovanniVorbemerkung

Im Winter 2013/2014 finden zum zweiten Mal die Winter-Festspiele statt. Zu diesem Zweck wurde ein beheizbares Festspielhaus, als Pendant zum Passionsspielhaus, errichtet, das im Sommer weiter genutzt wird. Im Festspielhaus befinden sich auch die Arbeits- und Produktionsräume. Weitere Räume befinden sich auf dem neu errichteten, kostenlosen Parkhaus, das auf vier Parkebenen die Parksituation in Erl entspannt.

Beide Häuser stehen wie eine Trutzburg an den Hang geklebt auf der grünen Wiese. Die Gastronomie ist einfach, aber gut, ein Champagner-Publikum findet sich hier nicht ein. Gefeiert wird im Anschluß in den Restaurants in Erl und Umkreis. Ein Shuttleservice in die nähere Umgebung oder bis nach München oder Salzburg entspannt die Verkehrssituation. Der steil ansteigende Zuschauerraum des Festspielhauses faßt 732 Zuhörer, die Akustik tendiert zu einer Überakustik: Es ist zwar manchmal etwas zu laut, hingegen ist jede Gesangsphrase hörbar, ist jedes Wort zu verstehen. Für Konzerte wird der Orchestergraben nach oben gefahren, dann ergibt sich eine ideal auf das Orchester abgestimmte Akustik. Bühnentechnik wie Hubpodien oder Versenkungen gibt es nicht, der Personalstamm für Technik und Beleuchtung läßt sich an zwei Händen abzählen: Die Personalkosten werden Erl wohl nicht davonlaufen.

Aufführung, Sänger und Orchester

Ein Markenzeichen in Erl: Die Inszenierungen sind schlicht und einfach, verzichten auf Effekte oder sinnlose Regieeinfälle. Somit wird, mit solider Personenregie, die Handlung entlang der Vorgaben des Komponisten erzählt. Daraus folgt, daß die Musik unter Gustav Kuhn mit seinem Orchester Accademia di Montegral und der Chorakademie der Tiroler Festspiele Erl die erste Geige spielt.

Die Klangfarben sind beeindruckend vielfältig und unter Kuhn entsteht unter den optimalen Bedingungen der Akustik des neuen Festspielhauses ein unvergleichlicher weicher romantischer Klang, der sich quasi zu einer Hausmarke von Erl entwickelt hat. Erfolgreich auch die Zusammenarbeit mit dem Chor. Zwar wirkt der Chor etwas statisch und die breite Aufstellung quer über die Bühne führt manchmal dazu, daß ab und an Stimmgruppen dominieren, oder Abstimmungsprobleme zwischen Chor, Orchester und Solisten hörbar werden. Das Klangerlebnis mit dem Chor – besonders mit dem Tölzer Knabenchor in der Tosca – besticht aber immer wieder.

Erl ToscaTosca

Hier unterstützt das Bühnenbild durch seine Einfachheit die Wirkung der Musik. Eine Rampe in Form einer Treppe wird zum zentralen Element – und zur Schlußapotheose, wenn Tosca langsam hinaufschreitet und von einem Engel (in Personalunion mit dem Hirtenknaben) in Empfang genommen wird. Die weiße Wand im Hintergrund enthält ein schwarzes Loch, das die Konturen der weißen Treppe genau aufnimmt. Wenige Gegenstände genügen, die Räume zu charakterisieren. Ein Christus am Kreuz klebt hoch oben an der Wand, in der Rampe befindet sich die Kapelle, ein Tisch für die Malutensilien, das Bild, das Cavaradossi malt, sieht man hingegen nicht.

Im zweiten Akt steht vor dem Loch in der Wand (in dem sich der Zugang zum Folterkeller befindet) ein weißer Tisch mit Eßgeschirr und zwei Kerzenleuchtern – letztere stellt Tosca neben die Leiche. Am Schluß steht die Rampe genau vor der Kontur in der Wand. Am Fuß der Rampe wird Cavaradossi erschossen, dort steht auch der weiße Tisch wieder, an dem er seine letzten Stunden verbrachte.

 

Die phantasievollen Kostüme im klassischen römischen Schnitt sind zeitlos und nehmen Anleihen an vielerlei Epochen. In der Rolle des Cavaradossi singt Bruno Ribeiro mit Verve, Empathie und strahlendem Durchhaltevermögen. Ein italienischer Tenor par Excellanze!

