Der ferne Klang – Zürich, Opernhaus

von Franz Schreker (1878-1934) Oper in drei Aufzügen, Libretto vom Komponisten, UA: 1912 Frankfurt am Main

Regie: Jens-Daniel Herzog, Bühne und Kostüme: Mathis Neidhardt

Dirigent: Ingo Metzmacher, Orchester der Oper Zürich, Chor und Zusatzchor der Oper Zürich, Miklos Lakatos Zigeunerkapelle (Budapest)

Solisten: Juliane Banse (Grete), Roberto Sacca (Fritz), Irene Friedli (Frau Graumann), Stefanie Kaluza (altes Weib), Valeriy Murga (Dr. Vigelius), Cheyne Davidson (Schmierenkomödiant), Morgan Moody (Herr Graumann / Rudolf), Tomasz Slawinski (Wirt / erster Gast), Oliver Widmer (Graf) u.a.

Besuchte Aufführung: 9. Mai 2010 (Premiere)

Kurzinhalt

Der junge Komponist Fritz und Grete lieben sich, doch Fritz flieht in die Welt hinaus um den fernen Klang zu finden. Gretes betrunkener Vater hat seine Tochter im Spiel an den Wirt verloren. Grete weigert sich, ergreift die Flucht. Dabei begegnet sie dem alten Weib, einer Kupplerin. Jahre vergehen, Grete ist in Venedig eine gefeierte und von den Herren begehrte Halbweltdame. Doch kann sie ihren geliebten Fritz nicht vergessen. Als Grete ihr Herz demjenigen verspricht, der es mit seinem Lied am tiefsten rühren kann, gewinnt ein zufällig anwesender Komponist. Grete erkennt ihren Fritz, er ist aber von ihr zutiefst enttäuscht. Fünf Jahre später treffen sie sich nach der durchgefallenen Premiere der Oper von Fritz wieder, die Begegnung endet tragisch. Fritz kann endlich den fernen Klang hören, doch er stirbt in Gretes Armen.

Aufführung

Jens-Daniel Herzog führt den Zuschauer auf eine Zeitreise, von den spärlichen 50er Jahren, über die Null-Bock-Generation der 80er bis in unsere Zeit. Zur Bebilderung verwendet er eine Drehbühne, die detailliert den Blick auf immer neue Spielräume preisgibt. Es beginnt in einem spartanischen Kinderzimmer der Nachkriegszeit, einziger Luxus ist Gretes Kleid mit aufgesetztem Petticoat. Die Wirtshausgesellen tragen Arbeiterkleidung, dunklen Anzug oder Kittelschürze für den Wirt. Gretes Flucht endet in einen schmutzigen Hinterhof bei Nacht und Regen. Gretes nächster Lebensabschnitt findet in einem rotleuchtenden Bordell der 80er statt. Der Graf trägt eine dunkle Sonnenbrille sowie Schlapphut und hat damit Ähnlichkeit mit einem Mafiaboß. In einer Theaterkantine mit surrendem Kaffee-Automaten wird die laufende Vorstellung von Fritz’ neuer Oper auf dem Monitor übertragen. Die gealterte Grete trifft dort sich selbst, nämlich eine Statistin aus Fritz’ Oper in ihrem alten Kleid aus dem Kinderzimmer-Bild. Das Schlußbild führt in eine leere weiße Wohnung, einzig möbliert durch eine Kaffeemaschine, ein offenes Fenster und einen Heizkörper, vor dem die gealterten Liebenden gemeinsam Niedersinken.

Sänger und Orchester

Garant dieser musikalisch makellos überwältigenden Produktion, die zwischen dem Endpunkt der Spätromantik und dem Expressionismus steht, ist ohne Zweifel Ingo Metzmacher. Ohne zu schleppen nimmt er sich die Zeit die Motive ausführlich darzulegen, besonders den fernen Klang, gespielt von Harfe und Celeste – mal im Graben, mal elektronisch verstärkt. Er sorgt für Eindrücke über Eindrücke, brausend, erschütternd, flammend, ruhelos. Für den Auftritt der Zigeuner im Bordell wurde aus Budapest die Zigeunerkapelle Miklos Lakatos engagiert, samt Stehgeiger und Zimbal, was zu einem amüsanten Wettbewerb zwischen Orchester und Kapelle führt.

Robero Sacca als Fritz schafft es mit mühelos unangestrengtem Tenor sowohl jugendlich dynamisch als auch zerbrechlich gealtert zu wirken. Das Finale, die Vereinigung mit der in jeder Phase ebenbürtigen, jugendlich dramatischen Juliane Banse als Grete gehört zu den stärksten Momenten des Abends. Besonders hörenswert die Durchschlagskraft von Morgan Moody, sowohl als Rudolf als auch als zerbrochener Vater Gretes. Der einzige Schwachpunkt im sonst homogenen Ensemble war Oliver Widmer als Graf, der einfach keine Gestaltung in die Ballade des Grafen bringen konnte.

Fazit

Wieder einmal gelingt es dem Opernhaus Zürich unter Beweis zu stellen, daß es zu den leistungsstärksten Opernhäusern Europas gehört. Besonders erwähnenswert, daß das Stück ohne Striche gespielt wird, z.B. ist das besonders exstatische Zwischenspiel zum letzten Bild zu hören. Ingo Metzmacher, stellt unter Beweis, daß er ein Spezialist für die Oper des 20. Jahrhunderts ist und führt diese für manchen etwas konfus wirkende Oper zu einem musikalisch erregenden Abend. Szenisch ist die Zeitreise handwerklich sehr solide umgesetzt. Das Publikum zollte allen Künstlern donnernden Applaus.

Oliver Hohlbach

Bild: Suzanne Schwiertz

Das Bild zeigt: In einem Bordell der 80er Jahre streitet Grete (Juliane Banse) mit dem Grafen (Oliver Widmer)

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