PARSIFAL – Stuttgart, Staatsoper

von Richard Wagner (1813-1883), Text vom Komponisten, Bühnenweihfestspiel in drei Akten, UA: 1882, Bayreuth
Regie: Calixto Bieito, Bühnenbild: Susanne Gschwender
Dirigent: Manfred Honeck, Staatsorchester Stuttgart, Staatsopernchor, Extrachor und Kinderchor der Staatsoper
Solisten: Gregg Baker (Amfortas), Matthias Hölle (Titurel), Stephen Milling (Gurnemanz), Andrew Richards (Parsifal), Claudio Otelli (Klingsor), Christiane Iven (Kundry), Tina Hörhold (Stimme aus der Höhe), u.a.
Besuchte Aufführung: 28. März 2010 (Premiere)

Kurzinhalt
König Amfortas leidet unter einer nicht heilenden Verletzung, die er bei dem Raub des heiligen Speers durch Klingsor erlitten hat. Seine Genesung ist nur durch die Berührung mit dem heiligen Speer möglich, doch dies kann nur „ein reiner Tor“ vollbringen. Da taucht Parsifal auf. Gurnemanz hält ihn für den „reinen Toren“ und nimmt ihn mit in die Gralsburg. Als er sich getäuscht glaubt, setzt er Parsifal vor die Tür. Parsifal findet den Zaubergarten Klingsors mit seinen verführerischen Mädchen. Als auch Kundry ihn nicht im Zaubergarten halten kann, versucht Klingsor ihn mit dem Speer zu bannen. Parsifal ergreift den Speer, der Zaubergarten versinkt. Parsifal kehrt zurück zur Gralsburg. Dort fordern die Ritter von Amfortas, den Gral zu enthüllen. Doch dieser weigert sich und will, seiner Leiden überdrüssig, lieber sterben. Parsifal heilt die Wunde mit dem Speer und enthüllt den Gral.
Aufführung
Angesiedelt ist das Geschehen im Einheitsbühnenbild einer einstürzenden Autobahnbrücke in einem abgestorbenen Wald. Während des Vorspieles wird die radioaktive Strahlung einer Wasserlache durch eine nackte Schwangere und einen Techniker im Schutzanzug untersucht. Zu dieser Endzeitstimmung passen auch die degenerierten, debilen Handlungsweisen aller Beteiligten: Die verwahrlosten Gralsritter treten mit Atemschutzmaske (ohne Filter) auf. Die Blumenmädchen tragen Pelzmäntel und darunter Plastikfolie und Klebestreifen, aus ihrem Mund tropft Blut. Kundry schlüpft auf offener Bühne in ein besonders unvorteilhaftes Kleidchen und schneidet sich die Zunge ab, nachdem sie Parsifal zuerst die Brust gegeben und ihn hinterher verprügelt hat. Den Speer entwindet Parsifal nicht Klingsor, sondern bricht ihn aus der bröckelnden Armierung der Brücke. Anstelle einer Gralsenthüllung darf jeder Teilnehmer in eine große Tüte greifen und ein religiöses Symbol herausziehen. Parsifals Designerrobe wird mit solchen Symbolen behängt, unter dem Gelächter des Publikums auch mit einer Wagnerbüste. In einer Badewanne wird der nackte Parsifal dann weggetragen. Auch der mit dem Rohr geheilte Amfortas und der wiederbelebte Titurel gehen hinten links ab. Dem schließen sich alle anderen an und lassen eine leere Bühne zurück, nur Kundry stärkt sich mit dem Inhalt einer Konservendose.
Sänger und Orchester
Musikalisch ist die Produktion herausragend besetzt, mit Gregg Baker als durchschlagsstarken Amfortas und mit Stephen Milling, der die Partie des Gurnemanz differenziert zwischen Pianissimo und Fortissimo gestalten kann. Darauf muß man bei Andrew Richards Parsifal leider verzichten, da er zwar über ein baritonal gefärbtes Stimmmaterial verfügt, jedoch technische Probleme gerade in den hohen Lagen hat, wo er ins Falsett ausweicht. Als Kundry bemüht sich Christiane Iven um deutliche Aussprache, bleibt aber im zweiten Akt unerotisch farblos und setzt in den Höhen zuviel Kraft ein. Viel überzeugender sind dagegen die kleinen Partien besetzt, besonders Tina Hörholds Stimme aus der Höhe und Claudio Otellis volltönender Klingsor. Manfred Honneck führt ein musikalisches Weihfestspiel vor: Wie bei Boulez hat man das Gefühl von epischer Breite, obwohl er schnelles Tempo anschlägt. Absolute Höhepunkte sind die Verwandlungsmusiken, die Chorszenen und die Blumenmädchen, wenigstens musikalisch betörend schön.
Fazit
Statt der in den Vorberichten angekündigten radikalen Neudeutung (oder dem vielleicht sogar erhofften Theaterskandal) gab es nur teils altbekannte, teils nichtssagende Assoziationen von seiten der Regie zu sehen. Selbst Wagnerianer konnten mit der Endzeitstimmung, den Zwangshandlungen der Personen, den nichtssagenden Nuditäten und den Regieantworten auf Wagners pseudo-religiösen Fragen nichts anfangen. Dazu gab es Anspielungen auf den derzeit in den Medien behandelten Mißbrauchskandal in der katholischen Kirche. Das Ergebnis der Produktion spricht für sich: Donnernder Schluß-Applaus für die Solisten, besonders Gregg Baker, Andrew Richards und Manfred Honeck. Die Abrechnung mit Calixto Bieito fiel danach entsprechend deutlich aus.

Oliver Hohlbach

Bild: Martin Sigmund
Das Bild zeigt: Ist der grinsende Parsifal (Andrew Richards) der reine Tor, oder warum sucht er Gott ausgerechnet hier?

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