Dresden, Semperoper – BORIS GODUNOW

von Modest P. Mussorgski (1839-1881), Musikalisches Drama in sieben Bildern Libretto: Modest P. Mussorgsky nach Alexander Puschkin und Nikolaj Karamsin; UA: 16. Februar 1928 (Urfassung von 1869), Leningrad.
Man spielte die Urfassung von 1869 in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Regie; Christian Pade, Bühnenbild/Kostüme: Alexander Lintl, Licht: Franz David; Dirigent: Sebastian Weigle, Sächsische Staatskapelle Dresden, Chor und Kinderchor Dresden.
Solisten: René Pape (Boris Godunow), Martin Wölfel (Fjodor), Lin Lin Fan (Xenia), Hanna Schwarz (Xenias Amme), Wolfgang Schmidt (Fürst Schuiskij), Matthias Henneberg (Schtschelkalow), John Tomlinson (Pimen), Stefan Margita (Grigorij), Markus Marquardt (Warlaam), Tom Martinsen (Missail), Christa Mayer (Schankwirtin), Gerald Hupach (Leibbojar), Peter Lobert (Pristav), Mitjucha (Sangmin Lee).
Besuchte Aufführung: 17. Dezember 2008 (Premiere)

Kurzinhalt
dresden-boris-godunow.jpgDas Volk hat sich versammelt, um mit Boris Godunow einen neuen Zaren zu wählen. Der neue Herrscher wird in feierlichem Jubel von der Menge empfangen. Unterdessen schreibt der Mönch Pimen im Kloster an einer Chronik. Er offenbart seinem Anhänger Grigorij, daß er Boris Godunow für schuldig am Tod des rechtmäßigen Thronanwärters Dimitrij hält, da er den Jungen einst tot in dessen Armen liegen sah. Grigorij macht sich auf, um als falscher Dimitrij nach Litauen zu gelangen und wird von der Miliz gesucht. Bedingt durch das Verhalten des Fürsten Schuiskij und die Not des Volkes, mehren sich in Godunow die Zweifel an Dimitrijs Tod, die quälende Frage nach seiner rechtmäßigen Herrschaft und seiner Schuldhaftigkeit. Als Pimen dem Zaren von einem Wunder an Dimitrijs Grab berichtet, bricht Godunow endgültig zusammen und stirbt.
Aufführung
Die Bühnenausstattung ist durch Reduktion auf wesentliche Elemente gekennzeichnet. Beim ersten Bild fällt der Blick auf graue, facettierte Stellwände, vor denen sich das in bunte Lumpen gehüllte Volk tummelt. Müllbeutel fallen herab und erst jetzt setzt die Musik ein. Die Krönungsszene, mit einem in übergroßer, funkelnder Krone und gleißendem Brokat gekleideten Zaren, spielt sich vor einer, von oben herabgesenkten, dreiseitigen Stellwand ab. Im Klosterbild dominiert eine Projektionsfläche hinter einem Schreibpult, auf der in Überblendung die Chronikeinträge Pimens dargestellt werden. Der Mönch selber ist in einen modernen Anzug gehüllt. Die Schenke wird zum grauen Wartesaal mit Stuhlgruppen, plakatierten Portraits und Toiletteneingängen, geleitet von einer Wirtin in Lackstiefeln und Pelz. Der Zarenpalast ist wieder die dreiseitige Stellwand, nur blutverschmiert, vor der Godunow in Lederjacke und Jeans agiert.
Sänger und Orchester
Die Bühne wird eindeutig durch René Pape (Boris Godunow) beherrscht. Die Gewissensqualen des Zaren werden von ihm stimmlich-schauspielerisch in nuancenreichen Charakterfarben meisterhaft in Szene gesetzt, wobei die Wiedergabe der zunehmend inneren Seelenfolter, insbesondere im letzten Bild, absolut überzeugt und tief bewegt. Auch Sir John Tomlinson (Pimen) zeigt stimmlich ein stark differenziertes Charakterspiel voller Eindringlichkeit. Seine Schilderung im letzten Bild gerät zum Meisterstück. Wolfgang Schmidt (Fürst Schuiskij) belebt seine Rolle mit stimmlich solider Leistung. In seiner bewegend dramatischen Schilderung des toten Fjodor im fünften Bild erlebt er einen seiner Höhepunkte. Auch die weiteren Charaktere sind bis in die Nebenrollen stark besetzt. So glänzt das Feuer in der Stimme von Stefan Margita (Grigorij) im Klosterbild und die Bettelmönche werden von Markus Marquardt (Warlaam) und Tom Martinsen (Missail) überzeugend stimmsicher als versoffene Halunken gegeben. Die wahnwitzige Einfalt des Narren ist von Timothy Oliver (Gottesnarr) gekonnt in Szene gesetzt und auch Hanna Schwarz (Xenias Amme) sowie Peter Lobert (Polizeioffizier) zeigen große Bühnenpräsenz. Lin Lin Fan (Xenia) und Martin Wölfel (Fjodor) füllen ihre Rollen in gut gespielter kindlicher Naivität aus, wobei letzterer bisweilen im Stimmvolumen etwas blaß erscheint.
Die Chöre waren stimmlich sehr gut präpariert, wobei die Sächsische Staatskapelle Dresden unter Sebastian Weigle im ersten Bild akustisch ein wenig Mühe hatte, dagegen anzuspielen. In den weiteren Bildern ließ das Orchester das tiefe, innere Glühen der Musik voll erstrahlen und setzte auch wuchtig, schroffe Passagen nicht übersteuert schneidend, sondern in mitreißend differenzierter Spielweise gekonnt um.
Fazit
Die Inszenierung sorgte für einen geteilten Eindruck. Die Reduktion der Bühnenausstattung lenkte die Konzentration zwar auf die Handlung der Akteure, wobei das Gesamtkonzept jedoch zu statisch anmutete. So entstanden in der Dynamik des Bühnengeschehens, insbesondere bei den Volksszenen, teilweise Längen. Effekthascherische Elemente, wie das brennende Bett im letzten Bild, wirkten zudem deplaziert. Die Darbietung der Sänger und des Orchesters ließen die Aufführung zu einem musikalischen Fest werden, welches vom Publikum auch mit zahlreichen Bravorufen und überschwänglichem Applaus quittiert wurde.
Dr. Andreas Gerth

Bild: Matthias Creutziger
Das Bild zeigt René Pape (Boris Godunow) und Chor sowie Kinderchor der Sächsischen Staatsoper Dresden.

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