Alcina – Salzburger Festspiele Pfingsten 2019

von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Dramma per musica in drei Akten, unbekannter Bearbeiter, Libretto: Antonio Fanzaglia zur Oper L’isola di Alcina (Rom 1728) komponiert von Ricardo Broschi, nach dem 6. und 7. Gesang des Epos Orlando furioso (1516) von Ludovico Ariosto, UA: 16. April 1735 London, Covent Garden Theatre,

Regie: Damiano Michieletto, Bühne: Paolo Fantin, Kostüme: Agostino Cavalca

Dirigent: Gianluca Capuano, Les Musiciens du Prince-Monaco, Bachchor Salzburg, Choreinstudierung: Markus Obereder

Solisten: Cecilia Bartoli (Alcina), Philippe Jaroussky (Ruggiero), Sandrine Piau (Morgana) Kristina Hammarström (Bradamante), Christoph Strehl (Oronte), Alastair Miles (Melisso), Sheen Park (Oberto)

Besuchte Aufführung: 9. Juni 2019 im Haus für Mozart

Polifemo

von Nicola Antonio Porpora (1686-1768), Opera seria in drei Akten, Libretto von Paolo Antonio Rolli, UA: 1. Februar 1735 London, Opera of the Nobility

Szenische Einrichtung: Max Emanuel Cencic, Bühne: Margit Ann Berger, Kostüme: Giorgina Germanou

Dirigent: George Petrou, Orchester Armonia Atenea, Bachchor Salzburg (Choreinstudierung: Alois Glaßner)

Solisten: Yuriy Mynenko (Aci), Julia Lezhneva (Galatea), Max Emanuel Cencic (Ulisse), Pavel Kudinov (Polifemo), Sonja Runje (Calipso), Dilyara Idrisova (Nerea).

Besuchte Aufführung: 8. Juni 2019 in der Felsenreitschule

Galakonzert Farinelli & Friends

Chöre, Rezitative, Arien und Duette

von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Nicola Porpora (1686-1768), Giuseppe Maria Orlandini (1676-1760), Jean Philippe Rameau (1683-1764), von Leonardo Leo (1694-1744), Riccardo Broschi (1698-1756), Tomaso Albinoni (1671-1751), Johann Adolph Hasse (1699–1783).

Dirigent: Gianluca Capuano, Les Musiciens du Prince-Monaco, Bachchor Salzburg, Choreinstudierung: Markus Obereder

Solisten: Sopran: Julie Fuchs, Patricia Petibon, Sandrine Piau, Nuria Rial, Cecilia Bartoli, Lea Desandre, Vivica Genaux, Ann Hallenberg, Countertenor: Christophe Dumaux, Philippe Jaroussky

Besuchte Aufführung: 8. Juni 2019 im Großem Festspielhaus

Domkonzert

Dum complerentur dies Pentecostes

von Tomas Luis de Victoria (um 1548-1611)

Motette für fünf Stimmen, veröffentlicht 1572

Veni, sancte Spiritus

von Heinrich Schütz (1585-1672)

Geistliches Konzert für vier Chöre und Basso continuo SWV 475, entstanden 1614

Messa a quattro voci da capella

von Claudio Monteverdi (1567-1643)

Veröffentlicht 1650 als SV 190

Triosonate für Violine, Viola da gamba und Basso continuo B-Dur op. 1 Nr.4

von Dieterich Buxtehude (um 1637-1707)

Veröffentlicht um 1694 als BuxWV 255

Music for the Funeral of Queen Mary

von Henry Purcell (1659-1695)

für Chor, Blechbläser, Orgel und Trommel, uraufgeführt am 5. März 1695 in London

O Jesu Christ, meins Lebens Licht

von Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Motette für vierstimmigen Chor, Zink, Trompeten, Posaunen, Streicher und Basso continuo, Entstanden 1736/37, zweite Fassung 1746/47

Dirigent: John Eliot Gardiner, English Baroque Soloists, Monteverdi Choir

Besuchte Aufführung: 10. Juni 2019 im Dom

Vorbemerkung

Salzburg steht für Kunst, Kultur, Mozart, aber auch für Prominentenrummel und Blitzlichtgewitter. Die Pfingstfestspiele speziell stehen für die Auseinandersetzung mit historischer Aufführungspraxis, meist barocker Werke. Speziell seit Cecilia Bartoli die Leitung übernommen hat, stieg auch das künstlerische Nieveau und auch die Reputation bzw. Nachfrage. Die Auswahl der Solisten und Gastorchester entspricht den hohen Erwartungen. Meist wird eine der Produktionen in den Canon der Salzburger Festspiele im Sommer übernommen.

