AMADIGI DI GAULA – Göttingen, Deutsches Theater, Händel-Festspiele Göttingen

von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Opera seria in drei Akten, anonyme italienische Adaption der Tragédie en musique Amadis de Grèce von Antoine Houdar de la Motte, nach einem Libretto von  Philippe Quinault, UA: 25. Mai 1715 London, King’s Theatre

Regie/Choreographie: Sigrid T’Hooft, Bühne/Kostüme: Stephan Dietrich, Licht: Heinz Kasper, Tanz/Statisterie: Corpo Barocco

Dirigent: Andrew Parrott, das Festspiel Orchester Göttingen

Solisten: Mareike Braun (Amadigi), Stefanie True (Oriana), Judith Gauthier (Melissa), Markéta Cukrová, (Dardano), Johanna Neß (Orgando)

Besuchte Aufführung: 19. Mai 2012 (B-Premiere)

Vorbemerkung

Amadis von Gallien ist eine Romanfigur in Spanien des 14. Jahrhunderts. Rodríguez de Montalvo schrieb 1508 die Geschichte des Ritters von Gallien. Dieser gelangte nach Schottland, verliebte sich in Prinzessin Oriana und heiratete sie nach vielen Abenteuern. Eine der Fortsetzungen dieser Rittergeschichte verfaßte  1530 Feliciano de Silva. In de la Mottes Roman, auf die Händels Libretto zurückgeht, stammt ein Vorfahre des Ritters aus Griechenland. Dorther kommt auch Dardano, Prinz von Thrakien, und Gegner von Amadigi. Die Ritterromane, besonders Amadis von Gallien, zählten zu den beliebtesten Lektüren des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Erst Miguel de Cervantes (1547-1616) setzte mit seinem Don Quijote die Wirkung der Ritterromane außer Kraft.

Kurzinhalt

Amadigi und Dardano lieben Oriana, Tochter des Königs der Glücklichen Inseln. Die Zauberin Melissa ist in Amadigi verliebt. Doch dieser lehnt sie ab, da er ja Oriana begehrt. Dagegen will Melissa ihn zur Liebe zwingen und hetzt ihre Höllengeister auf ihn. Sie sperrt Oriana in einen verzauberten Turm und läßt sie durch die Furien der Hölle quälen. Inzwischen gesteht Dardano Amadigi, daß auch er Oriana liebe. Schließlich wollen Melissas Gaukeleien Amadigi weismachen, daß sich Oriana mit Dardano eingelassen hätte. Als die Gaukeleien ihm nichts anhaben können, verwandelt Melissa Dardano in Amadigis Gestalt. Kurz bevor Oriana im Begriff ist, sich dem falschen Dardano hinzugeben, gibt es einen Zweikampf zwischen Dardano und Amadigi, bei dem Dardano getötet wird. Als nun Melissa Amadigi töten will, hält eine unsichtbare himmlische Gewalt sie zurück. Da tötet sie sich selbst und Amadigi und Oriana werden ein glückliches Paar.

Aufführung

Beim Öffnen des Vorhangs erblickt man drei perspektivisch versetzte Rundbögen. Je nach Szene wird vor dem zweiten Rundbogen ein Zwischenvorhang heruntergelassen. Dahinter erscheinen dann eine barocke Säulenreihe oder auch (im 2. Akt) ein Brunnen, dessen Wasserspiele mit Lametta-Silberfäden nachgeahmt werden. Die auf der Rampe angebrachten Muschelschalen werfen ein dezentes Licht auf die Bühne. Im letzten Akt schwebt der Zauberer Orgando, Orianas Onkel, in einer Wolke vom Bühnenhimmel herab. Die Kostüme sind in rotkariertem Stoff gehalten, da wir uns ja in Schottland befinden. Amadigi trägt eine riesige Kopfbedeckung mit enormen Blumenquasten (s. Abb.). Dardanos enganliegendes Kostüm ist von grau-brauner Farbe. Melissas Kopf ziert eine rotleuchtende, gezackte Krone. Ihr dunkelblaurotes Kleid hat einen weit ausgestellten Rock und Orianas jugendliches Kleid ist ganz in Gelb gehalten mit keilförmig ausgeschnittenem Mieder und ausgepufften Ärmeln. Rötliche Randstickereien betonen Mieder und Rock. Die acht Tänzer verkörpern einmal die Furien, ein andermal Teufel, denn sie stecken in enganliegenden, rotblau gehaltenen Kostümen und „diabolischer“ Kopfbedeckung; wenn sie u.a. elegante Damen und Herren darstellen, kommen sie in duftigen Rokoko-Kostümen in hellen Farben daher.

Sänger und Orchester

Die Ouvertüre wird flott musiziert. Einige anfängliche Unsicherheiten der Intonation verflüchtigen sich alsbald. In rechtem Tempo wird die Gavotte wiedergegeben. Auffallend schön gestaltet Parrott die dynamischen Abstufungen, auch zwischen Bläsern und Streichern. Markéta Cukrová (Dardano) tut sich zunächst ein wenig schwer in der Intonation der Presto-Aria Pugnerò contro del fato – ich werde das Schicksal besiegen. Aber ihre Artikulation ist ausgezeichnet. Die Arie Pena tiranna – tyrannische Qualen (3. Akt), wohl eine der schönsten Arien dieser Händel-Oper, gelingt ihr besser, doch die Trauer des Stücks kommt nicht so gut herüber. Beim begleitenden Duett übertönt leider die Oboe die Fagottstimme. Mareike Braun als Amadigi beherrscht ihre vielen Arien und Duette erstaunlich gut, insbesondere was deutliche Aussprache und Koloraturtechnik betrifft, doch ihr Atem reicht nicht immer aus, die langen Passagen zu meistern. Judith Gauthier stellt die böse Zauberin Melissa mit flammender Wut und ebenso großer Enttäuschung eindrucksvoll vor Augen. Ihre untadeligen Koloraturen und Tongenauigkeit werden von großer Energie ergänzt. Vollendet angenehm sowohl fürs Auge wie fürs Ohr erscheint die reizende Stefanie True (Oriana) in hellgelbem Kostüm.  Sie fasziniert nicht nur ihren Geliebten Amadigi, sondern auch uns Zuschauer, entweder trauernd bei S’estinto è l’idol mio – wenn tot ist mein Geliebter, dann ärgerlich Ti pentirai – du wirst es bereuen und schließlich trotzig mit Affannami, tormentami – quäle, foltere mich (alle 3. Akt), wobei ihre Koloraturen, Intonation, Atem- sowie Trillertechnik und Aussprache einwandfrei sind. Die sehr jungen Sängerinnen absolvierten ihre Rollen durchweg gut, wenn man ihren Stimmen und Aktionen auch anmerken kann, daß sie wenig erfahren sind. Doch ihre jugendliche Frische und manchmal Unbekümmertheit wirkt ansteckend.

Fazit

Wieder konnte man eine Arbeit von Sigrid T’Hooft bewundern ähnlich Radamisto in Karlsruhe 2009/10 (s. OPERAPOINT 2/2010). Die Personenführung wirkt regelrecht spannend mit aussagekräftigen barocken Handbewegungen. Keinerlei aufgesetzte Psychologisierung stört den faszinierenden Ablauf. Ihre Choreographie für das Tanzensembles Corpo Barocco erfreut das Auge und lockert die Szenen auf. Das Publikum beklatscht viele Szenen. Allgemeine Zustimmung durch Bravorufe und Getrampel am Opernende.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Theodoro da Silva

Das Bild zeigt: Mareike Braun (Amadigi), Tänzerinnen

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