Carmen – Köln, Oper – Staatenhaus

von: Georges Bizet (1838-1875), Opéra-Comique in vier Akten, Text: Henri Meilhac, Ludovic Halévy, UA: 3. März 1875 Paris, Opéra Comique

Regie: Lydia Steier, Bühne: Momme Hinrichs, Kostüme: Gianluca Falaschi

Dirigent: Claude Schnitzler und das Gürzenich-Orchester Köln
Solisten: Adriana Bastidas-Gamboa (Carmen), Martin Muehle (Don José), Claudia Rohrbach (Micaëla), Oliver Zwarg (Escamillo), Matthias Hoffmann (Zuniga), Moralès (Lukáš Bařák), Alina Wunderlin (Frasquita), Arnheidu Eiríksdóttir (Mercédès), Miljenko Turk (Le Dancaïre)

Besuchte Aufführung: 10. November 2019 (Premiere)

Kurzinhalt

Don José ist in die Zigeunerin Carmen verliebt. Doch diese ist ein Freigeist und will sich keinem Mann unterwerfen. Bei einem Streit verletzt Carmen eine Arbeiterin und soll verhaftet werden. Doch als sie mit Don José eine gemeinsame Liebesnacht für ihre Freiheit verspricht, läßt er sie fliehen. Für diese Pflichtverletzung muß er zwei Monate Gefängnisstrafe absitzen. Als er aus dem Gefängnis entlassen wird, werden die beiden ein Liebespaar. Nach kurzer Zeit aber verläßt Carmen Don José wieder, denn sie hat sich in den Torero Escamillo verliebt. Noch immer besessen von Carmen fleht Don José sie an, zu ihm zurückzukommen. Als diese ihn erneut abweist, ersticht er sie.

Aufführung

Die Bühne zeigt im ersten Akt das Innere einer Schlachthalle: im vorderen Teil ist ein Gatter angebracht, dahinter befindet sich ein Boden aus Fliesen mit Blutflecken und Marktständen mit Fleischtheken.

Im zweiten Akt verwandelt sich der Schauplatz in das Innere einer Kirche mit einem Marienschrein im Vordergrund, im dritten Akt markieren Wohnwagen mit erotischen Aufschriften ein milieuartiges Lager von Prostituierten und Gangstern. Die Stierkampfarena wird durch eine Halloween-artige Parade versinnbildlicht: das Volk trägt entstellende Horror-Masken, tote Stier-Attrappen werden mit einem Gabelstapler hineingefahren, eine blutverschmierte Jesus-Figur rennt über die Bühne und Skelette jonglieren auf Stelzen.

Die Kostüme sind im Stil der 1950er Jahre gehalten: die Frauen tragen Petticoats, die Zigeunerbande Nadelstreifenanzüge wie in einem Mafiosofilm. Carmen erscheint in grünem Overall mit Stiefeln, später verwandelt sie sich in eine Marienfigur und im letzten Akt trägt sie einen Flamenco-Rock mit einem Marienbild. Der ist Tod ist das beherrschende Thema auf der Bühne: in jedem Akt wird ein Double von Carmen von einem Torero mit Lanzen erstochen. Am Ende bringt sich Carmen selbst um.