Aufführung, Sänger und Orchester

Die Aufführung der Alcina steht von Anfang an unter keinem guten Stern, sondern Lichtspiegelungen : Die Handlung spielt in einem Hotel, am Empfang verteilt Oronte als Page die Zimmerschlüssel. Die übrigen Hotelgäste irren als verwirrte ehemalige Geliebte der Alcina über die Gänge. Diese sollen auch das fehlende Ballett überspielen. Eine Glaswand dreht sich über die gesamte Bühnenbreite um die in der Mitte liegende Achse. Sie ist einmal durchsichtig – man sieht dann eine Art Wald, in der die halbnackten Gefangenen herumirren – mal spiegelt sie das Geschehen in der Hotellobby, oder was auch immer. Anfangs trägt man Straßenkleidung. Bradamante kann sich in einer Lederjacke als Mann ausgeben. Wenn Ruggiero sich seiner erinnert, zieht er wieder seine Rüstung an.

Sängerisch ist diese Alcina schon verschwenderisch besetzt: Cecilia Bartoli ist als Alcina als feinsinnige Gestalterin, Philippe Jaroussky (Ruggiero) repräsentiert den Countertenor unserer Zeit, Sandrine Piau ist mit viel heller strahlender Durchschlagskraft die verzweifelt liebende Morgana, Kristina Hammarström die technisch voll aussingende Bradamante, Christoph Strehl zeigt mit strahlendem Tenor ein verzweifelt liebender Oronte, Alastair Miles ist mit kräftiger, dunkel rauchiger Stimme ein dienstbarer Melisso, Sheen Park  (Oberto) von den Wiener Sängerknaben kann man als Knabensopran bezeichnen. Eine musikalische Sternstunde, die vom Publikum heftig gefeiert wird. Die Regie wird geflissentlich ignoriert.

Polifemo

Max Emanuel Cencic hat seine Tätigkeit als Countertenor dahingehend erweitert, als Sängerdarsteller historische Musik passend zu bebildern und versucht das in dieser halbszenischen Produktion der Oper Polifemo von Nicola Porpora. Der Spielort ist ziemlich genau die Bühnenmitte der sonst leeren der Felsenreitschulbühne. Dort liegen eine Reihe größerer und kleinerer Felsen, um den sich ein kleiner runder Sandstrand gruppiert. Zwischen den Spalten und Rissen tauchen immer wieder Nymphen auf – im griechischen Gewand mit einer Augenmaske. Aci und Galatea sind dem Schäferspiel entsprungen, Polifemo in schwarzer Uniform mit Augenklappe erinnert an Long John Silver aus der Schatzinsel. Ulisse ist aber mit seinem Säbel eher ein Pirat der Karibik.

Das Orchester Armonia Atenea stellt sein großes Können in der Darstellung der Musik in historisch korrekter Aufführung unter Beweis. Der Kontakt zwischen George Petrou und den Solisten funktioniert reibungslos, das Zusammenspiel zwischen allen Beteiligten nahtlos. Max Emanuel Cencic als wenig heldenhafter Ulisse ist der Countertenor in dieser Produktion, der mit großer Intensität, langem Atem und treffsicherer Höhe ausgestattet ist. Mit atemberaubenden Koloraturen rückt er die große Leistung des Komponisten Porpora in den Mittelpunkt – und sich selber auch. Yuriy Mynenko als Aci und Julia Lezhneva als Galatea sind das jugendlich dynamische Liebespaar, während dem bösen Polifemo Pavel Kudinov seine tiefe, großvolumige Baßstimme leiht. Der souveräne Bachchor bleibt leider stets im Hintergrund.

Galakonzert

Die akustischen Verhältnisse im Haus für Mozart sind ideal für ein Galakonzert mit einem großen Barockensemble. Das auf Alte Musik spezialisierte Les Musiciens du Prince-Monaco Ensemble ist der ideale Begleiter für barocke Sänger. Unter der Leitung von Gianluca Capuano ergibt sich eine nahtlose Fortsetzung der Alcina-Vorstellungen. Und so startet der Salzburger Bachchor in den Questo e il cielo – Das ist der Himmel der Freuden. Mit dem Chor aus der Alcina wurde bereits entsprechende Aufmerksamkeit erregt.

