Miranda – Paris, Opéra Comique

Eine Kreation zusammengestellt von Raphaël Pichon, Katie Mitchell et Cordelia Lynn (Text) inspiriert durch The Tempest von William Shakespeare mit Musik von Henry Purcell (1659-1695)

Regie: Katie Mitchell, Bühne: Chloé Lamford, Choreographie: Joseph Alford, Dramaturgie: Sam Prichard, Kostüme: Susie Juhlin-Wallen, Licht: James Farncombe, Tongestaltung: Max Pappenheim

Dirigent: Raphaël Pichon, Chor und Orchester Pygmalion

Solisten: Kate Lindsey (Miranda), Alain Buet (Prospero), Katharine Watson (Anna), Alan Clayton (Ferdinand), Marc Mauillon (Der Pastor), Aksel Rykkvin (Anthony), Maîtrise Populaire de l’Opéra Comique

Besuchte Aufführung: 25. September 2017 (Erstaufführung, Koproduktion mit dem Théâtre de Caën und der Oper Köln

Vorbemerkung

Der französische Musiker Raphaël Pichon und die englische Regisseurin Katie Mitchell, zwei Künstler, die schon einmal, beim Festival d’Aix-en-Provence in einer Inszenierung von Bach’scher Kantatenmusik Trauernacht, zusammengearbeitet haben, bringen hier erneut gemeinsam eine „Kreation“ auf die Bühne.

Bei Katie Mitchell könnte man sagen, ist es die Abrechnung einer militanten Feministin mit dem, wie sie meint, patriarchalischen Macho-Shakespeare. Sie läßt dazu die Charaktere seines letzten Theaterstücks The Tempest, nach 13 Jahren auf der verwunschenen Insel, zurück in die „Zivilisation“ kommen und dort rechnet Miranda dann mit ihren Männern ab.

Bei Raphaël Pichon ist es der Versuch, jene spezifisch englische Art der Barockoper, die semi-opera, zu einer Gesamtoper zu gestalten und sie zu „modernisieren“, indem man ihr einen zeitgenössischen Inhalt unterschiebt, was ganz einer alten Tradition der Opéra Comique entspricht. Er benützt neben Musik von Purcell auch Ausschnitte aus Werken von Purcells Zeitgenossen.

Kurzinhalt

In einer Dorfkirche an der englischen Ostküste bereitet man den Totengottesdienst für Miranda vor. Drei Frauen erzählen, sie sei ins Meer hinausgegangen und nie wiedergekommen. Die junge Anna, die schwanger ist, erzählt, daß ihr Mann Prospero, seit dem Verschwinden ihrer Tochter Miranda ungemein gereizt sei. Mirandas Mann Ferdinand sei in Depression und ihr Sohn Anthony spräche nur noch mit Anna. Der Pastor versucht alle zu beruhigen. Die Beerdigungsfeier wird durch das Erscheinen einer verschleierten Braut gestört, die ankündigt, daß man nun die wirkliche Geschichte Mirandas erfahren würde. Trotz Protests halten Schauspieler die Gemeinde mit Pistolen in Schach und spielen ein Stück in drei Akten – Exil, Schändung, das verheiratete Kind. Die verschleierte Braut, in Wirklichkeit Miranda, wirft auf diese Weise voller Haß ihrem Vater und ihrem Mann die Traumata ihrer Kindheit und ihrer Ehe vor. Während Ferdinand verspricht sich zu bessern, lehnt Prospero jegliche Verantwortung ab. Er träumt von der, wie ihm scheint, glücklichen Zeit der Kindheit Mirandas. Anna erinnert ihn, daß sie ein Kind erwartet und er in die Zukunft schauen müsse. Doch Prospero denkt eher an seinen Tod.

Aufführung

Das Bühnenbild ist ein moderner Kirchenraum mit geraden Kirchenstühlen und modernen, einfachen Leuchtern. Die Kostüme sind dunkle Anzüge und dunkle Kleider der heutigen Zeit.

Sänger und Orchester

Kate Lindsay singt mit kräftiger expressiver, etwas herben Mezzosopranstimme die haßerfüllte Miranda, wie in ihrer Tirade gegen Prospero Who but a slave can well express. Ihr zur Seite als heftige Männer-Anklägerin singt Katherine Watson mit bewundernswert verhaltener Dramatik das großartige Lamento der jungen Anna: O, let me foreever weep. Allan Clayton ist mit schön timbriertem Tenor der zerknirschte Ferdinand und Alain Buet springt im letzten Moment mit klangvollem Bariton als Propero für den unpäßlichen Henry Waddington ein. Marc Mauillon ist der überforderte Pastor.

Zu erwähnen sei auch die engelhafte Sopranstimme des 14-jährigen Aksel Rykkvin als Anthony, besonders bewegend im Duett mit Katherine Watson Now that the sun hath veil‘d his light. Ebenso erwähnenswert die Maitrise Populaire und der Chor Pygmalion.

Raphaël Pichon dirigiert das Ensemble Pygmalion mit strenger Metrik. Die Musik nimmt hin und wieder eine kammermusikalische Intimität an.

Fazit

Eine Aufführung in der Opéra Comique ist nie banal, was nicht heißen soll, daß man immer einverstanden ist mit dem, was man sieht und hört. Im vorliegenden Fall scheint es, daß Katie Mitchell versucht, sensationslüstern und coram populo ihre persönlichen Traumata und Zwangsvorstellungen loszuwerden, indem sie sich als erklärte Feministin am Theater-Genie  der Renaissance Shakespeare vergreift. Aber im Grunde hat ihr Problem nichts mit The Tempest zu tun. Denn im Theaterstück (5. Akt, 1. Szene) lauten Mirandas beglückte Worte als sie die reale Welt erfährt: Oh, wonder! How many goodly creatures are there here! How beauteous mankind is! O brave new world, that has such people in’t!

Also, wo ist Katie Mitchells Problem?  Man kann nur mutmaßen, daß der unantastbare Shakespeare da stellvertretend für eine verhaßte Vaterfigur steht. Schade, daß so viel ausgezeichnetes musikalisches Talent dafür verschwendet wurde, denn die Musik (und ihre Interpretation) ist sublim.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: DR Pierre Grosbois

Das bild zeigt im Vordergrund: Kate Lindsey (die verschleierte Miranda), Allain Clayton (Ferdinand), Katharine Watson (Anna) und Aksel Rykkvin (Anthony).

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