Sänger und Orchester

Das Orchester befindet sich an diesem Abend auf der linken Seite im Saal 1 des Staatenhauses. Das hat leider Auswirkungen auf die gesamte musikalische Leistung, denn das Dirigat von Claude Schnitzler kann so von den Solisten nicht gut gesehen werden. Oft sind Gesang und Orchester nicht ganz synchron. Die bekannteste Arie der Oper ist leider nicht die Glanzarie von Adriana Bastidas Gamboa (Carmen): mit ihrem voluminösen, dunkel gefärbtem Mezzosopran singt sie L’amour est un oiseau rebelleDie Liebe ist ein rebellischer Vogel zwar sehr konzentriert, es fehlt ihr aber an Energie und Schwung, um das Temperamentvolle der Arie hervorzuheben. Nachdem sie sich in ihrem ersten Auftritt aber richtig frei gesungen hat, wird alles deutlich besser. In der Seguidilla Près de remparts de Seville – Nahe der Stadtmauern von Sevilla überzeugt sie zum Beispiel durch den spielerischen Wechsel zwischen energisch rollender Bruststimme und glänzenden Spitzentönen. Dabei betont sie schauspielerisch eine sehr burschikose und brutale Carmen-Figur: ihre Mimik ist die ganze Zeit verbissen, dabei bespuckt, tritt und verletzt sie ihre Mitstreiter auf der Bühne ununterbrochen. Ihr männlicher Gegenpart Martin Muehle (Don José) ist dagegen schauspielerisch eine der wenigen Figuren auf der Bühne, mit der man wirklich sympathisieren kann. Auch gesanglich ist seine Darbietung das Highlight des Abends. Sein männlicher Tenor hat ein dunkles Timbre, dabei läßt er sein Stimme besonders in der Höhe schmettern, hat dies aber technisch perfekt unter Kontrolle. Besonders im Duett Parle-moi de ma mèreErzähl mir von meiner Mutter zusammen mit Claudia Rohrbach (Micaëla) gelingt Mühle das An- und Abschwellen der Stimme in den Forte-Partien unglaublich gut, ebenso gelungen ist seine mezza voce in der Tiefe. Seine Mitstreiterin überzeugt durch einen glockenklaren, hellen Sopran, den sie immer auf den Punkt und technisch versiert einsetzt. Im Zusammenklang ergänzen sich die beiden Stimmen wunderbar und transportieren dabei sehr viel Gefühl. Ebenfalls erwähnenswert sind die beiden Sängerinnen Alina Wunderlin (Frasquita) und Arnheidu Eiríksdóttir (Mercédès), die sehr frech und kokettierend mit ihren Stimmen umgehen. Wunderlin hat einen sehr hellen, flinken Sopran, der besonders in der Höhe wunderbar zur Geltung kommt, Eiríksdóttir überzeugt mit einem geschmeidigen dunkleren Sopran, der sehr sanft klingt.

Oliver Zwarg (Escamillo) hinterläßt leider keinen sehr guten Eindruck. Er hat von Anfang an Probleme mit dem Rhythmus, sein Einsatz kommt fast immer verzögert. Zudem scheint er angeschlagen zu sein, da er die hohen Töne nicht lange halten kann und auch nicht immer sauber intoniert. Der Chor braucht einige Zeit, um sich zu steigern: im ersten Akt wirken die Frauenstimmen rhythmisch und intonatorisch um einiges sicherer als die Männerstimmen, die oft nicht im Takt sind. Zum Ende des zweiten Akts erreicht der Chor aber eine sehr gute Dynamik und singt sehr gut aufeinander abgestimmt.

Fazit

Insgesamt setzt die Inszenierung auf Radikalität, Provokation und brutale Gewaltsymbole, gemischt mit religiösen Andeutungen, die wohl den Versuch darstellen, Carmens Rolle als Frau innerhalb der Gesellschaft zwischen „Heiliger“ und „Hure“ in Frage zu stellen. Man kommt nicht umhin sich zu fragen, was die Regisseurin mit einer solchen Aufführung bezwecken möchte. Wenn Text und Aussage des Stückes nicht mit dem zusammenpassen, was auf der Bühne gezeigt wird, dann bleibt man, wie meine ca. achtjährige Sitznachbarin mit der Frage zurück: Was soll das?

Warum so viel Respektlosigkeit vor Religion und Gesellschaft? Was haben denn bitte Jesus und Maria in einer Carmen-Oper zu suchen, zusammen mit Prostituierten, Mafiosi und Koks?

Den größten Applaus gibt es zu Recht für Martin Muehle und Adriana Bastidas-Gamboa, das Regie-Team erhält auch einige Buhs. Leider wird die gute musikalische Leistung von der schockierenden Inszenierung überschattet. Kein glanzvoller Moment für die Oper Köln!

Melanie Joannidis

Bild von: Hans-Jörg Michel

Das Bild zeigt: Adriana Bastidas-Gamboa (Carmen), Martin Muehle (Don José)

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