Der bekannteste Vertreter der ellenlangen Solisten-Liste ist der Countertenor Philippe Jaroussky. Sein Höhepunkt ist die Bravourarie des Aci Alto Giove – Hoher Zeus aus Porporas Polifemo. Hier kann Jaroussky seine strahlende anstrengungslose Höhe unter Beweis stellen. Die Eloquenz mit der er seine Stimme aus der tenoralen Lage in die strahlende, höchste Sopranlage technisch sauber und absolut fehlerfrei schraubt ist unfaßbar schön. Der gemeinsame Höhepunkt ist das Duett der Semandra und Sifare aus der Oper Mitridate von Porpora. Gemeinsam mit Cecilia Bartoli gibt es eine Darstellung einer (musikalisch) perfekten Beziehung mit La gioia – Die Freude. Ihre Gastgeberpflichten hat sie mit der Arie Mi deride l’amante – Der Geliebte verspottet mich schon strahlend erfüllt. Die weiteren Gäste stellen ihre Gastgeschenke vor: Patricia Petibon stellt die Aufführungspraxis des französischen Barocks mit Rameaus Tristes apprets – Fahle Fackeln vor, eine großartige Gestaltung mit großer tragenden Stimme – für den Nichtkenner eine gute Werbung für den französischen Barock. Aus der Reihe der übrigen Gäste sticht noch Christophe Dumaux hervor, den man mit den exponiert hohen Tönen auch als Sopranist bezeichnen kann. Das Publikum ist restlos begeistert: so viele herausragende Stars der Musikszene hört man selten auf einmal.

Domkonzert

Eine eigenständige Veranstaltung ist das Domkonzert von unter der Leitung von John Eliot Gardiner. Aufgrund einer Absage kurzfristig eingesprungen, stellt dieses Konzert ein eigenständiges Programm mit einem eingespielten Ensemble dar. Denn Gardiner arbeitet bevorzugt langfristig mit dem Orchester English Baroque Soloists und dem Monteverdi Choir zusammen

Die ausgewählten Stücke des Abends sind auf den Hall des Doms ausgerichtet. Die einzelnen Soloinstrumente und Stimmgruppen sind auf den verschiedenen Emporen des Doms positioniert. Damit entsprechen sie historisch dem, was Monteverdi selbst erfunden hat. Höhepunkt ist die Beerdigungsmusik für Queen Mary. Wir heutigen Menschen erleben diese Musik aber kaum als Trauermusik. Das gilt besonders für den Eingangssatz March. Dieser wird als Schlußsatz forte wiederholt. Es ist ein Einzug in die Ewigkeit. Alles zum Ruhme Gottes! Trotzdem heftiger Beifall des Publikums.

Fazit

Spätestens mit diesem Festspielprogramm sind die Pfingstfestspiele mit eigenständigem Profil aus dem Schatten der Salzburger Sommerfestspiele herausgetreten. Für die historische Aufführungspraxis mit spezialisierten Orchestern findet man hier den entsprechenden Raum. Das Sängerensemble bietet auf, was unter dem Schlagwort „Farinelli und Friends“ Rang und Namen errungen hat. Man könnte von „Bartoli und Ihre Freunde“ sprechen. Das Schlußbild des Galakonzerts mit zwölf weltbekannten Sängern zeigt es unmißverständlich. Viele Veranstaltungen waren blitzartig ausverkauft, der große Saal des Mozarteums erwies sich als zu klein. Lediglich die „vergiftete“ Szenerie des modernen Regietheaters (besonders bei Alcina) ist zu bemängeln. Hier bestehen nicht nur für barocke Gestik oder für ein Barockballett große Entwicklungsmöglichkeiten. Die musikalische Darstellung hat strahlendes Niveau! Das bewies der hysterische Schlußapplaus der genannten Veranstaltungen.

Oliver Hohlbach

Bild: Marco Borrelli

Gala-Konzert 2019: Cecilia Bartoli, Nuria Rial, Patricia Petibon, Sandrine Piau, Vivica Genaux, Julie Fuchs, Gianluca Capuano, Ann Hallenberg, Lea Desandre, Chor

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