Rossana Potenza gilt eher als dramatischer Sopran. Damit ist sie für die Verzweiflungs- und Wutanfälle der Tosca bestens geeignet, auch wenn die Schärfen nicht zu überhören sind. Aber manche Italianità  gelingt: Vissi d’arte, vissi d’amore – ich lebte für die Kunst und die Liebe. Etwas mehr Klangfülle, etwas mehr Dämonie und Ausdruck möchte man Giulio Boschetti für die Rolle des Scarpia wünschen. Seine lyrische, wohlklingende Stimme hat 2012 an gleicher Stelle zum Figaro viel besser gepaßt. Von den Nebenrollen besticht vor allem Julian Orlishausen als Angelotti, der mit gekonnter Phrasierung und warmen Stimmschattierungen seinen beweglichen Bariton in den Verzweiflungspassagen eine impulsiv eindrucksvolle, aber dennoch genaue Stimmführung geben kann. Auch Maria Ladurner kann mit ihrem jugendlichen hellen Sopran den Hirten höhensicher gestalten, während Silvano Paolillo als Spoletta manchen Einsatz verpaßt.

 

Ist in der Tosca die Rampe das prägende Element, so dominiert den Don Giovanni eine Kugel, die einen Würfel ausfüllen will: Je nach Situation verändert sich die Position der beiden Figuren zueinander. Neben einem großen verschiebbaren Vorhang komplettieren wenige Gegenstände das sparsame Bühnenbild, die Kostüme sind farbenfroh im historisierenden Stil und werden teilweise nach jeden Auftritt gewechselt.

In der Titelrolle kann man einen geradezu triumphal singenden Lucio Gallo als Don Giovanni erleben. Die lyrischen Passagen wie das Ständchen singt er voluminös, die dramatischen Passagen mit viel Verve und Kraft. So kann er die beiden Damen Sabina von Walther (Donna Elvira) und Sophie Gordeladze (Zerlina) verführen. Diese verfügen über einen wunderbar sicheren Sopran, auch in den höchsten Höhen, Mozarts Koloraturen perlen glänzend von ihren Lippen, jedoch klingen die Stimmen zu ähnlich. Dagegen fällt die Stimme von Anna Princeva auf: Sie leiht der etwas hilflosen Donna Anna die passende weiche Mozartstimme. In den Grenzbereichen klingt die Stimme manchmal eng geführt, jedoch bleiben die Töne intonationssicher und ihr Text klar wortverständlich. Ferdinand von Bothmer (Don Ottavio) kommt an diesen grandiosen Leistungen nicht heran, er wirkt dagegen blaß und durchschlagsschwach. Dennoch verfügt er über ein strahlendes Timbre in der Höhe. Seine Liebesschwüre kann er im sotto voce hauchen. Der Gehilfe Leporello wird von Yasushi Hirano schelmisch angelegt. Schon die Registerarie gestaltet er mitreißend mit viel Wohlklang und Klangvolumen. Seine Verzweiflungsausbrüche folgen stets der Gesangslinie, seine Aussprache ist vorbildlich.

Fazit

Der einhellige und heftige Jubel des Publikums kann man als eindrucksvolle Unterstützung werten. Dies unterstrich Gustav Kuhn in einer kurzen Ansprache nach der Pause des Konzertes: In Erl bemühe man sich, junge Menschen an die klassische Musik heranzuführen, vulgo neue Kreise für die klassische Musik zu interessieren. Das ist auch gelungen – selten kann man so viele Menschen unter 30 Jahren sehen – neben denen, denen die „Auswüchse des Regietheaters“ zuviel geworden sind. Im Sommer wird dieser Weg mit Wagners Ring des Nibelungen fortgesetzt – zu Ehren des Präsidenten Hans Peter Haselsteiner wird der zweite Zyklus in 48 Stunden gespielt.

Oliver Hohlbach

Bild: Tiroler Festspiele Erl

Die Bilder zeigen: 1) Don Giovanni, Lucio Gallo (Don Giovanni), Sophie Gordeladze (Zerlina), Frederik Baldus (Masetto)

2) Tosca, Rossana Potenza (Floria Tosca), Bruno Ribeiro (Mario Cavaradossi)

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