NORMA – Paris, Théâtre des Champs-Élysées

von Vincenzo Bellini (1801-1835), Tragische Oper in zwei Akten, Libretto: Felice Romani nach der Tragödie Norma ou L’Infanticide (1831) von Alexandre Soumet, UA: 26. Dezember 1831 Mailand, Teatro alla Scala

Regie: Moshe Leiser, Patrice Caurier, Bühne: Christian Fenouillat, Kostüme: Agostino Cavalca, Beleuchtung: Christophe Forey.

Dirigent: Gianluca Capuano, I Barocchisti, Coro de la Radiotelevisione svizzera, Lugano.

Solisten: Cecilia Bartoli (Norma), Rebeca Olvera (Adalgisa), Norman Reinhardt (Pollione), Peter Kalmán (Oroveso), Rosa Bove (Clotilde), Reinaldo Macias (Flavio)

Besuchte Aufführung: 12. Oktober 2016 (Premiere, Produktion der Salzburger Pfingstfestspiele 2013)

paris-tec-normaKurzinhalt

Norma, die Tochter des Druiden Orveso, ist selbst Priesterin und höchste moralische Instanz ihrer Gemeinschaft. Sie hat ein Keuschheitsgelübde abgelegt. Dennoch hat sie eine geheime, verbotene Liebesbeziehung mit Pollione, dem Oberbefehlshaber der römischen Besatzungstruppen in Gallien, dem sie zwei Söhne geboren hat. Um ihren Geliebten zu schützen, ruft Norma bei der Zeremonie im Tempel die sanfte Mondgöttin an, und bittet um Frieden, statt Rebellion und Krieg gegen die Römer zu fordern, wie die Gallier es wünschen. Nach der Zeremonie erscheint Pollione. Er hat Norma fallengelassen und wirbt jetzt um die junge Priesterin Adalgisa. Diese gibt nach langem Zögern seinem Werben nach. Doch vertraut sie Norma ihre Gewissensqualen an. Norma zeigt Verständnis bis sie erfährt, um wen es sich handelt. Um sich an ihrem Liebhaber zu rächen, spielt sie mit dem Gedanken ihrer beider Kinder zu töten. Doch Adalgisa verhindert dies und verzichtet auf ihre Liebe zu Pollione als sie Normas Schicksal erfährt. Sie will nun Pollione überreden, zu Norma und ihren beiden Kindern zurückzukehren. Als Pollione sich weigert, droht Norma, Adalgisa öffentlich des Verrats anzuklagen. Doch schließlich klagt sie sich selbst an und vertraut dem entsetzten Oroveso ihre Kinder an. Als Pollione sieht, was er angerichtet hat, findet er seine Liebe zu Norma wieder und folgt ihr in den Flammentod.

Aufführung

Die Handlung spielt im großen Raum einer aufgelassenen Schule, die intimeren Szenen auf dem Proszenium. Alle tragen einfache farblose Straßenkleider. Das Mobiliar besteht aus einfachen Holzstühlen, Tischen oder Pulten. Die Choreographie und die Beleuchtung sind gut. Am Ende der Oper ist es nicht der Flammentod auf dem Scheiterhaufen, sondern die brennende Schule, von den Widerstandkämpfern angezündet, in der Norma und ihr reuiger Geliebter gemeinsam den Tod finden.

Sänger und Orchester

Normalerweise singt ein Sopran die Norma, ein Mezzo die Adalgisa. Hier ist es umgekehrt. Cecilia Bartoli ist zu den ursprünglichen Interpretationen zurückgekehrt. Und sie bewältigt die schwierige Rolle mit klarer, reiner Virtuosität. Sie spielt und singt mit ungeheurer Intensität, manchmal mit starren Gesichtszügen, als trüge sie eine Maske, dann wieder mit schmerzverzerrtem Ausdruck oder dann wieder weich-lyrisch. Zart, fast gehaucht wie im Gebet Casta diva (1.Akt, 4. Szene), oder hochdramatisch wie im Terzett mit Adalgisa und Pollione Oh non tremare, o perfido (1. Akt, 9. Szene). Keine der anderen Interpreten erreichen dieses Niveau. Rebeca Olveras Stimme ist ein leichter, jugendlich-frischer Sopran, den sie wirkungsvoll zur Geltung bringt und auch in den schwierigen Koloraturen gut kontrolliert, wie in ihrem Duett mit Norma Si, fino all’ore (2. Akt, 3. Szene). Norman Reinhardts Tenor ist von metallisch-hohem Timbre, aber nicht sehr kraftvoll, doch schön im Liebesduett der Schlußszene Col mio rimorso. Peter Kalmán ist ein einleuchtender Oroveso. Eindrucksvoll in seiner wechselvollen Entfaltung ist der Coro de la Radiotelevisione svizzera, Lugano.

Gianluca Capuano dirigiert das Ensemble I Barocchisti, das auf alten Instrumenten spielt, straff und rhythmisch.

Fazit

Wenn ich zu Stéphane Braunschweigs Norma-Aufführung vor knapp einem Jahr im selben Theater schreiben konnte, seine moderne Inszenierung überzeuge nicht, aber störe nicht den Genuß der Musik, so ist das diesmal nicht der Fall. Die Gewalttätigkeit als Initialschock in einer dazu erfundenen Szene am Anfang der Oper, die im Libretto gar nicht vorkommt, ist so aufdringlich, daß es von der Musik ablenkt. Wie soll man sich in die tiefe Innigkeit von Normas Gebet versenken können, wenn neben ihr ein blutüberströmter Mann liegt, der eben noch auf offener Bühne mit großer Brutalität gelyncht wurde.

Inwieweit die Sänger durch eine solche Inszenierung in ihrer Interpretation beeinträchtigt sind, ist noch eine andere Frage. Daß die Handlung in die Zeit der Widerstandkämpfer in Frankreich von 1940 verlegt wurde, ist naheliegend und banal, wenn auch nicht immer einfach mit den keltischen Druidenriten vereinbar. Nicht banal hingegen ist die Aussage eines der beiden Regisseure Moshe Leisers, daß die Religion in dieser Oper keine wesentliche Rolle spiele. Damit spricht er Norma die Rolle der Priesterin ab, weil sie nicht in seine Philosophie paßt, und beschränkt sie auf die der Widerstandkämpferin. Die sehr wesentliche spirituelle Dimension der Oper und ihre sakrale Ausstrahlung gehen dadurch verloren, und sowohl das inbrünstige Gebet am Anfang, wie das Opfer ihres Lebens zugunsten ihrer Mitpriesterin am Ende der Oper werden unglaubwürdig. Der Genuß der herrlichen Musik Bellinis und deren ausgezeichnete Interpretation leiden darunter. Eher enttäuschend!

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Vincent PONTET

Das Bild zeigt: Cecilia Bartoli (Norma) Bild Mitte, Rebeca Olvera (Adalgisa) li., Rosa Bove (Clotilde) re.

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