CARMEN – Nürnberg, Staatstheater

von George Bizet (1838-1875), Opéra comique in 4 Akten, Libretto: Henri Meilhac und Ludovic Halévy, UA: 1875, Paris

Regie: Laurent Laffargue, Bühne: Philippe Casaban

Dirigent: Marc Tardue, Nürnberger Philharmoniker, Chor des Staatstheaters Nürnberg, Jugendchor des Lehrergesangvereins, Choreinstudierung: Edgar Hykel

Solisten: David Yim (Don José), Melih Tepretmez (Escamillo), Jordanka Milkova (Carmen), Leah Gordon (Micaëla), Isabel Blechschmidt (Frasquita), Esen Demirci (Mercédès), Richard Kindley (Dancairo), Christopher Lincoln (Remendado), Daeyung Kim (Zuniga), Andrew Finden (Moralès)

Besuchte Aufführung: 5. April 2011 (B-Premiere)

Kurzinhalt

Nach einem Streit unter den Arbeiterinnen einer Zigarettenfabrik verspricht die festgenommene Zigeunerin Carmen die Geliebte des Brigadiers Don José zu werden, wenn er sie freiläßt. Sie flieht, José wird degradiert und arretiert. Als er freikommt bedrängt ihn Carmen, sich mit ihr den Schmugglern anzuschließen und das Leben als Soldat aufzugeben. José schließt sich der Bande an, aber Carmen wendet sich nun dem berühmten Torero Escamillo zu. Als José sie vor dem großen Stierkampfes bedrängt, gibt sie ihm den Laufpaß. Blind vor Eifersucht tötet José die Geliebte.

Aufführung

Die Handlung wurde in das Grenzgebiet zwischen USA und Mexiko in der heutigen Zeit verlagert. Der erste Akt spielt vor einer heruntergekommenen Grenzstation in der Wüste, vor der sich spielende Kinder und mexikanische Frauen treffen. Man verstreut den Müll aus den Mülltonnen, die Kinder spielen den sterbenden Stier. Eine Zigarettenfabrik ist nicht zu sehen, dafür ein großer Bretterzaun. Die Taverne im zweiten Akt erinnert eher an deutsche Touristen in Folklore-Kleidung vor einem Ballermann-Getränkestand mit entsprechendem Zechgelage. Der dritte Akt spielt vor einem hohen Drahtgitter-Grenzzaun. Darin gibt es ein Loch, durch das Rucksacktouristen mit Teddybären, gefüllt mit Plastiktüten voll weißem Pulver, beladen werden Der vierte Akt zeigt wieder den Platz vor dem Grenzübergang mit einem Tor im Hintergrund. Die Kostüme passen sich der Zeit und dem Ort an, könnten der mexikanisch-spanischen Folklorekleidung oder den Polizei-Uniformen unserer Tage entsprungen sein.

Sänger und Orchester

Hinsichtlich der Anforderungen an die Hauptrollen wird Carmen gerne unterschätzt. So muß eine Carmen mit der Habanera schon im Auftrittslied laszive Erotik verstrahlen und Escamillo über eine absolut sichere Technik verfügen, um die Sprünge in seinem Torero-Lied zu treffen. Jordanka Milkova singt zwar sehr schön, aber auch sehr leise und langweilig. Ihrer Carmen fehlt einfach jedwede Erotik in der Stimme. Genauso fehlbesetzt ist Melih Tepretmez, der als lyrischer Bariton im Nürnberger Ensemble Glanzpunkte in anderen Rollen setzen konnte. Hier kämpft er mit den dynamisch komplexen Sprüngen in Toréador en garde – Auf in den Kampf. Ganz anders David Yim als Don Jose: Nachdem er sich frei- und warmgesungen hatte, konnte er an seine Erfolge als schwerer italienischer Tenor am Haus anknüpfen und die Rolle mit der entsprechenden stimmlichen Dramatik gestalten. Trotzdem stemmt er die hohen Töne mit zu viel Kraft. Liebling des Abends wurde Leah Gordon, die in der Nebenrolle als Micaëla die verklemmten Gefühle eines Landeies gestalten konnte – mit warmer und weicher lyrischer Stimme, technisch sauber und viel Strahlkraft in den hohen Lagen. Die Nebenrollen waren aus dem Ensemble sehr zufriedenstellend besetzt, besonders auffallend Isabel Blechschmidt als Frasquita, die es schaffte in den Ensembleszenen die Carmen mit durchschlagskräftiger Stimme zu übertönen.

Marc Tardue gelang es, die Wirkung der Aufführung zu unterstützen und alle Farben und südlichen Klangbilder glatt zu schleifen. Das Vorspiel nahm er sehr flott, konnte aber danach den Drive nicht in die Gesangsnummern hinüberretten – diese waren über weite Strecken zu langsam. Diese Carmen klang eher wie ein amerikanischer Drogenfilm-Kino-Klassiker.

Fazit

Als am Ende Don José mit mehreren Schüssen aus seinem Revolver Carmen niederstreckt, schreckt auch das Publikum aus seinem Dämmerschlaf auf und läßt sich zu einem müden Schlußapplaus für alle Beteiligten hinreisen. Man muß feststellen, daß es dieser Produktion gelungen ist, Sex-Appeal, Eifersucht und südländische Folklore aus der Carmen zu verbannen. Herausgekommen ist eine Bewegungschoreographie, die häufig nicht über das Niveau einer Schülervorstellung hinaus kommt. Auch die Verlagerung an die US-Mexikanische Grenze zum Schmuggel von Kokain in Teddybären wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet und sorgt für manche ungewollte Heiterkeit im Publikum.

Oliver Hohlbach

Bild: Jutta Missbach

Das Bild zeigt: Carmen (Jordanka Milkova) und der Bewegungschor der Zigarettenfabrik-Arbeiterinnen

Veröffentlicht unter Nürnberg, Staatstheater, Opern